Kulturwandel in Unternehmen Wenn der Chef das Du anbietet

Bonn · Legere Kleidung, unkomplizierte Umgangsformen, flache Hierarchien: In vielen Unternehmen macht sich ein Kulturwandel bemerkbar – auch in der Region. Er soll sich positiv auf die Mitarbeiter auswirken.

 Teamarbeit statt starrer Hierarchien: Das ist in vielen Unternehmen heute Standard.

Teamarbeit statt starrer Hierarchien: Das ist in vielen Unternehmen heute Standard.

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Bernd Engelien trägt heute einen Anzug zur Arbeit. Die passende Krawatte dazu hat der Leiter der Unternehmenskommunikation der Zurich Versicherung in Bonn allerdings zu Hause gelassen. „Es ist angenehm, auf die Krawatte verzichten zu können“, sagt er. Noch vor einigen Jahren wäre das undenkbar gewesen, gerade in der Versicherungs- oder in der Bankenbranche. In den vergangenen Jahren ist in der Arbeitswelt ein Kulturwandel zu beobachten: In vielen Unternehmen geht es lockerer und lässiger zu.

So traten die Vorstände der Sparkasse Köln-Bonn bei der Präsentation ihrer jüngsten Jahresbilanz betont leger auf, ganz ohne Krawatte. Das Institut schreibt auch seinen Mitarbeitern den Schlips nicht mehr vor. Engelien zufolge geht es dabei um mehr als nur ein Kleidungsstück. Der Kulturwandel lasse sich allein nicht auf diese Symbolik reduzieren. „Im Kern geht es um den menschlichen Umgang miteinander“, erklärt er. Bei der Zurich Versicherung duzt man sich inzwischen. Eine Neuerung, die auf den seit 2018 angetretenen Vorstandschef Casten Schildknecht zurückgeht, der sich ebenfalls duzen lässt. Nicht die einzige Neuerung: Wenn die Zurich im Herbst ihren Kölner Neubau bezieht, gibt es nicht einmal mehr Einzelbüros für den Vorstand. „Wir wollen offen miteinander arbeiten und mehr Raum für Kommunikation haben“, so Engelien.

Auch bei Organisationen ist der Wandel spürbar. Wer glaubte, Empfänge der Industrie- und Handelskammer (IHK) Bonn/Rhein-Sieg seien eine steife Angelegenheit, der irrt. Der letzte große Empfang fand im hippen Ambiente des Bonner Base Camps statt, wo IHK-Präsident Stefan Hagen, Bonns Oberbürgermeister Ashok Sridharan und Rhein-Sieg-Landrat Sebastian Schuster bei einer Talkrunde nicht nur krawattenfrei auftraten, sondern auch Bier aus der Flasche tranken. Das wirkte kurios, war aber ein Spiegel der neuen Lockerheit in der Wirtschaftswelt.

Mehr Verantwortung für Mitarbeiter

Wie kam es zu dieser Entwicklung? „Die intensiv voranschreitende Internationalisierung führt zu sehr diversen Unternehmensstrukturen“, sagt Britta Krahn, Professorin der Wirtschaftspsychologie an der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg am Campus Rheinbach. Dem großen Innovationsdruck im internationalen Wettbewerb könnten Unternehmen nur Stand halten, wenn ihre Mitarbeiter flexibel und motiviert seien.

Auch die Digitalisierung hätte zu einer Veränderung der Arbeitsabläufe geführt. „Viele Führungskräfte verfolgen überwiegend einen partizipativen Stil. Das heißt, die Verantwortungsübergabe an Mitarbeiter nimmt einen großen Stellenwert ein. Die Entwicklung geht von steilen und starren Hierarchien hin zu flachen, agilen Strukturen in projektorientierten Teams“, so Krahn.

Agiles Arbeiten ist angesagt

Viele Unternehmen arbeiten mittlerweile agil, das heißt in eigenverantwortlichen Teams, die gemeinsam Entscheidungen treffen. „Dadurch können wir viel schneller auf Veränderungen reagieren“, berichtet Christian Schwolow, Unternehmenssprecher der Telekom, bei der viele Aufgaben durch agiles Arbeiten erledigt werden. Es komme dadurch häufig zu Rollenwechseln: Vorgesetzte werden Teil des Teams und Mitarbeiter übernehmen die Verantwortung. Dennoch: „Flachere Hierarchien bedeuten nicht weniger Führung“, erklärt der Unternehmenssprecher. Der Vorstand sei heutzutage eher ein Coach und arbeite nicht mehr nach dem Motto „command and control“ (befehlen und kontrollieren).

Die Mitarbeiter schätzen laut Schwolow die flacheren Hierarchien und neuen Arbeitsweisen. Da die Vorstellungen der Arbeitnehmer sich geändert hätten, müssten nun auch die Arbeitgeber flexibler sein: „In vielen Branchen und Regionen ist die Fluktuation ein großes Problem, deshalb wollen die Unternehmen attraktive Arbeitgeber sein und versuchen, ihre Mitarbeiter zu halten“, erklärt Krahn. Jüngere Arbeitnehmer wollen nach Angaben der Wirtschaftspsychologin häufig ihre persönlichen Interessen und Lebensziele mit den beruflichen verbinden.

Es geht um mehr als die Kleidung

Diese Aspekte spiegeln sich in der Unternehmenskultur, vor allem in der Kommunikation und der Kleidung, wider. Die Krawatte als Zeichen der Kompetenz einer Person ist laut Schwolow nicht mehr nötig. Den Unternehmen komme es auf Inhaltsorientierung und weniger auf Äußerlichkeiten wie die Kleidung an, meint auch Krahn. „Das Ablegen der Krawatte ist ein äußeres Zeichen für einen Aufbruch in eine neue Kultur mit Hierarchiefreiheit und Transparenz“, sagt Christiane Weigand, Generalbevollmächtigte der Sparkasse Köln-Bonn. Außerdem entstehe durch das legere Auftreten der Mitarbeiter mehr Kundennähe.

So geht auch die Verwendung des formalen Sie in Unternehmen zurück. Krahn: „Das liegt auch daran, dass immer häufiger Englisch als Unternehmenssprache gewählt wird. Da es im Englischen kein Sie gibt, fällt es dann meist auch im Deutschen weg.“ Bei der Zurich hat das Duzen nicht nur praktische Gründe: „Wir sind davon überzeugt, dass man über das Du schneller zum Wir kommt“, sagt Engelien. Und darauf komme es an: Duzen breche die Hierarchien auf, wodurch Probleme schneller und gemeinsam gelöst werden können.

Vom Sie zum Du

„Es fällt den Mitarbeitern leichter, auf Vorgesetzte und Vorstandsmitglieder zuzugehen und Probleme anzusprechen“, so Engelien weiter. Der direkte Zugang zueinander und der zielgerichtete und schnelle Austausch habe die Identifikation mit dem Unternehmen messbar gesteigert. Dabei müsse das Du allerdings authentisch bleiben, weshalb die Mitarbeiter selbst entscheiden, ob sie den Vorstand duzen oder siezen.

Nach Einschätzung Krahns kann das Duzen die Gemeinschaft fördern und die Kooperation über Führungsebenen hinweg stärken. Es dürfe aber nicht dazu führen, dass bestimmte Rollen eine Degradierung erfahren. Engelien sieht darin keine Gefahr: „Was zählt, ist die Idee. Titel und Hierarchien stören da oft nur. Das Sie braucht man nicht, um ernst genommen zu werden.“

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