Milchpreis unter 20 Cent „Die Lage ist so ernst wie nie“

Bonn/Brüssel · Der Tiefstand beim Milchpreis zwingt viele Landwirte zur Aufgabe. Auch Betriebe in der Region kämpfen ums Überleben. Doch die EU will politische Eingriffe vermeiden.

Für den Bonner Landwirt Philip Huttrop vom Gut Marienforst ist die Schmerzgrenze längst überschritten. „Die Lage ist so ernst wie nie zuvor. Wir können die laufenden Kosten einfach nicht mehr decken“, sagt Huttrop. In seinem Betrieb produziert er rund 650 000 Liter Milch im Jahr. 80 Kühe stehen bei ihm auf der Weide. Ohne finanzielle Rücklagen, von denen er bis jetzt zehren konnte, hätte er bereits aufgeben müssen. „Bei anderen Landwirten in der Region, die zum Beispiel noch größere Kredite laufen haben, sind die Sorgen noch größer. Ich kenne einige, die bereits aufgegeben haben.“

Der neue Tiefstand beim Milchpreis sei eine „absolute Katastrophe“, findet auch Christoph Könen, Bezirks- und Kreisgeschäftsführer der Kreisbauernschaft Bonn/Rhein-Sieg. Zwar gebe es durchaus noch Unterschiede bei den Molkereien – der kolportierte Betrag von 18 oder 19 Cent pro Liter sei noch eine Ausnahme – doch auch der aktuelle Durchschnittspreis von 24 Cent, den die Landwirte in der Region erhalten, sei bereits viel zu niedrig. „Ich kenne keinen Betrieb in Bonn und dem Rhein-Sieg-Kreis, der für 24 Cent produzieren kann“, so Könen.

Zum Vergleich: „46 Cent, die Discounter aktuell für den Liter Milch nehmen, haben vor ein paar Jahren noch die Landwirte bekommen“, sagt Könen. Überschüsse bei der Milchproduktion und die starke Konzentration auf dem im Lebensmitteleinzelhandel seien Schuld an der Misere. „Aldi und Co. haben eine enorme Marktmacht.“ Könen hofft daher auf den von Agrarminister Christian Schmidt (CSU) angekündigten „Milchgipfel“. Zudem müssten Überschüsse in der Produktion beseitigt werden, „sonst wird sich gar nichts ändern“. Dazu fehle es aber auch an der Einigkeit unter den Landwirten, sagt Philip Huttrop. „Aus einzelbetrieblicher Sicht ist es nun einmal wichtig, die Produktion möglichst effizient zu machen, und die Produktion zu steigern, doch das passt nun einmal nicht zur aktuellen Marktsituation.“

„Die Betriebe im Rhein-Sieg-Kreis haben kaum Möglichkeiten, etwas anderes zu machen“, sagt Könen. In der Region gebe es viel natürliches Grünland, das nur zur Viehhaltung genutzt werden darf. „Bei der Alternative zur Milchproduktion, der Fleischproduktion, bietet sich den Landwirten keine bessere Perspektive.“ Auch für Bauer Huttrop ist die Alternative, ausschließlich auf Fleischproduktion zu setzen, keine Lösung. Die Ankündigung der Bundesregierung, den Landwirten mit einem Millionenbetrag unter die Arme zu greifen, sei ein erster richtiger Schritt, doch auch strukturelle Änderungen seien nötig. Seiner Ansicht nach sei der Dammbruch beim Preisverfall der Wegfall der Milchquote in der EU gewesen. „Die Quote passte nicht mehr in die globalisierte Wirtschaft“, sagt Huttrop – jedenfalls gelte das für die EU. „Was wir allerdings noch brauchen ist ein Außenschutz des europäischen Marktes.“

Europas Agrarminister waren gestern gerade in Brüssel eingetroffen, als sie neue Hiobsbotschaften hören mussten: Seit Beginn der Milchpreis-Krise mussten nach Angaben der Arbeitsgemeinschaft bäuerlicher Landwirtschaft (AbL) rund 4000 Höfe aufgeben. Etwa 75 000 Betriebe produzieren in Deutschland noch – weniger als die Hälfte wie noch vor 20 Jahren. In Frankreich sei die Lage noch dramatischer. Spanien, Italien, Portugal – von überall her kommen Katastrophenmeldungen. „Die Mengen, die im Markt verkraftbar sind, drücken auf den Preis und hier müssen wir gemeinsam gegensteuern“, sagte der österreichische Agrarminister Andrä Rupprechter. Bundeslandwirtschaftsminister Schmidt hatte schon vorher sein Credo „Die Milchkrise muss im Markt gelöst werden“ unterstrichen. Dennoch wiederholte er mit Blick auf den deutschen Milchgipfel Ende Mai in Berlin, die Bundesregierung werde „den Bauern mit Steuererleichterungen und Liquiditätshilfen zur Seite stehen“. Der Vorsitzende des Bundesverbandes Deutscher Milchviehhalter, Romuald Schaber, nannte das „völligen Quatsch“, weil „das verpufft“.

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