Umbrüche auf dem Arbeitsmarkt Initiative will den Wandel der Arbeitswelt gestalten
Bonn · Die branchenübergreifende Firmeninitiative Allianz der Chancen sieht die Steuerung der Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt als nationale Aufgabe.
Für Birgit Bohle, Personalvorständin der Deutschen Telekom, liegt die Dimension des Themas klar auf der Hand: „Wir haben mehr als zehn Millionen Menschen, die bis 2030 deutlich weiterqualifiziert werden müssen. Davon müssen vier Millionen komplett neue Berufe erlernen. Das ist eine nationale Aufgabe.“
Demografischer Wandel, Digitalisierung, Dekarbonisierung sorgen für große Umbrüche auf dem Arbeitsmarkt. Um diese Veränderungen mitzugestalten, hat sich die Allianz der Chancen gegründet. Sie ist eine branchenübergreifende Initiative von 36 Unternehmen und Institutionen, bei denen mehr als 1,3 Millionen Beschäftigte in Deutschland arbeiten. Die Deutsche Post DHL Group und die Deutsche Telekom gehören dazu. Gut ein Jahr nach der Gründung zog die Allianz jetzt eine Zwischenbilanz.
„Unser Ziel ist es, von Arbeit in Arbeit zu vermitteln“, sagte Ariane Reinhart, Sprecherin der Initiative und Personalvorständin bei Continental. Der Strukturwandel müsse aktiv gestaltet werden, um Arbeitslosigkeit zu vermeiden. Erste bilaterale Projekte würden für einen Ausgleich zwischen Unternehmen mit Personalbedarf und -überschuss sorgen.
800.000 offene Stellen
Für Thomas Ogilvie, Personalvorstand der Post, ist es wichtig zu sehen, wie sich Arbeitsplatzprofile verändern: „Je besser wir die Veränderungen verstehen, desto besser können wir uns darauf einstellen.“ Hinzu komme die demografische Entwicklung: „Die Babyboomer gehen in Rente.“ Bis 2030 seien eine Million Menschen weniger auf dem deutschen Arbeitsmarkt. Schon heute seien 800 000 Stellen offen, viele davon im Handwerk. Die Lücke lasse sich nur mit gesteuerter Zuwanderung schließen. Es gehe auch darum, die Rente für künftige Generationen zu sichern. Bei der Zuwanderung gelte es, bürokratische Hürden abzubauen.
Reinhart findet das Qualifizierungschancen-Gesetz, bei dem die Bundesagentur für Arbeit Weiterbildungen finanziell fördert, hilfreich. Im Rückblick auf die zwei Jahre Corona-Pandemie mit viel Kurzarbeit frage sie sich, „warum wir diese Chance nicht genutzt haben“. Nur fünf Prozent von rund zwölf Millionen Beschäftigten in Kurzarbeit hätten sich in dieser Zeit weiterqualifiziert. „Dabei haben wir doch keine Zeit zu verlieren“, sagte Reinhart. Auch die Vermittlung in Praktika beispielsweise im Handwerk sei eine Alternative, um solche Zeiten zu überbrücken.
Balance zwischen Arbeits- und Freizeit
IG-Metall-Chef Jörg Hofmann hob das System der dualen Ausbildung in Deutschland hervor: „Wir haben gute Voraussetzungen, wo uns andere beneiden.“ Um mehr junge Leute für Engpass-Berufe zu begeistern, müssten sie in den Firmen aber attraktive Arbeitsbedingungen vorfinden, zum Beispiel durch eine angemessene Balance zwischen Arbeits- und Freizeit.
„Wichtig ist auch die Aussicht auf eine geförderte Bildungsteilzeit“, sagte Hofmann. In solchen Modellen widmen Beschäftigte, ähnlich wie bei Eltern- oder Pflegezeit, nur einen Teil ihrer Woche der Arbeit, während sie sich parallel weiterbilden.
Eine grundsätzliche Aufwertung der Berufsausbildung forderte die Personalvorständin des Energie- und Telekommunikationskonzerns EWE, Marion Rövekamp. Es sei nicht einfach, von Ausbildungsvergütungen zu leben. Hier müsse dafür gesorgt werden, dass durch Verzicht auf Sozialversicherungsbeiträge den Auszubildenden mehr netto übrig bleibe.