Schneidereien und neue Technologien

Nur wenige türkische Selbstständige in Bonn

Schneidereien und neue Technologien
Foto: Jörg Büsche

Bonn. Mustafa Ergül handelt mit Lebensmitteln. Seit fünf Jahren verkauft er frisches Obst, Gemüse, Süßigkeiten und Getränke. Nicht nur seine Nachbarn aus der Endenicher Straße in Bonn bekommen bei Mustafa Ergül jene Lebensmittel, für die sie sonst die weiten Wege fahren müssten - hin zu den großflächigen SB-, Super- und Verbrauchermärkten.

Lebensmittelhändler Ergül, der sein Laden-Geschäft zusammen mit seiner Frau betreibt, ist beinahe ein typischer türkischer Unternehmer. Noch. Wie das "Zentrum für Türkeistudien" an der Universität Essen in diesem Frühjahr ermittelte, arbeiten zwar die meisten türkischstämmigen Selbstständigen in Familienunternehmen mit bis zu drei Mitarbeitern. Die aber überwiegen nur knapp. Ihren 46,5 Prozent folgen dicht die mittelgroßen Unternehmen mit bis zu neun Angestellten (43,5 Prozent).

Seit Beginn des türkischen Gründungsbooms in Deutschland vor anderthalb Jahrzehnten nahmen nicht nur die Zahl der Betriebe zu, sondern auch deren Größe. Fast zehn Prozent der 59 500 türkischen Unternehmen in der Bundesrepublik zählen zu den größeren Firmen ab zehn Mitarbeitern. Übrigens zählt das Zentrum für Türkeistudien auch solche türkischstämmigen Menschen mit, die inzwischen die deutsche Staatsbürgerschaft angenommen haben und deshalb von Ämtern und Kammern nicht mehr als Ausländer aufgeführt werden.

Der Trend ist eindeutig - jedenfalls bis zum Erhebungszeitpunkt im letzten Frühjahr: türkische Unternehmen werden mehr, außerdem auch immer größer. Aus den durchschnittlich 3,5 Beschäftigten vor fünfzehn Jahren wurden inzwischen 5,5. Dienstleistungen oder Waren bieten die türkischstämmigen Selbstständigen in der Bundesrepublik längst nicht mehr nur ihren Landsleuten an. Die Geschäftsbeziehungen zu deutschen Firmen fallen in der Regel vielfältig aus. Und auf dem Markt überleben, so das Zentrum für Türkeistudien, können türkische Unternehmen inzwischen nur noch, wenn sie noch mehr deutsche Kunden gewinnen.

In Bonn gehen relativ wenige türkische Migranten einer selbstständigen Erwerbstätigkeit nach. Nur etwa 250 sind beim Gewerbeamt der Stadt gemeldet. Demgegenüber arbeiten im nahen Köln 2 600 türkische Unternehmer. Gründe für diese Diskrepanz nannte Professor Faruk Sen keine. Der Leiter des Zentrums für Türkeistudien sprach vergangene Woche beim "Bonner Dialog" in der Friedrich-Ebert-Stiftung zum Thema "Türkische Selbstständige als Beschäftigungsfaktor".

Angesichts der von Faruk Sen skizzierten Prognosen wird auch die Bonner Region mittelfristig von den türkischen Selbstständigen profitieren. Bis 2015 werde das Investitionsvolumen der türkischen Selbstständigen deutschlandweit von 13,6 Milliarden Mark im Jahr 2000 auf 40 Milliarden angewachsen. Und die dann 160 000 Unternehmer türkischer Abstammung werden ungefähr 720 000 Mitarbeiter beschäftigen.

Bereits jetzt zeichne sich in der Gruppe der türkischen Existenzgründer der Hang zur Branchen-Vielfalt ab. Neben Gastronomie-Betrieben, Lebensmittelläden und Änderungsschneidereien gebe es zahlreiche andere Gewerbe. In der nunmehr dritten Migranten-Generation brächten türkische Selbstständige nun verstärkt das Wissen von Hochschulabsolventen ein. Damit wandele sich die Unternehmensstruktur. Neue Technologien gewinnen an Boden.

Profitieren werde die deutsche Wirtschaft noch durch einen weiteren Umstand, prophezeien die Essener Türkei-Spezialisten. Durch den bereits jetzt praktizierten kulturübergreifenden Dialog erlangten die deutsch-türkischen Unternehmenskooperationen einen entscheidenden Wettbewerbsvorteil im internationalen Handel.

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