René Obermann im Interview "Die Telekom-Spitzelaffäre war ein Trauma"

BONN · Zwischen Weihnachten und Neujahr verbringt Telekom-Vorstandschef René Obermann seine letzten Arbeitstage in der Bonner Konzernzentrale. Im neuen Jahr wechselt sein Vorstandskollege Timotheus Höttges auf den Chefsessel. Mit Obermann sprachen Rüdiger Franz, Claudia Mahnke und Delphine Sachsenröder über Gefahren der Lauschangriffe für die Gesellschaft und seine ersten Sprachversuche auf Niederländisch.

Was bedeutet der Abschied von der Telekom für Sie?
René Obermann: Es war ein langer Lebensabschnitt, der nicht völlig zu Ende ist, weil wir ja in Bonn wohnen bleiben. Insofern wechsele ich vor allem den Arbeitgeber. Das wird emotional wahrscheinlich schwieriger, als ich derzeit denke. Ich verdränge es noch.

Wie ist die Entscheidung zum Wechsel zustande gekommen?
Obermann: Die Arbeit an der Spitze eines so großen Konzerns ist faszinierend. Als Telekom-Vorstandsvorsitzender kann man allerdings nicht in die Tiefe der einzelnen Themen dringen. Das fehlt mir häufig. Früher als T-Mobile-Chef konnte ich auf Augenhöhe mit den Technikern über die Produktentwicklungen reden. Dazu kommt, ich bin neugierig, eine andere Arbeitswelt kennenzulernen. Man tut gut daran, nicht ewig an seinem Stuhl zu kleben. Das ist für die Firma nicht gut und für einen selber auch nicht.

Sie waren einer der jüngsten Vorstandschefs eines Dax-Unternehmens. Was hat das für Vor- und Nachteile gehabt?
René Obermann: Erfahrung kann man durch nichts ersetzen. Deshalb bin ich heute in schwierigen Situationen gelassener und souveräner. Es hat aber auch was, schwärmerisch und utopisch zu sein. Das ist eben der Vorteil, wenn man jung in ein Amt kommt.

Was würden Sie als Ihren größten Erfolg bezeichnen?
Obermann: Dass wir gegen den Industrietrend wachsen. Wichtig für die Firma war auch, in den USA die Kurve bekommen zu haben, und das aus schwieriger Lage heraus. Ich bin zudem sehr stolz auf unser Team hierzulande, weil uns vor fünf, sechs Jahren niemand zugetraut hätte, dass wir heute mit Abstand Qualitäts- und Marktführer sind. Ich bin auch froh, dass wir die langjährigen Probleme in Polen und Großbritannien in den Griff bekommen haben.

Wie steht es um Misserfolge?
Obermann: Wir hatten viele Krisen zu bewältigen: Die Bespitzelungsaffäre zum Beispiel war ein Trauma, eine emotionale Achterbahnfahrt und kraftraubend. Oder der untersagte Versuch, unser US-Geschäft an AT&T zu verkaufen. Auch die Auseinandersetzungen in 2007 mit dem Sozialpartner waren extrem schwierig, aber notwendig.

Warum?
Obermann: Weil wir schlichtweg nicht wettbewerbsfähig waren, was wir heute wieder sind, und weswegen wir in einigen Bereichen auch wieder einstellen können. Die Mitarbeiter sind damals auch nicht durch den sozialen Rost gefallen, es gab keine betriebsbedingten Kündigungen.

Ihr Nachfolger Timotheus Höttges ist ein enger Vertrauter und will Ihre Strategie, wie er sagt, "weiterentwickeln". Hätte dem Konzern ein Blick von außen nicht gut getan?
Obermann: Kontinuierliche Unternehmensführung ist gerade bei einem so großen Konzern mit so langfristig angelegten Investitionen in Milliardenhöhe viel besser als ständiger Prophetenwechsel. Herr Höttges kennt das Unternehmen gut, ist ein exzellenter Analytiker und mit der Industrie bestens vertraut.

Was geben Sie Ihrem Nachfolger mit auf den Weg: Wo muss die Telekom stärker werden?
Obermann: Er wird die Vielfalt der Aktivitäten, die in den vergangenen Jahren eingeleitet wurden, um den Rückgang des klassischen Festnetzgeschäftes aufzufangen, weiter entwickeln. Er wird sicher auch kritisch prüfen, worauf sich die Telekom langfristig konzentrieren sollte. Aber das muss ich ihm nicht raten. Er wird es sowieso tun.

Die Telekom sucht wie ihre Konkurrenten auch nach neuen Geschäftsmodellen. Welchen Technologien räumen Sie dabei die größten Chancen ein?
Obermann: Intelligente Netze und Internet der Dinge. Immer mehr Gegenstände werden über das Netz verbunden. Das reicht von der Straßenlaterne bis zum Auto, vom Mähdrescher bis zum Getreidesilo, von der Heizung über Kleidung bis zum Kühlschrank. Wo zählen, messen, wiegen und kommunizieren sinnvoll ist, können sich Maschinen über intelligente Netze direkt austauschen, etwa im Energiebereich oder der Medizin. Eine wichtige Rolle spielen extrem leistungsfähige Minichips und die schnellen Mobilfunknetze. Ein Smartphone hat heute schon mehr Speicherkapazität als ein Computer vor ein paar Jahren.

Die Telekom kauft in der Regel fertige Technologien zu. Muss sie künftig mehr selbst entwickeln?
Obermann: Wir sind stark engagiert bei anwendungsbezogener Forschung, an mehreren Standorten weltweit, etwa in Israel. Wir investieren zum Beispiel viel in die Entwicklung immer schnellerer und effizienterer Netze. Dadurch, dass weltweit in den kommenden Jahren circa 50 Milliarden Geräte und Maschinen ans Netz geschaltet werden und der Videoverkehr explodiert, steigt das Datenvolumen enorm an. Außerdem forschen und entwickeln wir in punkto Sicherheit der Netze.

Welche Rahmenbedingungen für die Telekom erwarten Sie von der geplanten großen Koalition in Berlin?
Obermann: Die Netzinfrastruktur in Deutschland braucht Milliardeninvestitionen. Wenn Unternehmen die Investitionen tätigen, müssen sie sich auch auszahlen. Das ist heute zum Teil sehr schwierig. Die bisherige Netzregulierung führt dazu, dass sich manche Investitionen in ländlichen Gebieten wirtschaftlich nicht lohnen. Der Koalitionsvertrag enthält einige gute Ansätze, die Umsetzung bleibt abzuwarten.

Haben Sie ein abhörsicheres Handy?
Obermann: Das ist eine gute Frage. Hundertprozentigen Schutz gibt es nicht, jedenfalls nicht gegen professionell geführte und gezielte Attacken. Aber wir haben gerade als erster Anbieter das Schutzniveau mit neuer Verschlüsselungstechnik verbessert, und bieten Kryptohandys an.

Sie haben deutliche Kritik an der Linie der Politik in Sachen NSA-Spähaffäre geübt.
Obermann: Meine konkrete Kritik richtet sich vor allem an die EU: Es wird zu wenig Druck gemacht, um den Datenschutz europäisch zu vereinheitlichen und ihn transatlantisch auf eine solidere Rechtsgrundlage zu stellen.

Welche gesellschaftlichen Gefahren sehen Sie?
Obermann: Eine Gesellschaft, die unter dem Eindruck stehen muss, dass private Kommunikation nicht mehr verlässlich privat ist, wird sich langfristig normiert verhalten. Google-Chef Eric Schmidt soll einmal gesagt haben: Was man vertraulich halten will, sollte man gar nicht erst tun. Das ist ein Verständnis von Freiheit und Bürgerrechten, das ich nicht teile. Ich finde, wir sind bei George Orwell angekommen, und viele nehmen es achselzuckend hin. Das ist für mich nicht akzeptabel. Und auch die Unternehmen sind hier gefordert.

In welcher Hinsicht?
Obermann: Wir alle haben die Pflicht, Kundendaten bestmöglich zu schützen. Vor einigen Jahren gab es damit in unserer Branche heftige Probleme. Wir bei der Telekom haben viel investiert und gelten heute als Vorbild. Aber der technologische Wettlauf geht weiter, es gilt ständig Angriffe abzuwehren. Die Politik kann nur strenge Rahmenbedingungen setzen. Und hierbei geht es bei weitem nicht nur um die Sorge um ausländische Geheimdienste, sondern vor allem um den Schutz vor Internetkriminellen.

Ihr neuer Arbeitgeber, Ziggo, ist ein niederländischer Mittelständler. Was erwarten Sie von dem neuen Job?
Obermann: Ich mag die Niederländer. Sie sind sehr pragmatisch und unprätentiös. Klar, mit neuer Sprache und neuer Arbeitsumgebung wird es sicher nicht einfach. Ich lerne derzeit Niederländisch und übersetze alles, was ich nicht verstehe, über mein Smartphone.

Sie wollen auch nach Ihrem Jobwechsel in Bonn wohnen bleiben. Welche Chancen räumen Sie dem Projekt Festspielhaus ein?
Obermann: So ein Festspielhaus muss sich langfristig wirtschaftlich tragen können und für Sponsoren einen Gegenwert bieten. Ich sehe das im Moment nicht. Noch ein Wort zu Bonn: Lassen Sie mich hier zum Schluss sagen, dass ich mich in unserer Stadt sehr wohl fühle.

Zur Person

René Obermann leitet die Telekom seit sieben Jahren als Vorstandsvorsitzender. Insgesamt arbeitet der 50-Jährige seit 16 Jahren für den Bonner Konzern. Der gelernte Industriekaufmann hat sein Studium abgebrochen, um sich dem mit einem Geschäftspartner gegründeten Unternehmen, einem Handel mit Telekommunikationstechnik, zu widmen.

Nach seinem Ausstieg bei der Telekom plant Obermann, im Januar zum deutlich kleineren niederländischen Kabelnetzbetreiber Ziggo zu wechseln. Seit November sitzt er außerdem im Aufsichtsrat von ThyssenKrupp. Obermann ist in zweiter Ehe mit der Fernsehmoderatorin Maybritt Illner verheiratet und lebt mit ihr in Bonn.

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