Startschuss für digitalen Binnenmarkt Die EU will nationale Hindernisse im Internet abbauen

BRÜSSEL · "Schaffen wir alle Zäune und Mauern ab, die uns im Internet den Weg versperren." Mit diesem Appell hat der Vizepräsident der Brüsseler EU-Kommission, Andrus Ansip, gestern den Startschuss für die Schaffung eines gemeinsamen digitalen Binnenmarkts gegeben.

 Fachvortrag: EU-Kommissar für Digitale Wirtschaft, Günther Oettinger (CDU).

Fachvortrag: EU-Kommissar für Digitale Wirtschaft, Günther Oettinger (CDU).

Foto: dpa

"Die Menschen müssen sich im Netz ebenso frei bewegen können wie in der Wirklichkeit" sagte er. Allerdings sieht die europäische Realität anders aus: "Die EU kann nicht an der Spitze der digitalen Revolution stehen, wenn gleichzeitig ein Flickenteppich von jeweils 28 unterschiedlichen Regelungen zu Telekommunikationsdienstleistungen, Urheberrechten, IT-Sicherheit und Datenschutz zu beachten ist", betonte der deutsche EU-Kommissar Günther Oettinger, innerhalb der EU-Behörde für die so genannte digitale Agenda zuständig.

Und er nannte Beispiele: Derzeit kaufen nur 15 Prozent der Verbraucher online in einem anderen EU-Mitgliedstaat ein, was angesichts der Tatsache, dass die Versandkosten eines Produktes manchmal höher liegen als der Preis selbst, nicht verwunderlich sei. Noch immer gebe es geografische Sperren: So könnten EU-Bürger in einigen Ländern auf Dienstleistungen in einem anderen Land nicht zugreifen, weil sie "ohne, dass es dafür eine Rechtfertigung" gebe, automatisch zu Anbietern vor Ort umgeleitet würden. Solche Missstände müssten beseitigt werden, hieß es gestern in Brüssel.

Doch die Mitgliedstaaten blockieren oder bremsen aus. Erst vor wenigen Wochen hatte Kommissar Ansip sich in einer Rede bitter darüber beschwert, dass die EU-Regierungen beispielsweise bei der Netzneutralität einen ganz anderen Weg als das Vorbild USA einschlagen wollten. Während in Übersee inzwischen festgelegt wurden, dass ausnahmslos alle Datenpakete mit gleicher Geschwindigkeit transportiert werden müssen, wollen die Provider hierzulande Vorrechte für ihre TV-Programme und andere kommerzielle Interessen im Netz lukrativ verkaufen.

Auch Deutschland tendiert in diese Richtung, vorausgesetzt der Datenverkehr anderer Teilnehmer wird nicht über Gebühr gebremst. Oettinger selbst hatte noch vor kurzem einen Kompromiss vorgeschlagen. Demnach solle es einen Vorrang für öffentliche Dienstleistungen, Notrufe und medizinische Belange geben.

Mit ihrem gestrigen Aufruf bemüht sich die EU-Kommission, den zunehmenden Regulierungsversuchen auf nationaler Ebene zuvorzukommen. Im Mai sollen endgültige Vorschläge präsentiert werden, in Sachen Urheberrecht will man erst im Herbst einen Gesetzesentwurf präsentieren, der dann eine Öffnung für viele hunderttausend Jobs bei Online-Diensten, App-Entwicklern und Inhalte-Anbietern schaffen soll. Die Kommission arbeitet tatsächlich mit einem Großaufgebot an dem digitalen Aktionsplan: Immerhin sind acht Mitglieder an den Vorarbeiten beteiligt.

Im Europäischen Parlament dürfen sie auf Rückendeckung setzen. Nicht aber bei den Mitgliedstaaten. Die hatten erst vor wenigen Wochen einen Vorstoß der Brüsseler Institutionen zur Abschaffung der Roamingaufschläge schon im Dezember dieses Jahres auf 2018 verschoben und damit allen Versuchen, schneller digital zusammenzuwachsen, eine Absage erteilt. Ob die zuständigen Wirtschaftsminister nun bereit sind, im Internet nationale Hindernisse abzubauen und einheitliche Verbraucherschutz- und Rechtsgrundlagen zu schaffen, darf man bezweifeln.

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