Wenn der Mitarbeiter die eigene Firma anzeigt

Wer Missstände anprangert, riskiert oft noch die Kündigung. Experten diskutierten in Bonn über den Schutz von Hinweisgebern.

Wenn der Mitarbeiter die eigene Firma anzeigt
Foto: dpa

Bonn. Gilt auch für den Verrat das Prinzip Notwehr? Muss man den Arbeitgeber "verpfeifen", wenn man von seinen unlauteren Praktiken erfährt? Und wie geht das, ohne Schaden zu nehmen? Um solche Fragen drehte sich eine Podiumsdiskussion mit Fachleuten zum Thema "Whistleblowing" am Freitagabend in der Evangelischen Akademie im Rheinland in Bonn.

"Whistleblower" machen auf Missstände oder akute Gefahren in ihrer Firma oder Behörde aufmerksam. Bislang konnten diese Hinweisgeber in Deutschland kaum auf den Schutz der Öffentlichkeit und des Staates bauen. Nach einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte in Straßburg im Juli soll sich das ändern. Die Richter entschieden zu Gunsten einer gekündigten Altenpflegerin, die zuvor Missstände in ihrem Unternehmen angeprangert hatte.

Mario Utess von der IG Metall Köln-Leverkusen sagt dazu: "Die deutschen Gerichte werden ihre Rechtsprechung nunmehr entsprechend anpassen müssen." Beschäftigten dürften keine Nachteile entstehen, wenn sie gravierende Missstände oder Gesetzesverstöße im Betrieb öffentlich machen oder zur Anzeige bringen.

Susanna Nezmeskal von der Deutschen Post DHL bezeichnete Whistleblowing als notwendigen und konstruktiven Beitrag zur Unternehmenskultur. In einem Verhaltenskodex habe sich der Konzern zu ethischem, verantwortungsvollem und rechtmäßigem Handeln verpflichtet. "Um intern und extern glaubwürdig und wettbewerbsfähig zu bleiben, braucht es Systeme, um auf Fehlverhalten reagieren zu können", so Nezmeskal.

Bei der Deutschen Post DHL werden diese Maßnahmen unter dem Begriff Compliance Management zusammengefasst. Neben Information und Kommunikation, Trainings und Auditierungen gehört auch eine Hotline für Hinweisgeber zu den Instrumenten. Allerdings gibt es keinen Meldezwang: "Wir wollen unsere Mitarbeiter ermutigen", sagte Nezmeskal. "Ein Hinweisgebersystem ist Bestandteil der Unternehmenskultur. Es lädt zum Gespräch ein."

Der Vorsitzende des Whistleblower-Netzwerkes e.V., Guido Strack, sagte: "Ein vernünftiges Hinweisgebersystem muss die Menschen von Anfang an mitnehmen." Der Jurist forderte von den Unternehmen mehr Transparenz: "Es gibt kaum Firmen, die bereit sind, über Hinweisgebersysteme zu berichten." Strack forderte: "Es muss eine gesetzliche Regelung zum Schutz von Whistleblowern geben." Diese dürfe aber nicht dazu verwendet werden, den sowieso schon gefährdeten Hinweisgebern die ganze Beweislast aufzubürden.

IG-Metall-Vertreter Utess sagte, dass die Kehrseite der Hinweisgebersysteme das Denunziantentum sei. Es sei nicht hinnehmbar, wenn Mitarbeiter aufgrund zweifelhafter Ethikrichtlinien genötigt seien, ihre Kollegen schon bei kleinen Verstößen anzuschwärzen. Utess ermunterte die Betriebsräte der Unternehmen zur Achtsamkeit, damit keine Kultur des Misstrauens entstehe. "Der kooperative Ansatz ist aus gewerkschaftlicher Sicht der beste", sagte Utess. Das Hinweisgebersystem sollte für die Mitarbeiter keine Bedrohung darstellen, sondern eine Chance.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort