Stromausfälle in Deutschland Experten warnen vor größeren Blackouts im Winter

BONN · Die Stromausfälle in den Wintermonaten nehmen zu. Experten warnen vor einem größeren Stromausfall in Deutschland in diesem Winter. Das Rheinland scheint allerdings vergleichsweise sicher sein.

 Ein Hubschrauber fliegt 2005 über umgeknickte Strommasten auf einem Feld bei Laer in der Nähe von Münster. 50 Hochspannungsmasten im Münsterland sind nach starken Schneefällen eingeknickt, 250.000 Menschen fehlt mehrere Tage der Strom.

Ein Hubschrauber fliegt 2005 über umgeknickte Strommasten auf einem Feld bei Laer in der Nähe von Münster. 50 Hochspannungsmasten im Münsterland sind nach starken Schneefällen eingeknickt, 250.000 Menschen fehlt mehrere Tage der Strom.

Foto: dpa

Es waren Bilder wie aus einem Hollywood-Film: Menschen sitzen in Wolldecken gehüllt in ihren mit Kerzen beleuchteten Wohnzimmern. Städte wie Ochtrup liegen im Dunkeln, nur vereinzelte Auto-Scheinwerfer beleuchten nachts die schwarzen Häuserschluchten. Tagsüber kreisen Hubschrauber mit Technikern über den Hochspannungsmasten, die unter der Last des Neuschnees wie Zahnstocher abgeknickt sind.

Im November 2005 legt ein früher Wintereinbruch im Münsterland die Energieversorgung lahm. Plötzlich geht das Licht aus. Rund 250.000 Menschen müssen bis zu fünf Tage ohne Strom auskommen: der größte Blackout in der Geschichte Deutschlands.

Noch schlimmer hätte es in diesem Februar kommen können. Die Bürger erfuhren erst Tage später: Das deutsche Stromnetz stand an mehreren kalten Wintertagen - zusätzlich belastet durch riskante Stromhandelsgeschäfte - kurz vor dem Zusammenbruch. Notreserven mussten angezapft werden, um die Versorgung zu stabilisieren.

"Die Situation im Stromnetz im Winter 2011/12 war sehr angespannt", bestätigt im Nachhinein die Bonner Bundesnetzagentur in einem Lagebericht.

Auch in diesem Winter besteht nach Ansicht von Experten die Gefahr eines größeren Stromausfalls in Deutschland. "Die Situation hat sich gegenüber dem vergangenen Jahr nicht verändert", sagt Andreas Preuß, Sprecher des Netzbetreibers Amprion, der die Höchstspannungsleitungen von RWE 2011 übernommen hat. "Es wurden zahlreiche Kraftwerke abgeschaltet, gleichzeitig fehlen Leitungen."

Stromkunden in Bonn und Umgebung können nach seiner Einschätzung jedoch aufatmen: "Hier ist die Versorgung wegen der Nähe zum rheinischen Braunkohlerevier vergleichsweise sicher", sagte Preuß dem General-Anzeiger. Engpässe fürchte der Netzbetreiber vor allem im Raum Frankfurt/Mainz/Wiesbaden.

Hier will Amprion mit den einzelnen Stadtwerken Vereinbarungen treffen, welche Stadtteile im Notfall vom Netz genommen werden, um einen kompletten Zusammenbruch zu verhindern. In anderen Regionen haben Netzbetreiber mit Strom-Großkunden aus der Industrie Abmachungen getroffen, diese bei Engpässen vorübergehend vom Netz zu nehmen - gegen Entschädigungszahlungen.

Auch die Bundesregierung fürchtet offenbar um die Stromversorgung der Bürger. Wirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP) hält nach Angaben einer Sprecherin die Lage "auch in diesem Jahr für angespannt". Bundesumweltminister Peter Altmaier (CDU) gibt sich optimistischer und wies die Gefahr eines größeren Stromausfalls zuletzt in Interviews zurück.

Immerhin scheinen die Befürchtungen der Bundesregierung doch so gravierend zu sein, dass das Kabinett am Mittwoch ein Gesetz beschloss, mit dem der Staat bestimmten Kraftwerken im Winter verbieten kann, den Betrieb einzustellen. Eigentlich unrentable Stromerzeuger sollen im Krisenfall ab dem Winter 2013/14 zur Produktion gezwungen werden können. Die finanzielle Entschädigung dafür zahlen nach den Plänen der Bundesregierung die Stromkunden über eine Umlage.

Die Bonner Bundesnetzagentur verwies noch im September auf die "weiterhin hohe Versorgungsqualität" des deutschen Stromnetzes. Im Durchschnitt sei jeder Haushalt im vergangenen Jahr 15,31 Minuten von Ausfällen betroffen gewesen.

Bei der Diskussion um einen drohenden Blackout geht es um Geld, aber auch um Taktik. Der Stromausfall ist längst Politikum. Im vergangenen Winter warnten gerade die Interessengruppen besonders eindringlich vor der Katastrophe, die durch die Energiewende Einbußen befürchten. Schließlich werden die Stromnetze vor allem durch das Abschalten der Kernkraftwerke überlastet.

Unter anderem durch den Ausbau der Erneuerbaren Energien müssen bis zum Jahr 2022 nach dem Netzentwicklungsplan der Bundesregierung 3800 Kilometer neue Stromleitungen gebaut werden. Durch sie soll zum Beispiel die Energie aus den Windparks an der Nordsee zu den südlichen Bundesländern fließen, wo die Industrie viel Strom braucht.

Aber nicht nur die fehlenden Übertragungskapazitäten können dazu führen, dass das Licht ausgeht. Experten halten die modernen Netze, die sogenannten "smart grids" für besonders störungsanfällig, etwa durch Hacker-Angriffe. Die neuen Systeme sind keine einfachen Leitungen mehr, sie koordinieren Stromerzeugung und -verbrauch.

Sie transportieren nicht nur Energie, sondern auch Daten. "Das könnte eine Achillesferse des Energiesystems werden", fürchtet Thomas Petermann. Der Experte hat im Büro für Technikfolgen-Abschätzung des Deutschen Bundestags (TAB) 2011 eine Studie über die Gefahren eines Blackouts verfasst.

Petermann fordert, den Sicherheitsaspekt in der Energiewende stärker zu beachten. Bisher seien die möglichen Folgen eines Stromausfalls bis hin zum kompletten Zusammenbruch der öffentlichen Ordnung "ein blinder Fleck in der gesellschaftlichen Wahrnehmung", sagt er. In der Politik hätten seine Warnungen allerdings Gehör gefunden. Seit der Veröffentlichung der Studie werde mehr zur Vorbeugung getan.

Auch für die Katastrophenhilfe in Deutschland ist der große Stromausfall ein gefürchtetes Szenario. Entsprechende Pläne entstehen unter anderem in Bonn-Lengsdorf. Hier arbeiten die Experten des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe etwa an Empfehlungen, wie die Notstromversorgung in Deutschland von vielen Einzelmaßnahmen auf einen Gesamtplan umgestellt werden kann.

Laut einer aktuellen Umfrage des Landes sind die Bürger kaum auf einen Notfall vorbereitet. Die wenigsten horten Lebensmittel, Wasser, Batterien oder besitzen gar Notstromaggregate, so Behörden-Sprecherin Ursula Fuchs. "Je städtischer die Menschen leben, desto schlechter sind sie für eine Krise gerüstet."

Viele Menschen gingen fälschlich davon aus, zwei Wochen ohne Strom gut überstehen zu können. "Die wenigsten wissen, dass relativ schnell die Abwasserversorgung zusammenbricht und auch das Handynetz nicht mehr funktioniert", sagt sie.

Vor fünf Jahren im Münsterland mussten viele Menschen schmerzlich erfahren, wie schnell die Stromversorgung lebenswichtig wird. Wie der Landwirt, der seine mehr als 100 Kühe nur in letzter Minute durch ein Notstromaggregat aus den Niederlanden retten konnte: Ohne Strom waren die Melkmaschinen ausgefallen. Die Tiere hätten mit den übervollen Eutern nicht mehr lange überlebt.

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