Interview mit Andre Carls Bankenverband NRW: „Dieses Mal sind wir Teil der Lösung“

Interview | Bonn · Die privaten Banken in NRW stehen in der gegenwärtigen Krise gut da, sagt Bankenverbands-Vorstand Andre Carls. Dagegen müsse das Eigenkapital vieler anderer Unternehmen gezielt erhöht werden, damit sie sich zukunftsfähig aufstellen können, fordert er im Gespräch mit Martin Wein.

 Die Gefahr einer neuen Bankenkrise ist laut Bankenverbands-Vorstand Andre Carls derzeit nicht so groß. Trotzdem könne es für die Banken auch zu schwierigen Situation kommen.

Die Gefahr einer neuen Bankenkrise ist laut Bankenverbands-Vorstand Andre Carls derzeit nicht so groß. Trotzdem könne es für die Banken auch zu schwierigen Situation kommen.

Foto: Bankenverband/Alexandra Lechner

Wie stehen die privaten Banken in NRW nach vier Monaten Corona-Krise wirtschaftlich da? Wird der Shutdown Spuren in den Bilanzen hinterlassen?

Andre Carls: Die Privatbanken in NRW sind zum Glück gut kapitalisiert. Nach der Finanzkrise vor zehn Jahren haben die Institute beim Eigenkapital viel Boden gut gemacht und können damit ihren Kunden in der aktuellen Krise bei deren Kreditanfragen zur Seite stehen. Wir nutzen dabei alle Kulanzregeln und Regulierungserleichterungen aus. Die klassische Hausbank hat sich damit einmal mehr bewährt. In der Hochphase der Pandemie hatten unsere Mitgliedsunternehmen bis zu 90 Prozent der Belegschaft im Homeoffice. Trotzdem hat es keine Störungen oder Ausfälle im Geschäftsverkehr gegeben. Dieses Mal sind wir Teil der Lösung.

Könnte die stark gelockerte Kreditvergabe nicht in einer neuen Bankenkrise münden?

Carls: Diese Gefahr ist derzeit nicht so groß. Aber in einer solchen tiefen Krise werden nicht alle Unternehmen überleben. Das gehört zur Wahrheit dazu. Wir werden als Banken auch schwierige Gespräche führen und gelegentlich Nein sagen müssen. Das wird sich spätestens zeigen, wenn die Hilfspakete irgendwann auslaufen. Deshalb erhöhen alle Häuser stark ihre Risikovorsorge. Die HSBC Deutschland in der Nachbarschaft unseres Verbandes hat ihre gerade erst vervierfacht. Sollte es also zu Kreditausfällen kommen, sind wir darauf vorbereitet.

Ihre Mitglieder haben in den letzten Monaten Unternehmen bei der Beantragung von KfW-Krediten zur Überbrückung der Corona-Krise unterstützt. Mussten dabei schon viele Kreditwünsche unerfüllt bleiben?

Carls: In NRW wurden 16.000 Anträge auf KfW-Kredite zur Überbrückung der Krise gestellt. Davon wurden 15.800 genehmigt. Das sind immerhin ein Viertel aller Anträge deutschlandweit.

Werden damit Bereinigungen des Marktes nicht einfach verzögert?

Carls: Wir stecken unleugbar in einer schweren Rezession. Die meisten Ökonomen gehen aber davon aus, dass die Wirtschaft sich in der zweiten Jahreshälfte stabilisiert und dass wir 2021 wieder Wachstum sehen. Insofern besteht eine gute Chance, dass eine große Mehrheit der Geförderten die Krise übersteht. Wir müssen aber – und dazu gibt es bereits Gespräche mit der Politik – sehr zielgerichtet die Eigenkapitalseite der Unternehmen mit einem zukunftsfähigen Geschäftsmodell stärken. Das kann etwa durch Mezzanine- oder Nachrang-Kapital gelingen. Unternehmen erhalten dabei wirtschaftliches oder bilanzielles Eigenkapital, ohne den Kapitalgebern zu viel Einfluss zu gewähren.

Spüren Sie einen Rückgang der Investitionen in diesem Frühjahr?

Carls: Ja, die Neigung dazu war deutlich rückläufig. Auch deshalb brauchen wir mehr Eigenkapital. Bei der Digitalisierung zeigt sich, wer frühzeitig entsprechend investiert hat, ist deutlich besser durch die Krise gekommen als andere. Wer noch Nachholbedarf hat, muss jetzt schnell handeln, sonst wird er abgehängt.

Wie wird sich die expansive Geldpolitik des Staates und der Europäischen Zentralbank (EZB) auf die Geldwertstabilität auswirken? Rechnen Sie mit anziehender Inflation? Oder führt die wirtschaftliche Schwäche eher in die Deflation?

Carls: Wichtig ist zunächst, dass den Unternehmen mit Liquidität geholfen wird. In der Finanzkrise 2008 haben die massiven Staatshilfen dazu geführt, dass es schneller als in früheren Krisen wieder zu Gewinnen und entsprechendem Steueraufkommen gekommen ist. Damit konnte auch die Schuldenquote der öffentlichen Hand schnell zurückgefahren werden. Insofern ist das Engagement des Staates nachvollziehbar. Wir haben dadurch zwar sehr viel billiges Geld im Markt. Trotzdem bleibt die Inflation im Moment aus, die man nach der reinen Lehre erwarten würde.

Wie steht es mit Privatkunden? Sind die vorsichtiger geworden, etwa bei Immobilienkäufen, als zu Jahresanfang?

Carls: Das können wir bisher nicht erkennen. Bei Ratenkrediten oder Immobilienfinanzierung gibt es weiterhin eine hohe Nachfrage.

Einige Privatanleger sind aufgrund der dauerhaft niedrigen Zinsen aufs Börsenparkett zurückgekehrt. Jetzt kam die vermeintlich durch Betrug ausgelöste Insolvenz von Wirecard. Reiben Sie sich als ehrliche Kaufleute da die Augen, dass so etwas möglich ist?

Carls: Zum ersten Mal ist damit ein DAX-Unternehmen in die Insolvenz gegangen. Das ist schon ein Novum. Der Fall ist aber noch zu frisch und undurchsichtig, als dass wir ihn bewerten könnten. So etwas ist aber die absolute Ausnahme. Grundsätzlich raten wir Anlegern: Man muss mit dem richtigen Risikobewusstsein an die Börse gehen. Je größer die Chancen, desto größer sind auch die Risiken.

Wie steht es bei den Banken selbst. Früher gab es eine Vielzahl kleinerer Privatbankhäuser. Wird deren Zahl weiter abnehmen?

Carls: Unser Verband hat in den letzten Jahren durch Neuansiedlungen einige neue Mitglieder dazugewonnen. Derzeit haben wir 68 Mitgliedsinstitute. Darunter sind auch einige FinTechs, die wir gerne als neue Mitglieder aufnehmen.

Unter Ihren Mitgliedern sind auch viele ausländische Institute. Wird die erkennbare internationale Entflechtung etwa durch den Brexit Auswirkungen auf deren Geschäftstätigkeit in NRW haben?

Carls: Das sehen wir im Moment nicht. In NRW sind so viele private Banken vertreten, weil es das exportstärkste Bundesland ist. Wir stehen für 90 Prozent der Exportfinanzierung. Auch der hohe Anteil vermögender Privatkunden bietet ein attraktives Umfeld. Es ist damit ein Standortvorteil, hier vertreten zu sein. Das gilt für kleine wie für große Institute. Konsequenzen aus dem Brexit zeigen sich eher am Bankenplatz Frankfurt, der dadurch gestärkt wird.

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