Haribo auf der Grafschaft Neuer Standort jenseits der Landesgrenze
BONN · Sie tun es wirklich. Nachdem Neubaupläne vor den Toren Bonns seit mindestens acht Jahren zu Haribo gehören wie Lakritzschnecke und Goldbär, sind jetzt die Würfel für die Grafschaft gefallen. Bis zuletzt galt die Entscheidung zwischen dem Industriegebiet hinter der NRW-Landesgrenze und einer Fläche in Rheinbach als offen.
Nachdem Haribo den Entschluss gefasst hat, könnte es schnell gehen. 2014 will das Bonner Familienunternehmen das Grundstück im sogenannten Innovationspark auf der Grafschaft kaufen, frühestens 2015 könnten die Hallen nach Unternehmensangaben stehen. Als erstes wollen die Bonner an ihrem neuen Standort ein Logistik-Zentrum errichten.
In einem Hochregallager mit 11.400 Palettenplätzen sollen Gummibärchen und Co. gelagert und später weitertransportiert werden. Deutschland, Nordfrankreich, Belgien, die Niederlande und Luxemburg sollen von dem Standort aus beliefert werden. Produktionshallen baut Haribo gleich mit. Die Süßigkeiten sollen jedoch erst später vom Band laufen. Einen genauen Zeitpunkt nannte das Unternehmen dafür nicht.
Der neue Standort könnte nicht unterschiedlicher zum traditionsreichen Haribo-Werk inmitten des Bonner Stadtteils Kessenich sein. Auf der Grafschaft baut das Unternehmen weitab von Wohnhäusern "auf der grünen Wiese". Lastwagen erreichen den Autobahnanschluss nach wenigen hundert Metern.
Die neue Fläche von 30 Hektar - das entspricht immerhin rund 42 Fußballfeldern - dürfte auch für die langfristige Entwicklung ausreichend Platz bieten. In Bonn zieht der süßliche Geruch aus den Bärchen-Kesseln direkt durch die Wohngebiete. Lastwagen quälen sich durch die engen Straßen, immer wieder kommt es zu Ärger mit Anwohnern. Das Gelände misst gerade einmal 2,4 Hektar.
Aber Bonn ist auch das "bo" im Namen Haribo. Hier gründete Hans Riegel ("Ha"-"ri") , der Vater des heute 90-jährigen Seniorchefs gleichen Namens, am 13. Dezember 1920 seine kleine Bonbon-Fabrikation. Hier legte er den Grundstein für das Unternehmen, dessen Produkte heute fast überall auf der Welt verkauft werden. Hier wohnen viele der langjährigen Mitarbeiter, deren Familien oft seit mehreren Generationen für das Bärchen-Imperium arbeiten.
Das mag ein Grund dafür sein, dass sich Haribo dafür entschieden hat, den Firmensitz und die Produktion in der Kessenicher Zentrale - zumindest vorerst - unangetastet zu lassen. Nach Angaben aus Unternehmenskreisen gab es durchaus in den vergangenen Jahren Überlegungen, Bonn komplett zu verlassen oder zumindest die Produktion vollständig aus Kessenich auszugliedern.
Unter Arbeitnehmern kursieren nun Befürchtungen, das Bonner Traditionsunternehmen könne langfristig doch aus seiner Heimatstadt ganz auf die Grafschaft abwandern. "Es fällt schwer zu glauben, dass langfristig Teilbereiche in Bonn bleiben sollen", sagt Ernst Busch, Geschäftsführer der Kölner Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten.
Und sollte die gesamte Produktion in die neuen Hallen umziehen, sorge er sich auch um die Arbeitsplätze. "Heute produziert Haribo in Kessenich auf drei Stockwerken", sagt der Gewerkschafter. In einer modernen Produktionshalle könnten die Maschinen hintereinander aufgestellt werden und dadurch von weniger Menschen bedient werden. Auch einen möglichen Wechsel von Bonner Haribo-Mitarbeitern auf die Grafschaft sieht er wegen der Verkehrsanbindung kritisch: "Wie soll man da ohne Auto hinkommen?"
Doch vorerst soll in Kessenich alles beim Alten bleiben, versichert Haribo-Sprecher Marco Alfter. "Eine langfristige Standortgarantie können wir allerdings nicht geben, unternehmerische Entscheidungen müssen sich nach der aktuellen Situation richten."
Am neuen Standort will Haribo nach eigenen Angaben Arbeitsplätze im "niedrigen dreistelligen Bereich" schaffen, um die wachsende Nachfrage nach Gummibärchen und den anderen Produkten zu decken. Der geschäftsführende Haribo-Gesellschafter Hans Guido Riegel, ein Neffe Hans Riegels, kündigt in einer Unternehmensmitteilung an: "Mit dieser Weichenstellung für die Zukunft schafft Haribo auch in den kommenden Jahren stetig zusätzliche Arbeitsplätze."
Man habe sich gegen "alternative Angebote aus dem Ausland" für den Standort Deutschland entschieden. In Bonn arbeiten derzeit inklusive Außendienstlern rund 1300 Beschäftigte für Haribo, davon etwa 1000 in der Produktion. Auch die anderen fünf Haribo-Standorte in Deutschland sollen nach Firmenangaben trotz des Neubaus auf der Grafschaft erhalten bleiben.
Offensichtlich läuft das Geschäft mit den Süßigkeiten wie gehabt gut. Haribo nennt keine Zahlen, Branchenexperten schätzen den Jahresumsatz der Bonner jedoch auf rund zwei Milliarden Euro. In den vergangenen Jahren sei der Umsatz stetig gewachsen, so Sprecher Alfter. Neuerdings belieferten die Bonner auch Bärchen-Fans in Australien, und auch der Appetit der Russen auf Fruchtgummi wachse. "Dabei war das Produkt dort erst einmal völlig unbekannt", sagt Alfter.
Nicht nur durch seinen weltweiten Gummibärchen-Siegeszug gilt Haribo als Exot in der Branche. Senior-Chef Hans Riegel trifft dem Vernehmen nach auch im hohen Alter von 90 Jahren noch viele unternehmerische Entscheidungen selbst - von der Entwicklung neuer Fruchtgummi-Sorten bis zur Personalpolitik. Vor allem die Werbung mit Fernseh-Urgestein Thomas Gottschalk und altbekannten Bärchen-Motiven wird von Branchenexperten gern als altbacken kritisiert. Hans Riegels patriarchalischer Führungsstil mag manchen Manager vergrault haben, doch die Verkaufszahlen geben Haribo recht.
Mit seinen wiederholten Umzugs-Drohungen hat Riegel über Jahre hinweg für Aufregung in den Rathäusern der Region gesorgt. Bonn war schnell aus dem Rennen, da im Stadtgebiet schlicht Freiflächen in der benötigten Größe fehlen. Hier galt es für die Stadtoberen nun, wenigstens den Komplettumzug zu vermeiden. Zu den bevorzugten Kandidaten für den Haribo-Neubau gehörten neben der Grafschaft die Städte Rheinbach, Bornheim und Euskirchen. Im April kündigte Haribo noch für dieses Jahr eine Entscheidung an. Seit Jahren hält Rheinbach ein passendes Grundstück für das Gummibärchen-Imperium frei. Vergebens.
Doch noch sind die Kaufverträge nicht unterschrieben. Es wäre nicht das erste Mal, dass Hans Riegel sich in letzter Minute ganz anders entscheidet, als es alle erwarten. Es scheint fast so, als würden dem Bonner Unternehmer Überraschungen besondere Freude bereiten. Vor allem solche, die Kommunalpolitikern Kopfschmerzen verursachen. 2010 hieß es, Hans Riegel habe sich für das rheinland-pfälzische Gelsdorf als neuen Standort entschieden.
Als ein örtlicher Finanzbeamter nicht nur Riegels Golfhotel "Jakobsberg" in Boppard steuerlich als Liebhaberei einstufte, sondern das Anwesen auch mit der Ranch des inzwischen verstorbenen US-Popstars Michael Jackson verglich, soll Riegel der Kragen geplatzt sein. Fortan galt Rheinbach als Gummibärchen-Favorit. Es ist zu erwarten, dass sowohl in der Mainzer Regierung als auch bei den Politikern auf der Grafschaft bis zum ersten Spatenstich bei Haribo jedes Wort über das Fruchtgummi-Imperium sorgfältig abgewogen wird.