Virologe beim Wirtschaftstalk in Bonn Streeck: Stark ansteigende Coronafälle im Herbst möglich

Bonn · Hendrik Streeck hat beim 48. Wirtschaftstalk in Bonn bessere Konzepte zum Umgang mit der Corona-Pandemie im Herbst gefordert. Der Virologe warnt, dass die Zahlen wieder stark ansteigen könnten. Die Wirtschaftsvertreter sprachen hingegen von glänzenden Aussichten.

 Der Bonner Virologe Hendrik Streeck.

Der Bonner Virologe Hendrik Streeck.

Foto: obs/Johann Saba

Viel Licht, aber auch am Horizont ein dräuender Schatten prägte den 48. Bonner Wirtschaftstalk im Bonner Kunstmuseum. Über Youtube live ausgestrahlt zeigten sich Vertreter der heimischen Wirtschaft im zweiten Jahr der Pandemie im Gespräch mit dem Journalisten Christian David zuversichtlich, dass die Krise ohne allzu große Blessuren ausklingen wird.

Uwe Borges, als Vorstandsmitglied der Sparkasse Köln/Bonn für Firmenkunden zuständig, verwies dazu auf die Bilanz des eigenen Hauses. „2020 war ein ganz normales Risikovorsorgejahr“, sagte Borges. Auch der Puffer für Kreditausfälle im laufenden Jahr werde bis zur Jahreshälfte absehbar nicht angegriffen. Borges ist deshalb überzeugt: „Die Wirtschaft kommt ausgesprochen gut durch die Krise. Kurzarbeitergeld, Überbrückungshilfen und Förderkredite haben Firmen erfreuliche Liquidität gesichert.“ Die Lage sehe damit erfreulich besser aus als von Wirtschaftsverbänden vermutet. Der Hotel- und Gaststättenverband Dehoga hatte beispielsweise erwartet, jedes dritte Unternehmen in diesem Sektor werde die pandemiebedingten Einschränkungen wirtschaftlich nicht überstehen.

Pleitewelle in Unternehmen blieb bisher aus

Auch nachdem Unternehmen in wirtschaftlicher Schieflage seit dem 1. Mai wieder ein Insolvenzverfahren beantragen müssen, sei eine Pleitewelle bislang gänzlich ausgeblieben, betonte Christian Senger. Der Fachanwalt für Insolvenzrecht verwies zudem auf so niedrige Insolvenzzahlen wie zuletzt im Jahr 2000. Allerdings seien viele Corona-Hilfen auch bis zum 30. September verlängert worden und würden teils „mit der Gießkanne“ verteilt. Spannend werde die Zeit danach, wenn erste Rückzahlungsverpflichtungen griffen und zusätzliche Faktoren wie steigende Energiekosten die Bilanzen belasteten. „Jeder Geschäftsführer muss sich jetzt überlegen, wie er nach dem 30. September dasteht“, appellierte Senger nicht ganz ohne Eigennutz. Er ist stark in der Sanierungsberatung engagiert.

Von überaus erfreulichen Perspektiven berichtete Thomas Voß aus der Praxis. Voß ist Geschäftsführer des Stahlprofil-Herstellers Mannstaedt in Troisdorf. Nach dem Beginn der Pandemie sei der Absatz von April bis in den Herbst letzten Jahres eingebrochen. Kunden hätten teils ihre Betriebe stilllegen müssen. Mittlerweile verkaufe man allerdings deutlich über Vorkrisenniveau. Viele Nachholeffekte seien zu spüren. Auch eine Impfung der Belegschaft sei bereits vorbereitet. Man warte nur auf die Impfstoffzuteilung.

Streeck: Wir können nicht vorhersehen, wie es nach dem Sommer weitergeht“

Mehr konzeptionelle Arbeit mahnte hingegen der Bonner Virologe Hendrik Streeck dringend von den politischen Entscheidungsträgern beim Bund und in den Ländern an. Die Impfkampagne bedeute keineswegs zwangsläufig das Ende der Pandemie. Zwar werde das warme Wetter die Infektionszahlen niedrig halten. „Wir können aber nicht vorhersehen, wie es nach dem Sommer weitergeht.“

Streeck sieht zwei Hauptrisiken. Da ist einerseits die aus Indien stammende Delta-Variante des Virus, die zu einer höheren Virenlast führt und die als deutlich ansteckender gilt als der Urtyp. Andererseits sei das Virus auch im Rachen geimpfter Personen nachweisbar. Diese würden zwar nicht schwer erkranken, seien aber dennoch ansteckend. „Wir können damit eine Herdenimmunität nicht erreichen, nur einen Herdeneffekt“, warnte Streeck. Die Verantwortlichen müssten den Sommer für durchdachte Konzepte nutzen, „wie wir mit ansteigenden Zahlen im Herbst umgehen“. Auch stark ansteigende Zahlen seien möglich.

Dringend müsse die Fixierung auf willkürliche Inzidenzwerte aufgegeben werden. „Die Festsetzungen bestimmter Werte ist weit weg von wissenschaftlicher Begleitung“, wandte der Virologe ein. Vielmehr gebe es einen direkten Zusammenhang zwischen der Zahl der Tests und der Zahl der erkannten Ansteckungen. Positive Testergebnisse bei Geimpften seien aber ohne Relevanz für die Belastung des Gesundheitswesens, da diese Personen nicht mehr schwer erkrankten. Langfristig müsse die Gesellschaft resilienter gegenüber künftigen Pandemien werden, forderte Streeck. Für den Karnevalsbeginn am 11.11. wolle er als Niedersachse jedenfalls noch keine Entwarnung geben.

Der Wirtschaftstalk ist eine Gemeinschaftsveranstaltung der Industrie- und Handelskammer Bonn-Rhein-Sieg mit der Sparkasse Köln/Bonn und den Bonner Stadtwerken.

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