Unternehmen in Neunkirchen-Seelscheid Manager übernahm Reinigungsmittelfirma Thurn aus der Insolvenz

Neunkirchen-Seelscheid · Peter Schoof übernahm die Reinigungsmittelfirma Thurn aus Neunkirchen-Seelscheid aus der Insolvenz. Das Unternehmen fertigt seit mehr als 40 Jahren Handelsmarken von Putz-, Wasch- und Reinigungsmitteln.

Die Produktion läuft – hier die von Spülmaschinentabs. Im Labor werden Weichspüler getestet und standardisierte Flecken verwendet.

Foto: Meike Böschemeyer/MEIKE BOESCHEMEYER

Peter Schoof ist mit über 50 ins kalte Wasser gesprungen: Mit vollem Engagement und hohem Kapitaleinsatz. Er hat mit einem Partner das insolvente Waschmittelunternehmen Thurn aus Neunkirchen-Seelscheid gekauft, das er auch selbst leitet.

Der Betriebswirt war 25 Jahre bei zwei Dax-Konzernen tätig. Er kommt selbst aus einer Unternehmerfamilie. „Schon mit 40 habe ich mit dem Gedanken gespielt, selbst unternehmerisch tätig zu werden.“ Damals war er bei Daimler, wo er eine klassische Unternehmenskarriere hinlegte. Er lernte in 20 Jahren alle Teile des Konzerns kennen und war in leitender Position tätig. Dann wurde seine damalige Chefin Angela Titzrath Vorständin bei der Deutschen Post und nahm ihn mit. Die Familie zog nach Bonn. „Als ich 50 Jahre alt wurde, habe ich überlegt, wie es weitergehen sollte.“ Er nahm sich ein Jahr Auszeit und ging auf die Suche, um ein Unternehmen zu übernehmen. Das war 2017.

2017 war auch das Jahr, in dem das Familienunternehmen Thurn Insolvenz anmelden musste. Der Name ist eher in Fachkreisen bekannt. Dabei benutzen Millionen Deutsche regelmäßig die Wasch- und Spülmittel aus Neunkirchen-Seelscheid. Sie waschen ihre Wäsche mit Tandil von Aldi oder nehmen Geschirrspültabs namens Alio. Thurn fertigt seit mehr als 40 Jahren Handelsmarken von Putz-, Wasch- und Reinigungsmitteln. Sie stehen in vielen Discountern und Drogeriemärkten. In guten Zeiten gab es bis zu 280 Arbeitsplätze in Neunkirchen-Seelscheid, die Gruppe setzte rund 250 Millionen Euro im Jahr um und hatte 400 Beschäftigte an vier Standorten. Die Firma Thurn Produkte war einer der größten Arbeitgeber in Neunkirchen-Seelscheid, musste im September 2017 aber Insolvenz anmelden. Als Ursache für die Probleme sieht Insolvenzverwalter Dirk Obermüller auch Managementfehler.

Im Labor werden aktuell die neuen Weichspüler getestet.  Dabei werden standardisierte Flecken verwendet.

Foto: Meike Böschemeyer/MEIKE BOESCHEMEYER

Firmengründer Adolf Günter Thurn hatte zunächst ein Eigenverwaltungsverfahren beantragt. In der Eigenverwaltung bleibt die Geschäftsführung an Bord. Sie soll die Sanierung vorantreiben. Ihr wird ein vorläufiger Sachverwalter zur Seite gestellt. Diese Aufgabe übernahm damals Obermüller, der Partner bei der Bonner Wirtschaftskanzlei dhpg ist. Er stellte nach wenigen Wochen fest: „Das Unternehmen war ungeeignet für eine Eigenverwaltung.“ Sie dürfe nicht zugelassen werden, wenn der Antrag zu spät gestellt wird. Das sei aber bei Thurn der Fall gewesen. Außerdem müsse es Lösungsansätze für Missstände geben. „An der Krisensituation war die Performance der Geschäftsführung nicht unschuldig“, formuliert er vorsichtig.

Das Verfahren entpuppte sich als schwieriger als alle Beteiligte erwartet hatten. „Das Unternehmen war in der wichtigen Phase unmittelbar nach der Antragstellung sehr stark auf Berater angewiesen, die fast alle Funktionen übernommen hatten, die bis dahin nur unzureichend qualifiziert besetzt waren“, sagt Obermüller. An Schlüsselstellen seien Familienmitglieder installiert gewesen. Die Verfahrensart musste auf die Regelinsolvenz gewechselt werden. Das sei immer ein kritischer Zeitpunkt, berichtet er aus seiner Praxis, weil Gläubiger die Perspektiven anzweifelten.

Obermüller führte Gespräche mit vielen Interessenten, doch letztlich wollte kein Investor zugreifen. Kurz vor Weihnachten 2017 musste der Insolvenzverwalter den Mitarbeitern mitteilen, dass der Betrieb in Neunkirchen-Seelscheid geschlossen werde, weil kein Käufer gefunden wurde und eine verlustreiche Fortführung nicht darstellbar war: „Das war ein schwerer Tag.“

Eigentümer Peter Schoof mit einer Waschmittelflasche.

Foto: Meike Böschemeyer/MEIKE BOESCHEMEYER

Businessplan statt Skiurlaub

Zu diesem Zeitpunkt war Peter Schoof bereits kurzfristig als Projektleiter für das Cash-Management in Neunkirchen-Seelscheid eingesprungen, um die Liquidität zu sichern. „Wir brauchten in der ganz schwierigen Phase Unterstützung, um den Einkauf so zu gestalten, dass er rasch zu Umsätzen führte“, erinnerte sich Obermüller. Eine Netzwerkpartnerin nannte ihm den Namen Schoof, der auf Suche nach einer Möglichkeit war, sich unternehmerisch zu betätigen. Sein Engagement bei Thurn habe er zuerst nur als Interims-Job gesehen. „Ich traf auf unklare Managementstrukturen“, sagt Schoof. Zehn Familienmitglieder verschiedener Generationen seien noch im Betrieb gewesen, das habe es für die Mitarbeiter nicht leichter gemacht zu erkennen, wer das Sagen hat. Zur Jahreswende habe Schoof ihm dann gesagt, dass er es sich vorstellen könnte, das Unternehmen zu übernehmen, sagt Obermüller. Statt in den geplanten Skiurlaub zu fahren, setzte sich Schoof hin und schrieb einen Businessplan. Der Gläubigerausschuss stimmte dem Konzept zu, sodass Thurn Germany in Neunkirchen-Seelscheid und Kerkrade am 1. April starten konnte. 120 Mitarbeiter konnten weiterarbeiten. Für das Werk in Greven war Anfang 2018 mit der Münchner Beteiligungsgesellschaft Quantum Capital Partners ein Investor gefunden worden. Letztlich wurde nur das kleinere Werk in Much geschlossen.

Die ersten Wochen nach dem Entschluss zum Kauf seien „sehr intensiv“ gewesen, erinnert sich Schoof: „Ich brauchte letztlich einen Partner, sonst hätte ich die Finanzierung nicht hinbekommen.“ Den fand er über das dhpg-Netzwerk im Unternehmer Dieter Berghaus aus Kürten. Eine Bankenfinanzierung komme in einer solchen Situation nicht zustande, das sei den Banken zu risikoreich.

Insolvenzverwalter Dirk Obermüller hatte langen Atem.

Foto: Meike Böschemeyer/MEIKE BOESCHEMEYER

Obermüller ergänzt: „Die Banken haben einen Bogen um Thurn gemacht, es gab Vorbehalte. Das macht es schwer, wenn man einen großen Betrieb mit 120 Miterbeitern übernimmt.“ Das Geschäft habe eine hohe Kapitalbindung, weil viele Rohstoffe benötigt werden. Kunden seien es gewöhnt, erst nach 60 Tagen zu zahlen. Schoof führte Gespräche mit Herstellern, die ihm sagten, dass sie weiter Produkte abnehmen würden. Das Ausscheiden von Thurn aus dem Markt war in ihren Augen schlecht, weil es sonst zu wenig Hersteller bei den Eigenmarken gäbe. Obermüller: „Die Realität zeigt, das man sich nicht immer auf Kundenaussagen hundertprozentig verlassen kann.“ Manchmal dauerte es länger, bis Firmen Produkte wieder abnehmen.

So gab es bei Thurn vier bis sechs Wochen lang immer mal wieder Produktionsstillstand, weil noch Rohstoffe fehlten oder Aufträge.

Auch danach kamen nicht-planbare Entwicklungen. Das Vertriebsteam wechselte komplett zu einer anderen Firma. Doch nach und nach kam der Betrieb voran. „Wir haben in neue Maschinen und neue Lagersysteme, in Digitalisierung und Warenwirtschaftssysteme investiert.“

Schoof führt Besucher auch gerne durch die Labore. Dort werden die Waschmittel auf Gewebeschonung, Fleckenentfernung, Vergrauung und Farbtonerhalt getestet. Bei Geschirrspülmitteln geht es um Faktoren wie das Verhindern von Belägen, Klarspülen und Materialschonung. Ein neues Waschmittel, das den Nachhaltigkeitsaspekt betont, wird im Direktvertrieb vermarktet.

Jetzt stehen die Zeichen wieder auf Wachstum: 2019 übernahm Thurn die insolvente Firma CCS, die im Chemiepark Genthin Shampoo- und Reinigungsmittelflaschen abfüllte. Als Thurn Contract Service setzt Schoof die Tradition der Waschmittelherstellung im sachsen-anhaltinischen Genthin fort, die vor fast 100 Jahren mit der Ansiedlung der Firma Henkel begann. Dort wird die Flüssigwaschmittelabfüllung von Thurn konzentriert. Den Firmennamen variierte Schoof nur leicht: „Er hatte einen guten Leumund: Zuverlässige Lieferung und stabile Produktproduktqualität.“ Auch die Mitarbeiter identifizierten sich damit. An den drei Standorten gibt Thurn Germany in der Summe wieder über 200 Menschen Arbeit. „Ich komme aus einem produzierendem Umfeld und sehe mit Sorge, dass es immer weniger gewerbliche Arbeitsplätze in Deutschland gibt“, erklärt der Manager. Gewerbliche Arbeitsplätze seien aber wichtig, weil durch sie auch andere Stellen wie in der Verwaltung geschaffen würden. Bei Thurn gebe es 45 gewerbliche Arbeitsplätze und zehn in der Logistik. Sie würden 60 bis 70 andere Stellen in der Firma erhalten.

„Meine Lehre ist, man sollte nie aufgeben“

Das Insolvenzverfahren der alten Thurn-Gruppe wird noch zwei bis drei Jahre dauern, schätzt Obermüller. Mehrere Prozesse seien noch zu führen. Berührungspunkte gibt es beispielsweise bei der Immobilie. Sie ist Eigentum der Grundpfandgläubiger. Insofern agiert Obermüller als Vermieter der neuen Thurn Germany und muss sich auch mit Wasserschäden und undichten Dächern auseinandersetzen.

An der Rettung der Firma in letzter Minute habe der Insolvenzverwalter einen maßgeblichen Anteil gehabt, sagt Schoof: „Er wollte, dass der Betrieb fortgeführt wird und hat wesentlich dazu beigetragen, dass es auch funktioniert hat.“ Obermüller: „Es hätte reichlich Argumente und Gelegenheiten gegeben, den Betrieb einzustellen.“ Es seien eine hohe Transparenz und lange Verhandlungen sowie viele Zugeständnisse der Gläubiger notwendig gewesen. „Meine Lehre ist, man sollte nie aufgeben.“