Frauenrechte in Bonn Eine Frau im Kampf um Gleichberechtigung

Bonn · 1984 fand in Bonn vielleicht die größte Frauendemo Deutschlands statt. Mitorganisatorin Heidi Baumann erzählt von der „Aktion Muttertag“ und was aus den Forderungen geworden ist.

 "Wir machen Putz in Bonn" forderten Frauen auf der Demonstration am 12. Mai 1984 zum Muttertag. Die Bonnerin Heidi Baumann ist die dritte von links.

"Wir machen Putz in Bonn" forderten Frauen auf der Demonstration am 12. Mai 1984 zum Muttertag. Die Bonnerin Heidi Baumann ist die dritte von links.

Foto: dpa

„Wir waren wild entschlossen, die Hälfte des Himmels für uns Frauen zu erobern“, erinnert sich Heidi Baumann. Die 70-jährige Bonnerin entdeckte kürzlich im Wirtschaftsteil des General-Anzeigers ein Foto vom 12. Mai 1984, auf dem sie in der ersten Reihe marschiert. Am Tag vor dem Muttertag kamen damals 15 000 Frauen aus ganz Deutschland nach Bonn, um für Frauenrechte zu demonstrieren. Motto: „Nicht nur Blumen – Rechte fordern wir.“ Zum Abschluss gab es eine große Kundgebung auf der Hofgarten-Wiese.

Die „Aktion Muttertag“ 1984 war vielleicht die größte Frauendemo in Deutschland. Der Muttertag war auch damals ein kontrovers diskutierter Feiertag. 213 Frauen hatten dazu aufgerufen, gegen die Politik der Bundesregierung, für die Verteidigung der Frauenrechte und des Friedens zu demonstrieren.

Frauenbündnis als Protest gegen Ungleichheit

Eine der Organisatorinnen der Proteste war Heidi Baumann. Die gebürtige Itzehoerin war nach dem Studium im Baden-Württemberg 1975 nach Bonn gekommen. Auf dem Foto ist die pensionierte Studiendirektorin, die viele Jahre am Rhein-Sieg-Gymnasium in Sankt Augustin Deutsch und Geschichte unterrichtete, die Dritte von links. „Gut gelaunte, streitlustige Frauen, die drohend ihre Schrubber erhoben haben“, beschreibt sie die Stimmung.

Es sei um die Durchsetzung der Gleichberechtigung auf allen Ebenen gegangen. Und warum der Verzicht auf Blumen? „Wir Frauen wollten uns nicht mehr mit Blumen und schönen Worten abspeisen lassen, wie jedes Jahr zum Muttertag, und haben deshalb 1984 ein Frauenbündnis quer durch die Republik und quer durch alle Parteien, Gewerkschaften und Gruppierungen initiiert.“

Baumann vertrat die Fraueninitiative 6. Oktober, die zur damals sehr lebendigen autonomen Frauenbewegung gehörte. Als die Bundestagswahl am 5. Oktober 1980 nur wenige Frauen ins Parlament gebracht hatte, gründeten Frauen kurze Zeit später in Bonn die Initiative. Sie wollten sich fortan vernetzen, um besser auf die Politik reagieren, über diese informieren und eigene Aktionen initiieren zu können. Die Gruppierung war später bundesweit tätig und veranstaltete jährlich einen Kongress in Bonn.

Kampf um Gleichstellung der Geschlechter als Lebensaufgabe

Damals war ihr das Engagement sehr wichtig: „Die Frauenbewegung – das war mein Leben.“ Heute könne sie gar nicht mehr sagen, wie sie das als Alleinerziehende mit einem kleinen Kind zeitlich alles geschafft habe. Ursprünglich sei es um Fragen wie „Wer bin ich?“ gegangen, denn das Selbstbild der Frauen sei damals sehr durch Männer dominiert gewesen. Frauen erkämpften eine Änderung des Paragrafen 218, der zuvor Abtreibung generell unter Strafe gestellt hatte. Außerdem machten sie die Gleichstellung der Geschlechter in allen gesellschaftlichen Bereichen zum Thema. Frauen durften dann erst ohne Zustimmung des Ehemanns arbeiten.Vergewaltigung in der Ehe wurde strafbar und das Recht auf Teilzeitarbeit festgeschrieben.

Die Verteilung von Macht, Geld und Einfluss zwischen den Geschlechtern hat sich in den vergangenen 33 Jahren geändert. Baumann sieht eine gemischte Bilanz: „Wir haben einiges erreicht in den vergangenen Jahrzehnten, aber es gibt noch viel zu tun.“ Gut findet sie, dass soziale Errungenschaften wie das Elterngeld es jungen Familien heute einfacher mache. Sie habe acht Wochen nach der Geburt ihres Sohnes wieder arbeiten müssen.1984 sei eine Forderung gewesen, Zeiten der Kindererziehung auf die Rente anzurechnen.

Forderung nach Lohngleichheit weiterhin aktuell

Das sei heute selbstverständlich und mit der Mütterrente auch für Geburten vor 1992 umgesetzt. Auch die Möglichkeiten der Kinderbetreuung seien heute natürlich vielfältiger geworden, wenn auch noch nicht überall ausreichend. Doch die Diskriminierung von Frauen auf dem Arbeitsmarkt zum Beispiel sei bis heute nicht überwunden: „Unsere Forderung nach gleichem Lohn für gleiche Arbeit von 1984 bleibt in absurder Weise weiter aktuell.“ Das lasse sich am Gesetzentwurf des Familienministeriums zur Lohngerechtigkeit ablesen.

Sie stelle sich oft die Frage, ob junge Frauen sich heute der Gefahr bewusst seien, dass Rückschritte in Fragen der Gleichberechtigung durchaus möglich seien. Sie sehe die Gefahr durch anstehende politische Veränderungen in diesem Jahr. Der neue US-Präsident Donald Trump äußere sich bereits offen frauenfeindlich und setze sich gegen das Recht auf Abtreibung ein. Ausländische Organisationen dürfen nach einer Anweisung von ihm nur dann Entwicklungshilfe von den USA bekommen, wenn sie keine Abtreibungsberatung anbieten oder Abtreibungsempfehlungen aussprechen. Auch Gewalt gegen Frauen stehe immer noch auf der Tagesordnung. Deshalb engagiere sie sich im Vorstand der Hilfs- und Frauenrechtsorganisation medica mondiale, die sich weltweit für Frauen und Mädchen in Kriegs- und Krisengebieten einsetzt.

Mit acht Frauen, die ebenfalls in den 80er Jahren in Bonn in der Fraueninitiative 6. Oktober engagiert waren, trifft sich Baumann, die mit ihrem Lebensgefährten in Vilich-Müldorf lebt, noch alle zwei Wochen. Sie diskutieren stets über ein zuvor festgelegtes Thema wie beispielsweise Digitalisierung. Und so findet das frühere Leitmotiv der Frauenbewegung, das als privat Erlebte in die Politik zu tragen („Das Private ist politisch“) heute noch seine Umkehrung.

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