Herr Reifenhäuser, Sie produzieren in Troisdorf derzeit täglich Vlies für rund eine Million Mundschutzmasken. Was unterscheidet das Material von Baumwolle, wie sie jetzt häufig für den Eigenbedarf verwendet wird?
Interview mit Geschäftsführer Bernd Reifenhäuser Troisdorfer Unternehmen produziert Vlies für Schutzmasken
Troisdorf · Der Troisdorfer Maschinenbauer hat seine Versuchsanlage in der Krise auf die Vliesproduktion für Schutzmasken umgestellt. Die tägliche Produktion reicht für rund eine Million Mundschutzmasken aus.
Schutzmasken sind derzeit Mangelware. Rund 75 aller medizinischen Vliesstoffe weltweit werden nach Unternehmensangaben auf Maschinen der Troisdorfer Reifenhäuser-Gruppe produziert. Mit dem Vorsitzenden der Geschäftsführung des Unternehmens, Bernd Reifenhäuser, sprach Delphine Sachsenrörder.
Bernd Reifenhäuser: Das Vlies entsteht im sogenannten Meltblown-Verfahren und gibt Masken überhaupt erst eine Schutzfunktion gegen Viren, die für den Einsatz etwa in Krankenhäusern notwendig ist. Die einzelnen Fäden sind etwa zwanzig mal dünner als ein Haar und werden in bis zu 500 Lagen verwoben. Baumwolle ist sehr viel gröber und hat nicht diese Filterfunktion.
Wie sind Sie auf die Idee gekommen, ihre Versuchsanlage in Troisdorf zur Vliesproduktion umzurüsten?
Reifenhäuser: Wir haben den Materialengpass kommen sehen. Es war zu erwarten, dass die Ausbreitung des Coronavirus auch Europa erreicht. Gleichzeitig wussten wir, dass etwa 90 Prozent der Masken in China hergestellt werden. China hat dann erst einmal den Export von Schutzkleidung verboten, später und bis heute werden diese Produkte wenn überhaupt meist zu sehr hohen Preisen ausgeführt. Deshalb haben wir schon vor mehreren Wochen den Betrieb in unserem Technikum von einer Versuchsanlage auf die Produktion von Vlies für Atemmasken im Drei-Schicht-Betrieb rund um die Uhr umgestellt.
Die ersten Lieferungen wurden nach Vietnam exportiert. Gab es in Deutschland keine Abnehmer?
Reifenhäuser: Anfangs haben wir kaum Abnehmer gefunden. Das liegt daran, dass die Herstellung von Atemschutzmasken in den letzten Jahrzehnten nahezu komplett nach China verlagert wurde. Es gibt in Deutschland also kaum Maschinen, die das Vlies industriell verarbeiten und zu Masken schweißen. Mittlerweile sind zahlreiche private und gewerbliche Initiativen entstanden, die Masken nähen. Die Nachfrage nach dem Vlies ist jetzt deutlich höher als unsere Produktion. Wir bekommen Tausende Anrufe und Mails.
Wirtschaftlich ist Reifenhäuser also von der Krise also nicht betroffen?
Reifenhäuser: Doch, auch wir haben in einigen Bereichen Kurzarbeit angemeldet. Wir verkaufen Investitionsgüter, da geht die Nachfrage in Zeiten der Unsicherheit zurück.
Wer wird mit Ihrem Vlies beliefert?
Reifenhäuser: Wir verkaufen das Vlies nur an öffentliche oder karitative Initiativen, damit die Masken auch wirklich in den Arztpraxen, Krankenhäusern und Pflegeheimen ankommen. Das Material ist im Moment der Engpass in der Maskenproduktion und wir möchten nicht an Krisengewinner liefern, die das Material womöglich zu Wucherpreisen weiterverkaufen.
Wie sieht es mit der Versorgung in der Region aus?
Reifenhäuser: Wir haben mit der Stadt Troisdorf eine Vereinbarung geschlossen. Wir spenden der Stadt das Material und sie organisiert die Verteilung im gesamten Rhein-Sieg-Kreis an Bürger, die ehrenamtlich für das Gesundheitswesen nähen.
In welchem Kontakt stehen Sie zu Bund und Ländern?
Reifenhäuser: Wir führen im Moment Gespräche sowohl mit Ländern wie Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg als auch mit dem Bund, um die Versorgung der Bevölkerung mit Masken zu sichern. Wichtig ist jetzt zum einen, dass in Deutschland Kapazitäten zur Produktion des Vlies aufgebaut werden. Wir haben die Lieferzeiten für diese Maschinen drastisch reduziert und unseren gesamten Betrieb darauf umgestellt. Die Nachfrage ist im Moment groß. Die Asiaten haben den Bedarf früher als die Europäer erkannt und schon vor zwei bis drei Monaten Maschinen in Auftrag gegeben. Die Amerikaner sind die nächsten. Zum anderen brauchen wir in Deutschland eine professionelle maschinelle Verarbeitung des Vlies zu Masken. Die Technologie für diese relativ simplen Anlagen gibt es in Deutschland, aber die deutsche Industrie hat sich in den vergangenen Jahren auf kompliziertere Produkte spezialisiert. Jetzt müssen wir den Schritt zurück gehen.
Was kann die Politik tun?
Reifenhäuser: Die Politik hat erkannt, dass sie den Unternehmen das finanzielle Risiko absichern muss, die in die Produktion von Schutzmasken einsteigen. Sonst werden nach der Krise wieder die günstigeren Masken aus China importiert, und die deutschen Hersteller bleiben auf ihren Kosten sitzen. Die Industrie wartet nach Zusagen des Finanzministeriums jetzt auf konkrete Vorschläge.
Ist die Krise für Deutschland vorwiegend ein nationales Problem?
Reifenhäuser: Nein, wir müssen jetzt europäisch denken. Frankreich hat bei uns eine Meltblown-Maschine bestellt, und das wird für den Bedarf des Landes nicht ausreichen. Wir brauchen eine strategische Produktionsreserve in Europa.
Auch Schutzkleidung ist knapp. Produzieren die Meltblown-Maschinen auch diesen Stoff?
Reifenhäuser: Nein, das ist ein anderer Stoff, der auf größeren Anlagen hergestellt wird. Aber auch hier werden die Kapazitäten nicht reichen. Das wird der nächste große Engpass sein.
In unserer Region gibt es viele Unternehmen, die sich mit der Kunststoffverarbeitung beschäftigen. Wie ist die Branche in der Krise aufgestellt?
Reifenhäuser: Ich sehe die Kunststoffunternehmen in unserer Region recht gut aufgestellt. Kunststoffe sind vor der Krise aus Umweltgründen stark kritisiert worden. Es ist richtig, dass etwa auf Recycling weltweit mehr geachtet werden muss. Gleichzeitig sehen wir jetzt auch die Schutzwirkung von Plastikverpackung etwa bei Lebensmitteln. Auch für die Versorgungssicherheit ist Kunststoff derzeit wichtig: Eine Gurke mit Kunststoffüberzug hält sich etwa drei Wochen, ohne ist es nur eine.
Ihre Lehre aus der Krise?
Reifenhäuser: Unsere Gesellschaft muss neu definieren, in welchen Bereichen eine strategische Produktionskapazität für die Versorgung der Bevölkerung notwendig ist. Der medizinische Bereich gehört für mich ganz klar dazu. Wir leisten uns in Europa ja auch eine subventionierte Landwirtschaft, um die Lebensmittelversorgung der Menschen in Krisenzeiten zu gewährleisten. Gleichzeitig darf die Globalisierung der Wirtschaft jedoch nicht verteufelt werden, denn sie ist die Stütze unseres Wohlstandes. Als Unternehmer fühle ich mich in unserer Strategie bestärkt, wichtige Komponenten wie die Extruder und Düsen für unsere Maschinen in eigener Fertigung zu produzieren. Wo man von Lieferanten abhängig ist, sollten immer mehrere Anbieter im Geschäft sein, um Ausfälle ausgleichen zu können.