Vortrag in Königswinter Oettinger plädiert für pragmatischere Energiepolitik in Deutschland

KÖNIGSWINTER · Auch Energiepolitik ist eine Frage der Perspektive. Aus Brüsseler Sicht führt der Weg, den Deutschland hier eingeschlagen hat, nicht unbedingt in die richtige Richtung. EU-Energiekommissar Günther Oettinger jedenfalls bemüht sich bei der Beurteilung nicht um allzu viel Diplomatie: "Das Erneuerbare-Energien-Gesetz gehört in die Mülltonne."

Für so klare Worte sind dem CDU-Politiker an diesem Samstag seine rund 200 Zuhörer in Königswinter dankbar. Für Oettinger ist es allerdings auch ein Heimspiel: Es sind Gäste der Stiftung Christlich-Soziale Politik, die der Christlich-Demokratischen Arbeitnehmerschaft (CDA), dem Sozialflügel der CDU, nahesteht.

Und Oettinger, der gerade aus Konstanz kommt, weiß, dass er in Nordrhein-Westfalen spricht: "Wenn wir ein Industrieland bleiben wollen, brauchen wir bezahlbaren Strom rund um die Uhr, und dazu brauchen wir die Kohle." Der Applaus ist ihm wieder sicher.

Vehement wirbt Oettinger für eine "pragmatischere" Energiepolitik in Deutschland. Die Deutschen "träumen in einem Romantiktal", statt sich der internationalen Herausforderungen bewusst zu werden. Der Ausbau der erneuerbaren Energien müsse dringend gebremst und an die Netz- und Speicherkapazitäten angepasst werden.

Die rasant steigenden Stromkosten seien eine Gefahr für den Wirtschaftsstandort. In den europäischen Nachbarländern Frankreich, Belgien, Polen und Tschechien werde die Energiewende in Deutschland "mit Verwunderung" verfolgt. Kopiert werde sie allerdings nicht.

Als Fehler bezeichnet Oettinger es, die deutschen Energiekonzerne kleinzureden. Im internationalen Wettbewerb seien sie durch die Folgen der Energiewende ohnehin kaum noch wettbewerbsfähig. "Es kann doch nicht sein, dass man bei Trikotsponsoring immer RWE und Eon anschreibt, sie ansonsten aber im Bundestag keine Landegenehmigung haben."

Auch der Rückkauf der Stromnetze durch Kommunen, wie er in Deutschland in Mode komme, sei der falsche Weg, der geplante Erwerb der Vattenfall-Netze durch die Stadt Hamburg ein "Unglück": "Da wird man bald merken, dass sich nach dem Modell einer Friedhofsgärtnerei ein Stromnetz nicht betreiben lässt."

Einen problematischen deutschen Sonderweg sieht Oettinger auch beim Atommüll. Es sei unklar, auf welchem Weg Deutschland einen Standort für die Endlagerung finden will.

"Eine Standortsuche macht doch gar keinen Sinn, ehe nicht entschieden ist, ob in Salz oder in Gestein gelagert werden soll." Wenn es Salz sein solle, komme nur Gorleben infrage. Oettinger plädiert allerdings mehr für eine Endlagerung in Gestein, wo der Müll zugänglich bleibe. Die Finnen, Schweden und Franzosen seien mit ihren Lagerplänen deutlich weiter.

Die Abschaltung der letzten Atomkraftwerke in Deutschland in acht Jahren hält Oettinger - selbst ein Atomkraft-Anhänger - für machbar, ohne dass es zum befürchteten Blackout kommen müsse. Dazu sei es aber nötig, genügend konventionelle Kraftwerke in Reserve zu halten und die Betreiber auch für die reine Bereitstellung und nicht erst bei Stromlieferung zu bezahlen.

Oettinger rechtfertigte das Vorgehen der EU-Kommission gegen Deutschland wegen der Ausnahmegenehmigungen von der EEG-Umlage für energieintensive Betriebe. "Wir sind dagegen vorgegangen, weil es Beschwerden aus Deutschland gab von solchen Firmen, die keine Ausnahmegenehmigung hatten." Wenn der Verdacht naheliege, dass es sich um wettbewerbsverzerrende Subventionen handele, müsse die EU ein Verfahren einleiten und könne nicht untätig bleiben.

Oettinger deutete außerdem an, dass eine Lösung gefunden werden könne, die mit dem EU-Wettbewerbsrecht kompatibel sei und auch den energieintensiven Unternehmen weiterhin günstige Strompreise ermögliche. "Mehr als die Hälfte des deutschen Strompreises machen doch Steuern und Abgaben aus."

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