Interview mit Leiter der Arbeitsagentur Krause: Bonn zieht wie ein Magnet Arbeitskräfte an

Bonn · Stefan Krause leitet seit 1. Februar die Arbeitsagentur Bonn/Rhein-Sieg. Mit ihm sprach Claudia Mahnke.

Wie ist Ihr erster Eindruck vom Arbeitsmarkt in der Region Bonn/Rhein-Sieg?

Stefan Krause: Der Arbeitsmarkt brummt. Wenn man allein die leicht zurückgehenden Arbeitslosenzahlen betrachtet, könnte man ja denken, dass wenig los ist. Aber es stehen große Austauschprozesse dahinter: Viele melden sich arbeitslos, aber noch mehr finden einen neuen Job. Außerdem ist der Bonner Markt immer noch ein ganz besonderer: Er ist ein Akademikermarkt.

Was heißt das?

Krause: Die Akademikerstellen können gar nicht alle aus der Region heraus besetzt werden. Wir ziehen wie ein Magnet von außen Kräfte an. Das verteuert die Wohnungen. Und es hat Auswirkungen auf die Menschen am anderen Ende der Qualifikationsskala. Ein Leben in Bonn mit Hartz IV ist keine einfache Sache. Genauso schwer ist es für Menschen mit geringerer beruflicher Qualifikation, einen Job mit bedarfsdeckendem Lohn zu finden.

Es ist ja immer zu hören, dass es in Bonn wenig Helferstellen für ungelernte Kräfte gibt.

Krause: Es gibt sie – zumindest im Dienstleistungsgewerbe. Ich gebe mich nicht damit zufrieden, wenn ich höre, dass es in Bonn keine Helferstellen gibt. Im Gebäudereinigungsgewerbe und der Gastronomie gibt es Bedarf. Bonn hat natürlich nicht mehr so viel Industrie. Wir können aber dafür sorgen, dass Menschen eine industrielle oder gewerbliche Helferstelle im Rhein-Sieg-Kreis antreten können.

Wie?

Krause: Mobilität ist heute eine Schlüsselqualifikation. Wenn ein Bewerber durch eine längere Arbeitslosigkeit seine Mobilität eingebüßt hat, kann es im Einzelfall durchaus Fördermittel geben. Bewerber aus dem Rhein-Sieg-Kreis sind häufig mobiler als Bonner Bewerber.

Fachkräftemangel ist auch in der Region ein Thema. Wie kann er gelindert werden?

Krause: Das betrifft Handwerk, Pflege und Lebensmittelherstellung. Eine Besonderheit in der Region ist, dass IT-Unternehmen auch Probleme haben, ihre Stellen zu besetzen. Dabei geht es zum Beispiel um Fachinformatiker. Bei Fachleuten für Cybersicherheit, was hier in der Region eine immer größere Rolle spielt, finden die Firmen dann endgültig niemanden mehr. Hier werden Fachleute aus anderen Regionen Deutschlands angelockt werden müssen.

Woher kommt der starke Fachkräftemangel?

Krause: Bonn hat schon lange eine Bevölkerung mit einem hohen Anteil im Bildungsbürgertum. Die Kinder der Bonner machen oftmals Abitur. Dann studieren sie. Dadurch stehen sie für eine duale Berufsausbildung einfach nicht zur Verfügung. Es gibt immer weniger, die nach der Realschule in den Betrieb streben.

Was können Sie tun?

Krause: Wir sind gerade zu einem Pilotprojekt des Landes eingeladen worden. Das Ziel ist, Jugendliche aus Teilen Nordrhein-Westfalens, in denen es nicht genug Ausbildungsstellen gibt, für eine Ausbildung in den Teilen des Landes zu gewinnen, in denen die Bewerber fehlen. Das ist natürlich ein großes Rad, das gedreht werden muss. Aber für einen Studienplatz ist es ja auch selbstverständlich, dass man umzieht. Das durchschnittliche Anfangsalter eines Auszubildenden liegt ja heute schon bei über 19 Jahren.

Wie geht es bei dem Projekt weiter?

Krause: Wir sind gerade dabei, die Industrie- und Handelskammer und die Handwerkskammer als Partner ins Boot zu holen. Denn es braucht natürlich eine Charmeoffensive, um die jungen Menschen anzulocken. Angesichts des teuren Wohnraums in der Region müssen hier vielleicht auch besondere Angebote gemacht werden. Manchmal kann es auch Bewerber anziehen, wenn der Arbeitgeber Bewerbern einen Führerschein spendiert.

Fehlen viele Bewerber?

Krause: Es ist eine Besonderheit der Region Bonn, dass die Zahl der freien Ausbildungsstellen doppelt so groß ist wie die Zahl der unversorgten Bewerber.

Was unterscheidet den Arbeitsmarkt Bonn/Rhein-Sieg von dem in Bergisch Gladbach, den Sie ja aus Ihrer bisherigen Tätigkeit gut kennen?

Krause: In den ländlichen Teilen des Bergischen Landes sind wir mit unserer Beratung zur dualen Ausbildung leichter in die Schulen hineingekommen. Hier gibt es manche Schule, die in der Oberstufe nur zu Studiengängen Beratungen haben wollen. Im Bergischen gibt es viele familiengeführte Betriebe. Dort gehen die Kinder oft noch zur Ausbildung in die Firmen, wo auch ihre Eltern arbeiten. Das habe ich hier noch nicht erlebt.

Was muss für Flüchtlinge getan werden, die ja zunehmend auf den Arbeitsmarkt drängen?

Krause: Zunächst möchte ich den Firmen für die Mühe, die sich dort die Verantwortlichen machen, große Anerkennung aussprechen. Langsam kehrt ein wenig Ernüchterung ein. Die Sprachkenntnisse sind das entscheidende Erfolgskriterium. Flüchtlinge, die gut deutsch sprechen, können wir vermitteln und auch dauerhaft in Arbeit halten. Der Spracherwerb ist bei vielen aber nicht so weit fortgeschritten, wie wir das erhofft haben. Die große Hürde liegt in der Schrift. Das Lesen ist aber in vielen Berufen wesentlich. Denken wir an die Logistik.Wenn ein Kunde zum fünften Mal das verkehrte Paket bekommt, droht das Unternehmen den Kunden zu verlieren. Das können sich Betriebe nicht leisten.

Führen die Sprachkurse nicht so zum Ziel wie erhofft?

Krause: Nach 600 Stunden Sprachkurs gibt es bei den Prüfungen immer noch extrem hohe Durchfallquoten. Dann sind die Teilnehmer frustriert. Und es ist schwer, sie zu weiteren 300 Sprachstunden bis zur Wiederholungsprüfung zu bewegen.

Kann der Sprachkurs auch berufsbegleitend fortgesetzt werden?

Krause: Es muss berufsbegleitend gehen. Denn das ist viel einfacher: Was ich morgens im Sprachkurs gelernt habe, sollte ich nachmittags im Betriebspraktikum auch anwenden. Nur dann verfestigt sich die Sprache. Leider ist es für viele Flüchtlinge nicht attraktiv, beides parallel zu machen. Sie empfinden das als doppelte Belastung. Daran können wir nicht vorbeigucken.

Stichwort ältere Arbeitslose: Ist es heute immer noch schwer, Menschen über 50 in einen Beruf zu vermitteln?

Krause: Vor der Finanzkrise 2006/07 hatten wir ein Zeitfenster, wo Menschen über 50 leichter als sonst einen Job fanden. Da habe ich gehofft, dass die Unternehmen verstanden haben, dass Ältere nicht Alteisen, sondern Edelstahl sind. Aber diese Situation ist wieder vorbei: Über 50 zu sein, ist ein schwieriges Merkmal. Es gibt Ausnahmen bei Ingenieuren oder in der Pflege. Hinzu kommt: Ältere Arbeitslose müssen oft etwas an ihrer Qualifikation tun. Aber viele trauen es sich in diesem Alter nicht mehr zu, die Schulbank zu drücken. Dauert die Qualifikation länger, müssen sie außerdem mit der Lohnersatzleistung zurechtkommen. Das ist nicht einfach, wenn sie eine Familie haben.

Die Arbeitslosigkeit geht auch in der Region zurück. Gibt es mehr Zeit für die Betreuung des einzelnen Arbeitslosen?

Krause: An der Zahl der Arbeitslosen ist unser Aufwand gar nicht zu erkennen. Es gibt im Jahr rund 25 000 Zugänge aus Beschäftigung in Arbeitslosigkeit in der Region und genauso viele Abgänge. Aber natürlich versuchen wir bei den Gesprächen, mehr auf die Vorstellungen des Bewerbers einzugehen.Freie Kapazitäten stecken wir in Qualität. Früher wusste der Arbeitsvermittler manchmal schon, was der Bewerber tun sollte, bevor er zur Tür hineinkam. Heute versuchen wir einen Weg zu entwerfen, den der Bewerber mitgeht. Das ist deutlich zielführender.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort