Arbeiten mit Handicap (Teil 2) "Zwischen Held und Habenichts"

BONN · Arbeiten mit Handicap (Teil 2): Aristoula Papadopoulou und Christian Papadopoulos haben sich selbstständig gemacht.

Zum Schritt in die Selbstständigkeit gehört für alle Gründer Mut. Aristoula Papadopoulou und ihr Ehemann Christian Papadopoulos haben ihn besessen, obwohl - und wohl auch weil - beide im Rollstuhl sitzen und durch eine fortschreitende Muskelerkrankung eingeschränkt sind.

"Es ist natürlich schwerer, einen festen Job zu bekommen, in meiner Situation", sagt Christian Papadopoulos. Der 42-Jährige, der auch seine Hände nur wenig bewegen kann, ist Soziologe und Politikwissenschaftler. Er hat mehrere Jahre mit befristeten Verträgen in Projekten gearbeitet. Zuletzt als Referent beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales, wo es um die Umsetzung der Behindertenrechtskonvention ging. Bei der Jobsuche hat der Soziologe klar erkannt: "Nur einen Job habe ich ohne öffentliche Förderung bekommen. Das zeigt, es gibt noch viele Bedenken, Menschen mit Behinderungen zu beschäftigten."

Aristoula Papadopoulou arbeitet 24 Stunden in der Woche als Psychologin in der Kaiser-Karl-Klinik. "Der unbefristete Vertrag dort ist natürlich ein Privileg", sagt die 48-Jährige. Gleichzeitig sei das regelmäßige Gehalt der Notanker für das Paar, wenn die Einnahmen aus der Selbstständigkeit nicht so üppig fließen. Ihre gemeinsame Firma heißt Designbar Consulting. Sie beraten Firmen in Fragen der Barrierefreiheit.

Dabei geht es sowohl um Räumlichkeiten als auch um Veranstaltungen. Außerdem geben sie Unternehmen Hilfestellung für die Weiterbeschäftigung von bewährten Mitarbeitern und Einstellung von neuen Beschäftigten mit Einschränkungen und Behinderungen. Das Paar hat auch bei der Industrie- und Handelskammer Bonn/Rhein-Sieg bereits Personalverantwortliche von Firmen in Sachen Inklusionskompetenz geschult. "Wir können das authentisch rüberbringen", benennt die Psychologin den Vorteil ihrer Firma.

"Als Selbstständiger mit Behinderung brauche ich noch mehr als andere Selbstständige Alleinstellungsmerkmale", sagt Christian Papadopoulos. Nur dadurch hätten Kunden einen Grund, ihm die Aufträge zu geben. Gleichzeitig müssten potenzielle Kunden natürlich das Vertrauen in die Leistungsfähigkeit gewinnen. "Im Hintergrund steht dabei natürlich auch immer die Frage, ob die Auftraggeber glauben, dass wir ein Projekt stemmen können", erklärt Aristoula Papadopoulou. Das Selbstvertrauen dafür strahlen beide aus: "Unsere Stärke ist, dass wir einerseits fachlich kompetent sind und auch mit einer Behinderung leben", beschreibt Christian Papadopoulos. Der Vorteil an der Existenzgründung sei: "Man kann selbst gestalten, das ist schön."

Die beiden leben und arbeiten unter einem Dach. Zur pflegerischen Unterstützung nutzen sie das Modell der persönlichen Assistenz, das in ihren Augen ein Höchstmaß an Selbstbestimmung bietet. Sie sind Arbeitgeber der Assistenten.

Durch ein Team von zehn bis elf Personen sei sichergestellt, dass rund um die Uhr jemand zur Verfügung steht. Es gibt das persönliche Budget der Pflegeversicherung, aus dem die Gehälter gezahlt werden. Das Paar hat gegenüber den Assistenten die Rechte und Pflichten eines jeden Arbeitgebers. Die Psychologin hält Menschen, die einen persönlichen Assistenten brauchen, auch bei der Arbeit insgesamt für teamfähiger: "Sie können auch delegieren und organisieren."

Beide engagieren sich ehrenamtlich in der Behindertenarbeit: "Ich kann der Gesellschaft nicht vorwerfen, dass sie nichts tut, wenn ich mich nicht selber einbringe. Ich kann ihr aber sehr wohl vorwerfen, dass sie mich für meinen Hilfebedarf doppelt zur Kasse bittet: Steuern und Einkommensanrechnung nahe dem Sozialhilfe-Niveau." Leistungen, die Menschen mit Behinderungen als Eingliederungshilfe oder Pflegeleistungen erhalten, unterliegen zum Teil der Einkommens- und Vermögensanrechnung. Wohlhabend werden kann man als selbstständiger behinderter Mensch, der Pflege braucht, deshalb nicht: Ein Paar darf nicht mehr als 3200 Euro Vermögen haben. Alles darüber hinaus wird für die Pflegeausgaben angerechnet. "Zwischen Held und Habenichts", kommentiert Christian Papadopoulos die Situation. Das deutsche Recht führt auch bei gut ausgebildeten Menschen mit Behinderung zu einem Leben, wo jede Waschmaschinenreparatur zu einem finanziellen Kraftakt wird.

Viele behinderte Menschen, die sich selbstständig machen, tun es aus der Erfahrung des Paares heraus auf Feldern, die mit ihrer Behinderung zu tun haben: Schulungen, Anti-Vorurteils-Training, Webdesign, kaufmännische Dienstleistungen. Und nicht alle kommen durch: "Man darf sich keinen Illusionen hingeben: Die Gründungsphase ist kritisch", so Christian Papadopoulos.

Christian Papadopoulos möchte die eigene Firma in den nächsten vier bis fünf Jahren so weit voranbringen, dass sie auch andere Menschen mit Behinderung anstellen können. Er würde jederzeit wieder eine Firma gründen, aber weiß auch genau: "Selbstständige mit Behinderung sind Pioniere." Zusätzlich will er im Sommer voraussichtlich eine Forschungstätigkeit aufnehmen, die auch zu einer Promotion führen soll. Aristoula Papadopoulou wünscht sich am Arbeitsmarkt mehr Chancen für Menschen, die Einschränkungen haben. Das werde aber häufig allein schon dadurch behindert, dass gerade kleinere Arbeitgeber wenig Ahnung hätten, wie sie sich durch die Förderlandschaft bewegen sollten und Anträge ausfüllen. Hier müsse es noch mehr unabhängige Unterstützung geben.Von Vorurteilen gegenüber behinderten Menschen kann sich auch Aristoula Papadopoulou nicht völlig freimachen: "Als wir uns selbstständig machten, wollten wir einen professionellen Internetauftritt gestalten lassen." Sie vergaben den Auftrag an einen blinden Webdesigner. "Ich konnte mir selbst schwer vorstellen, dass ein Blinder es schafft, eine optisch ansprechende Internetseite zu gestalten." Doch es klappte: "Der Webdesigner hat natürlich auch seine Arbeitsassistenz noch mal drüberschauen lassen." Da habe sie deutlich ihre eigenen Bilder im Kopf gespürt: "Vorurteile hat jeder, aber man muss sie oft genug über Bord werfen. Das hat uns diese Erfahrung gezeigt."

Der General-Anzeiger berichtet in lockerer Reihenfolge über die Probleme, vor denen Menschen mit Behinderung auf dem Arbeitsmarkt stehen.

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