Strommarkt Die Energiewende wird zum Sanierungsfall

BONN · Strompreisexplosion, abstürzende Solarfirmen, Kraftwerksnotstand und ein Gericht, das das Energierecht für Unrecht hält.

Strompreisexplosion, abstürzende Solarfirmen, Kraftwerksnotstand, Abzocke von Kunden - auf dem deutschen Strommarkt häufen sich die Probleme. Trotz eines breiten politischen Konsenses zum Ausstieg aus der Atomkraft und dem Ausbau Erneuerbarer Energien wird die Energiewende langsam aber sicher zum teuren Sanierungsfall.

Preisexplosion: Durch den Ausbau Erneuerbarer Energien, hier vor allem Zuschüsse für Solarstrom sowie steigende Netzkosten, steigen die Strompreise für Privathaushalte rasant an. Seit der Jahrtausendwende haben sich die Kosten fast verdoppelt. Nirgendwo in Europa außer in Dänemark sind die Strompreise höher. Mit den jetzt bevorstehenden Erhöhungen von zehn Prozent und mehr liegt die Strompreis-Steigerungsrate fünf Mal so hoch wie die allgemeine Inflationsrate. Die Verbraucherzentralen warnen seit Jahren davor, dass mehr und mehr einkommensschwache Haushalte das nicht mehr bezahlen können und sprechen von einer neuen, künstlich erzeugten "Energiearmut" in Deutschland.

Krise der Solarbranche: Angetrieben von Milliardensubventionen für Solarstrom sind weltweit seit der Jahrtausendwende Hunderte von Solarfirmen sehr schnell sehr groß geworden. In einem insgesamt großen, aber weitgehend von staatlichen Förderprogrammen abhängigen Weltmarkt findet derzeit ein Verdrängungswettbewerb statt. Dabei versuchen chinesische Hersteller mit angeblich unfairen Staatssubventionen, über Dumpingpreise Firmen aus Europa und den USA aus dem Markt zu drängen. Mehrere deutsche Unternehmen mussten bereits Insolvenz anmelden.

Die Bonner Solarworld als deutscher Branchenführer machte allein in den drei Monaten Juli, August und September unterm Strich 69 Millionen Euro Verlust, der Umsatz brach wegen des Preisverfalls bei Solaranlagen um 41 Prozent auf knapp 129 Millionen Euro ein. Vorstandschef Frank Asbeck sieht auch für das Gesamtjahr schwarz. Das Unternehmen erwartet einen hohen Verlust und Umsätze weit unter dem Vorjahresniveau. Im vergangenen Jahr hatte der Konzern Solaranlagen im Wert von einer Milliarde Euro verkauft, damals aber schon einen Betriebsverlust von 233 Millionen Euro gemacht.

Wegen der Billigkonkurrenz aus China hatten Asbeck und die Branche Antidumpingklagen in den USA und in Brüssel erhoben. Die USA erheben inzwischen Strafzölle auf chinesische Solarimporte. "Wir spüren dort eine Belebung des Marktes", sagte Asbeck am Mittwoch. Brüssel wird voraussichtlich im Frühjahr über Strafzölle entscheiden.

Um gegenzusteuern, will der Bonner Konzern weiter sparen, auch beim Personal. Zahlen nannte Asbeck nicht, es werde aber "keine betriebsbedingten Kündigungen geben." Ende September hatte Solarworld 2920 Beschäftigte und damit bereits rund 430 weniger als ein Jahr zuvor. Auch die Bosch-Tochter Aleo Solar gab am Mittwoch hohe Verluste bekannt.

Kraftwerksnotstand: Das Umsteuern von Atomkraft, Kohle- und Gaskraftwerken auf Erneuerbare Energien bereitet erheblich mehr Probleme als erwartet. So gibt es nicht genug Leitungen von Norden, wo die Windkraft ausgebaut werden soll, nach Süden, wo die Atomkraftwerke abgeschaltet werden. Der Energiekonzern EnBW kündigte deswegen am Mittwoch an, das Milliarden-Windkraftprojekt "Hohe See" vorläufig auf Eis zu legen. In dem Projekt waren 80 Windkraftanlagen 90 Kilometer vor der Küste in der Nordsee geplant. Inbetriebnahme sollte 2017 sein. Auch andere Projekte stehen wegen technischer Probleme auf der Kippe. Hinzu kommen wirtschaftliche Schwierigkeiten: Der Energiekonzern Eon hatte am Dienstag angekündigt, zwei moderne, aber teure Gaskraftwerke abzuschalten, weil sich der Betrieb nicht mehr lohne. Ursache dafür ist, dass Strom aus Wind und Sonne in den Netzen Vorfahrt hat und dann konventionelle Kraftwerke heruntergefahren werden müssen.

Juristische Bedenken: Das Düsseldorfer Oberlandesgericht hat in zwei Eilverfahren massive Zweifel an der Regelung zur Befreiung stromintensiver Industrien von den Netzkosten geäußert. Der 3. Kartellsenat erklärte am Mittwoch, nach Einschätzung der Kammer sei die bisherige Regelung rechtswidrig. Es bestünden "erhebliche Bedenken", ob das Energiewirtschaftsgesetz überhaupt eine vollständige Befreiung der Großverbraucher von Netzentgelten erlaube, wie sie die Stromnetzentgeltverordnung vorsehe. Auswirkungen haben die Bedenken des Gerichts zunächst nicht, da die Kammer auf eine einstweilige Anordnung verzichtete und die Frage erst im Hauptsacheverfahren im nächsten Jahr entscheiden will. Dann könnte die Regelung auf der Kippe stehen.

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