Mindestlohn Teils Jobkiller, teils Erfolg

BERLIN · Mehr Lohn, mehr Beschäftigte, mehr Gerechtigkeit: Rund neun Monate nach Einführung des Mindestlohns von 8,50 Euro pro Stunde feiert Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) das Gesetz als Erfolgsgeschichte.

 Mit Waffe an die Losbude: Zollbeamte kontrollieren auf einem Hamburger Volksfest Mitarbeiter eines Schaustellerbetriebs.

Mit Waffe an die Losbude: Zollbeamte kontrollieren auf einem Hamburger Volksfest Mitarbeiter eines Schaustellerbetriebs.

Foto: dpa

"Arbeitsmarkt und Wirtschaft schultern den Mindestlohn ohne Mühe", sagt die SPD-Politikerin. Die Horrorstories der Gegner hätten sich nicht bewahrheitet. Eine Zwischenbilanz des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB) gibt der Ministerin Recht. Demnach profitieren rund 3,6 Millionen Menschen bundesweit vom Mindestlohn.

In der Callcenter-Branche oder im Hotel- und Gaststättengewerbe würden die Menschen jetzt mehr Geld verdienen, sagt Stefan Körzell, DGB-Vorstandsmitglied. Im Niedriglohnsektor seien die Löhne um bis zu 9,3 Prozent gestiegen. Profitiert hätten besonders Beschäftigte in der Nahrungsmittelindustrie in Ostdeutschland.

Demzufolge wird auch die Zahl der Aufstocker bis Ende des Jahres um rund 60.000 sinken. Sehr zur Freude der Haushälter, die damit nur noch rund 1,23 Millionen Menschen in Deutschland trotz Job finanziell unterstützen müssen.

Nach der DGB-Analyse ist auch der viel befürchtete Anstieg der Preise ausgeblieben. Zwar koste heute eine Taxifahrt mehr als noch vor Einführung des Mindestlohns. Auch beim Restaurantbesuch oder beim Friseur würden die Verbraucher stärker zur Kasse gebeten. Aber das sei verkraftbar für die Konsumenten, sagt Körzell.

Allerdings bereiten sowohl Nahles als auch dem Gewerkschafter die Kontrollen des Mindestlohns Sorgen. Seit Anfang des Jahres wurden den Angaben nach rund 25.000 Prüfungen von der Finanzkontrolle Schwarzarbeit umgesetzt. Die Behörden leiteten rund 200 Verfahren wegen des Verdachts auf Verstöße ein. Zahlen, die Körzell so nicht glauben kann.

Ein Beispiel: Bei einer Razzia auf einer Großbaustelle in Berlin hat der Gewerkschafter selbst beobachten können, dass bei mehr als 20 Beschäftigten Verstöße gegen das Mindestlohngesetz entdeckt wurden. Auch bei der DGB-Hotline seien deutlich mehr Beschwerden und Fälle geschildert worden. "Wie hoch der Missbrauch ist, weiß man nicht", sagt Körzell. Der Gewerkschafter beharrt daher auf der Zusage von Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) 1600 zusätzliche Zollbeamten für die Kontrollen anzustellen.

Zahlreiche Unternehmen nutzen die Schlupflöcher im Gesetz, um ihren Mitarbeitern nicht 8,50 Euro pro Stunde zahlen zu müssen. Zu den schwarzen Schafen zählen etwa laut DGB die Gebäudereiniger. Die Beschäftigten müssen dieselbe Arbeit in weniger Zeit schaffen. In anderen Fällen würden etwa die Stundenzettel manipuliert. Als besonders perfide bezeichnete Körzell es, dass Arbeitgeber versuchten, Trinkgelder für ihre Kellner einzubehalten. So würden die Kosten für den Mindestlohn verrechnet.

Die Arbeitgeber nutzen die DGB-Bilanz, um ihrem Ärger über den Mindestlohn erneut Luft zu machen. Für Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer lässt sich beispielsweise nicht nachweisen, ob Minijobs dank Mindestlohn tatsächlich in sozialversicherungspflichtige Stellen umgewandelt wurden. "Vielmehr ist zu befürchten, dass zahlreiche Arbeitsplätze verloren gegangen sind", teilt Kramer mit.

Besonders scharfe Kritik übt er an den Dokumentationspflichten. "Der Mindestlohn schafft mit seinen bürokratischen Auswüchsen unnötige Kosten und massive Rechtsunsicherheit", sagt der Arbeitgeberpräsident. In der Regel müssen die Chefs die Arbeitszeiten ihrer Beschäftigten aufzeichnen.

Diese Dokumentationspflicht entfällt aber, wenn ein Arbeitgeber Familienangehörige beschäftigt oder in den letzten zwölf Monaten monatlich mehr als 2000 Euro verdient hat. Für Kramer ist das ein "Regelungswirrwarr", bei dem ein "gesetzestreuer Unternehmer" kaum durchblickt.

Arbeitsministerin Nahles macht bereits klar, dass sie an den gesetzlichen Vorgaben nicht rütteln will. Stattdessen rechnet sie mit einer Aufstockung des Mindestlohns. Bereits zum 1. Januar 2017 soll die Lohnuntergrenze angehoben werden. Wie hoch der Betrag dann sein wird, muss die Mindestlohnkommission entscheiden.

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