Interview mit Maria Flachsbarth „Es ist vernünftig, Tiere anständig zu behandeln“

Bonn · Das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) hat vor zwei Jahren eine Initiative für mehr Tierwohl gestartet und will zusammen mit Landwirten auf freiwilliger Basis für bessere Haltungsbedingungen sorgen.

Auch der Lebensmitteleinzelhandel hatte eine Initiative gegründet: Die beteiligten Einzelhändler zahlen vier Cent mehr pro Kilo Fleisch an Bauern, die die Haltungsbedingungen ihrer Tiere verbessern. Dennoch gibt es Kritik. Die Missstände in deutschen Ställen würden nur kaschiert. Zudem diskutiert Deutschland über das Vergasen und Schreddern männlicher Küken, die für die Lebensmittelindustrie uninteressant sind. Darüber sprach Andreas Dyck mit Maria Flachsbarth, Parlamentarische Staatssekretärin des BMEL.

Die Wurst ist die Zigarette der Zukunft, sagt ein Wursthersteller. Essen Sie noch Fleisch?

Maria Flachsbarth: Oh ja, ausgesprochen gerne und auch fast jeden Tag. Ich versuche, dabei auf gute Qualität zu achten. Das Fleisch sollte langsam und natürlich gewachsen sein. Aber die Dauer der Aufzucht bestimmt eben auch maßgeblich den Preis, und der Großteil des Fleischangebots richtet sich an sehr preisbewusste Verbraucher.

Diese Preise funktionieren bekanntlich nur dank Massentierhaltung. Kann es tierfreundliche Haltung so überhaupt geben?

Flachsbarth: Der Wissenschaftlicher Beirat für Agrarpolitik, Ernährung und gesundheitlichen Verbraucherschutz des Bundesministeriums hat in einer Studie festgestellt: Es gibt gute Tierhaltung in großen Betrieben und schlechte Tierhaltung in kleinen Betrieben. Es geht darum, wie Tiere gehalten werden, und nicht darum, wie viele es sind. Ein Beispiel: Als ich vor 30 Jahren Praktika im Rahmen meines Tiermedizinstudiums gemacht habe, gab es vor allem kleinere Milchviehbestände mit bis zu 30 Tieren und überall stand der Name der Kuh über dem Stand. Dort waren die Tiere aber angebunden, die standen bis März oder April im Stall. Heute gibt es moderne, große, offene Laufställe mit 200 Tieren. Da ist das Tierwohl wesentlich höher, obwohl die Zahl der Tiere gewachsen ist.

Was tut Ihr Ministerium für den Schutz von Tieren in der Landwirtschaft, welche Ziele verfolgen Sie?

Flachsbarth: Wir wollen, dass die Haltungsbedingungen sich verbessern. Dazu soll unter anderem auf sogenannte nicht-kurative Eingriffe verzichtet werden. Nicht-kurativ heißt, dass das Tier nicht krank ist, wenn der Tierarzt tätig wird. Dazu zählt das Beschneiden von Schwänzen bei Schweineferkeln und von Oberschnäbeln bei Legehennen und Puten. Dies wird gemacht, um abnormales Verhalten wie Kannibalismus zu verhindern, weil die Tiere mit den Haltungsformen, die wir ihnen im Moment zumuten, nicht zurechtkommen. Deshalb kommt es darauf an, Haltungsformen zu entwickeln, in denen Tiere solches Verhalten gar nicht erst ausbilden. Dazu bringen wir Erkenntnisse aus der Wissenschaft in die Praxis, indem wir die Bauern beraten.

Sie setzen bei Ihrer Initiative für das Tierwohl auf Freiwilligkeit. Bei Schweinefleischpreisen, die auf einem historischen Tiefpunkt angelangt sind, stellt sich schon die Frage, wer das bezahlen will.

Flachsbarth: Ja, wir setzen bei unserer Tierwohl-Initiative „Eine Frage der Haltung – neue Wege für mehr Tierwohl“ auf eine freiwillige Verbindlichkeit. Es geht uns nicht darum, dass der Gesetzgeber den Landwirten Vorschriften macht, und entweder die Landwirte können es umsetzen oder sie fliegen raus. Das haben wir bei der Sauenhaltung erlebt, wo wir größere Stallmaße vorgeschrieben haben. Dadurch sind zehn bis 15 Prozent der Sauenhalter auf der Strecke geblieben, für die es sich wirtschaftlich nicht mehr gelohnt hat. Damit drängen wir besonders die kleinen Betriebe aus dem Markt. Das sind aber andererseits die, die wir in unserer landwirtschaftlichen Struktur wollen. Deshalb hat sich Bundesminister Christian Schmidt für einen anderen Weg entschieden und gesagt, wir machen das im Rahmen der freiwilligen Verbindlichkeit und nehmen die Landwirte mit ins Boot.

Die Tiere werden häufig auf engstem Raum und unter unwürdigen Bedingungen gehalten. Braucht es da nicht schärfere Richtlinien in deutschen Tierställen, etwa für mehr Platz?

Flachsbarth: Es geht auch um mehr Platz, aber nicht nur. Und wir müssen auch ganz klar sagen, dass wir an der ein oder anderen Stelle in Zielkonflikte kommen. Wenn es zum Beispiel um EU-Richtlinien geht, die die Emissionen von Ammoniak begrenzen sollen, ist ein hermetisch abgeriegelter Stall natürlich wesentlich emissionsfreundlicher als eine Freilandhaltung. Nur zu sagen, das einzelne Tier hat zu wenig Platz, greift dann zu kurz. Wenn wir hierzulande zudem die Haltungsbedingungen beliebig hochschrauben durch gesetzliche Vorgaben, wird Nutztierhaltung in Deutschland nach und nach uninteressant und wir vertreiben Tierhalter ins Ausland. Dann haben wir als deutscher Gesetzgeber allerdings überhaupt keine Hand mehr auf die Tierhaltungsbedingungen und ein wesentlicher Wirtschaftszweig im ländlichen Raum geht verloren. Es ist aber unser Ziel, Nutztierhaltung in Deutschland weiterhin zu ermöglichen.

Bundesminister Christian Schmidt hat das Kükenschreddern aus ökonomischen Gründen verteidigt. Warum bringt ihr Ministerium kein Verbot dafür auf den Weg?

Flachsbarth: Es würde nicht helfen und nur unser Gewissen beruhigen. Verbieten können Sie es von heute auf morgen, aber Sie müssen für bestehende Betriebe Übergangsfristen einräumen. Wir setzen stattdessen auf die Förderung von Forschungsprojekten, die zum Beispiel daran arbeiten, dass männliche Embryos früh erkannt und dann nicht mehr ausgebrütet werden. All das in einem großtechnischen Umfang ins Laufen zu bringen, dafür braucht es allerdings Zeit. Doch für Übergangsfristen sind zehn bis 15 Jahre realistisch. Da glauben wir allemal, dass wir mit der Forschungsförderung erheblich schneller sind. Zudem würde ein Verbot bewirken, dass Küken aus Ländern wie Dänemark und den Niederlanden eingeführt würden, wo das Kükenschreddern dann nach wie vor praktiziert wird.

Was sagen die Landwirte dazu?

Flachsbarth: Die Landwirte wollen ordentlich für ihre Tiere sorgen. Zum einen aus emotionalen und ethischen, aber auch aus wirtschaftlichen Gründen: Ein Tier, dem es gut geht, wächst auch ordentlich, gibt viel Milch und legt viele Eier. Es ist also wirtschaftlich vernünftig, ein Tier anständig zu behandeln. Den Landwirten wurde aber in den letzten 30 Jahren seitens der Politik und Wissenschaft immer wieder gesagt, sie müssten weltmarktfähig sein und von Subventionen weg. Effizienz lautete das Schlagwort. Jetzt wird ihnen diese Effizienz beim Umgang mit den Tieren vorgeworfen. Die Aufgabe unseres Hauses ist es, mit den Landwirten gemeinsam an Lösungen zu arbeiten, statt ihnen den schwarzen Peter zuzuschieben.

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