Lokführer- und Pilotenstreik Ohnmacht statt Großmacht

BERLIN · Mit aller Härte kämpfen derzeit Lokführer und Piloten um Einflussbereiche oder Privilegien. Die Streiks dieser vergleichsweise kleinen Berufsgruppen beeinträchtigen die Kunden und die Wirtschaft in ganz Deutschland.

 Legten den Schienenverkehr lahm: Mitglieder der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer.

Legten den Schienenverkehr lahm: Mitglieder der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer.

Foto: dpa

Gerade einmal 4000 Streikende haben zum Beispiel am vergangenen Wochenende den Schienenverkehr weitgehend lahmgelegt. Die dahinter stehende Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer kommt insgesamt auf nur 34.000 Mitglieder. Die Pilotenvereinigung Cockpit vertritt die Interessen von weniger als 8000 Flugzeugführern. Die Macht beider Berufsgruppen ist so groß, weil sie an den Schalthebeln der jeweiligen Unternehmen, der Bahn oder der Lufthansa, sitzen. Großgewerkschaften, die wie Verdi über zwei Millionen Mitglieder aufweisen, können von so effizienten Arbeitskämpfen nur träumen.

Die Kleingewerkschaften sind zwar Ausnahmen in der Tariflandschaft, doch ungemein kampfstark. Die mitgliederstärkste ist der Marburger Bund, in dem sich rund 110.000 Krankenhausärzte organisiert haben. Zu den ganz Kleinen gehören der Verband angestellter Akademiker und leitender Angestellter der chemischen Industrie (VAA) sowie die Gewerkschaft der Flugsicherung (GdF), die Tarife für die Fluglotsen aushandelt. Ebenfalls im Luftverkehr tätig ist die Unabhängige Flugbegleiter Organisation (UFO) als Vertretung des Kabinenpersonals. Alle Gewerkschaften eint ihre Schlagkraft. Es gibt in Deutschland über hundert Gewerkschaften, doch bei Weitem nicht alle sind tariffähig, dürfen also streiken.

Über Jahrzehnte war die Existenz der Spartengewerkschaften unproblematisch, weil sie in der Regel die Tarifabschlüsse der jeweiligen Branchengewerkschaften übernahmen und keine eigenständigen Lohnverhandlungen führten. Das hat sich geändert, spätestens nachdem der Bundesgerichtshof 2010 mehrere Tarifverträge für einen Betrieb für rechtens erklärte.

Der Marburger Bund kämpft seit 2005 nur noch für seine Klientel, die GDL seit 2007. Arbeitgeber und Großgewerkschaften kritisieren die Alleingänge der Kleinen. Die einen wollen keine konkurrierenden Tarifverträge im Unternehmen. Die anderen müssen die Interessen aller Beschäftigten berücksichtigen und sich zugunsten weniger kampfstarker Teile der Belegschaft bei den Forderungen etwas zurückhalten.

Nach den spektakulären Streiks von Piloten und Lokführern in den letzten Jahren will die Bundesregierung nun die Tarifeinheit per Gesetz wiederherstellen. Im November will Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) den Gesetzentwurf vorlegen. Die Eckpunkte sind bekannt. In jedem Betrieb soll nur ein Tarifvertrag für jede Berufsgruppe gelten. Diese Vereinbarung soll die jeweils mitgliederstärkste Gewerkschaft treffen dürfen. Damit würde den mächtigen Spartengewerkschaften ihre wichtigste Waffe genommen, das Streikrecht. "Ein Aufruf zu Arbeitskampfmaßnahmen wäre dann grob rechtswidrig", befürchtet der Chef des Marburger Bundes, Rudolf Henke, im Ärzteblatt.

Viele Experten bezweifeln, dass die Koalition die Rechte der Kleingewerkschaften einfach beschränken kann, denn das Grundgesetz schützt die Rechte tariffähiger Gewerkschaften unabhängig von ihrer Größe, solange es keine übermäßigen Streiks in großer Zahl gibt. Da sich weder neue Berufsgewerkschaften gegründet haben noch die Zahl der Ausstände stark angewachsen ist, halten Fachleute Einschnitte in deren Recht für unbegründet. "Alle Berufsgewerkschaften zusammen waren seit 2010 in weniger als 30 Tarifkonflikte involviert", sagt der Tarifexperte der gewerkschaftsnahen Böckler-Stiftung, Heiner Dribbusch, "allein Verdi in 600." Auch deshalb wird der Gesetzestext mit Spannung erwartet.

Henke spricht von einem drohenden "Tarifkommando", GDL-Chef Claus Weselsky von einem "Tarifdiktat", wenn die Koalition ihnen eine Großgewerkschaft vor die Nase setzt. Beide wollen in diesem Falle das Bundesverfassungsgericht anrufen.

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