Interview mit Werner Wenning Bayer-Aufsichtsratschef: „Bayer war auch Heimat“

Leverkusen · Vor 54 Jahren fing Werner Wenning als Lehrling bei Bayer an, am Dienstag tritt er als Aufsichtsratschef ab. Mit Wenning sprach am Telefon Antje Höning über Kindheit, Karriere, Kritik und Verantwortung.

 Werner Wenning bei der Bayer-Hauptversammlung im letzten Jahr: Am Dienstag endet nach 54 Jahren seine Zeit bei Bayer.

Werner Wenning bei der Bayer-Hauptversammlung im letzten Jahr: Am Dienstag endet nach 54 Jahren seine Zeit bei Bayer.

Foto: dpa/Guido Kirchner

Am Dienstag endet eine Ära: Auf der Hauptversammlung treten Sie ab, nach 54 Jahren unter dem Bayer-Kreuz. Was war der Konzern für Sie?

Werner Wenning: Bayer habe ich sehr viel zu verdanken. Der Konzern hat mir die Möglichkeit gegeben, andere Länder und Kulturen sowie beeindruckende Persönlichkeiten kennenzulernen und er hat mir immer wieder neue Aufgaben mit steigender Verantwortung anvertraut. Meine Familie steht natürlich immer an erster Stelle. Aber Bayer war auch Heimat, mein ständiger Zweitwohnsitz sozusagen.

Sie wurden Vorstands- und Aufsichtsrats-Chef. Das war nicht abzusehen, als Sie am 1. April 1966 Ihre Lehre zum Industriekaufmann begannen. Was waren damals Ihre Hoffnungen?

Wenning: Wenn man jung ist, macht man sich noch keine konkreten Gedanken darüber, wo die berufliche Reise einmal hingeht. Von dem, was mir Bayer über die vielen Jahre hinweg ermöglicht hat, habe ich damals als Lehrling jedenfalls nicht einmal annähernd zu träumen gewagt.

Ihre Mutter wollte lieber, dass Sie zum Finanzamt gehen ...

Wenning: Ja, das stimmt. Mein Vater starb, als ich 14 Jahre alt war. Und Finanzbeamter galt als der krisensichere Job schlechthin. Der Junge soll was Ordentliches machen, das war ihr Wunsch.

Was bedeutet der frühe Tod Ihres Vaters für Sie?

Wenning: Das hat mich sehr geprägt. Ich musste früh Verantwortung übernehmen: Ich hatte neben der Schule einige Jobs, um die Familienkasse aufzubessern. In einem Gemüsehandel habe ich Kartoffelsäcke gepackt – immer 10 Pfund in einen Sack. Wehe, man hatte die Waage falsch eingestellt, dann konnte man von vorne beginnen. In den Schulferien habe ich auch in einem Lackbetrieb als Helfer gearbeitet.

Was war Ihre erste Arbeit als Bayer-Lehrling?

Wenning: Für alle Lehrlinge stand zunächst ein Einsatz in der Produktion an. Wir sollten das wahre Leben auch mal kennenlernen. Mein erster Einsatz ging in die Lederchemie. Hier mussten ich Felle mit Chemikalien reinigen und mit einem Rundmesser bearbeiten...

Sie wurden ohne Abitur und Studium Vorstandschef. Wäre eine solche Karriere heute noch möglich?

Wenning: Ich habe sechs Jahre die Realschule besucht und zwei Jahre die Höhere Handelsschule. Damit wäre es heute wohl schwieriger. Aber unabhängig vom Abschluss kann ich jungen Menschen nur raten, was ich mir auch immer zu Herzen genommen habe: Traut euch was, habt Mut zur Veränderung.

Was hat Sie bei Bayer geprägt?

Wenning: Die frühe Arbeit im Ausland. Ich war 23 Jahre, als mich Bayer nach Peru schickte. Dort baute der Konzern eine Kunstfaser-Fabrik. Ich habe in Lima das Rechnungswesen aufgebaut. Zugleich konnte ich so ein Versprechen einlösen, das ich meiner Frau gegeben hatte: ihr die Welt zu zeigen.

Wie anders war damals Bayer?

Wenning: Als ich mit meiner Ausbildung anfing, machte Bayer umgerechnet drei Milliarden Euro Jahresumsatz, davon 40 Prozent in Deutschland. Heute setzt der Konzern mehr als 43 Milliarden Euro um, davon noch gut fünf Prozent in Deutschland. Das zeigt auch, wie sich Bayer verändert hat.

Keiner hat Bayer so stark umgebaut wie Sie. Wie verhindert man, dabei das Wesen eines Konzerns zu zerstören, wie es beim Konkurrenten Hoechst geschehen ist?

Wenning: Kaufen und Verkaufen ist ja kein Selbstzweck. In Zeiten des intensiven Wettbewerbs müssen Unternehmen die Fähigkeiten und den Mut aufbringen, um die Zukunft aktiv zu gestalten. Das bedarf einer klaren Analyse, eines überzeugenden Plans und einer disziplinierten Umsetzung. Wer den Kern eines Unternehmens stark machen will, muss vieles verändern.

Sie haben sogar die historischen Wurzeln gekappt, indem Sie die Chemie in Lanxess und die Kunststoffe in Covestro auslagerten ….

Wenning: Viele Unternehmen haben sich im Laufe der Zeit spezialisiert. Unsere Analysen hatten ergeben, dass wir nicht allen Bereichen ausreichend Mittel geben konnten, damit sie wachsen und sich im Wettbewerb behaupten können. Als Konsequenz haben wir die Chemie abgespalten. Lanxess hat sich sehr gut entwickelt – ebenso wie später Covestro. Zugleich haben wir viel im Gesundheits- und Landwirtschaftsbereich investiert, mit Schering haben wir 2006 einen Dax-Konzern übernommen.

Das kam plötzlich …

Wenning: Eigentlich wollten wir mit Schering eine Kooperation eingehen. Doch dann kam die Übernahme-Offerte von Merck. Wir sind als sogenannter weißer Ritter eingestiegen und haben damit unser Pharma-Geschäft stark ausgebaut. Innerhalb weniger Tage konnten wir eine Einigung erzielen. Das war eine tolle Teamleistung.

Als Sie 2002 Vorstandschef wurden, war Bayer allerdings in einer bedrohlichen Lage. Wegen Todesfällen von Patienten, die Lipobay genommen hatten, stand der Konzern in den Schlagzeilen und musste den Cholesterinsenker vom Markt nehmen. Hatten Sie Angst, dass Bayer das nicht überlebt?

Wenning: Nein, unsere Kampfbereitschaft war groß. Aber die Lage war damals schon dramatisch, die Bayer-Aktie fiel unter zehn Euro. Bayer war ein Schnäppchen und hätte übernommen werden können. Dann kam die entscheidende Gerichtsverhandlung in Corpus Christi – und die Richter gaben Bayer Recht.

Nun entscheidet sich das Schicksal von Bayer erneut in US-Gerichtssälen – 48 000 Kläger machen Monsanto für ihre Krebserkrankung verantwortlich. Ein Déjà-vu-Erlebnis?

Wenning: Die Situation ist heute eine ganz andere. Bayer ist deutlich besser aufgestellt. Was sich nicht geändert hat: Die Sicherheit unserer Produkte hat für uns immer höchste Priorität. Wir vertrauen den Schlussfolgerungen von Regulierungsbehörden weltweit. Diese sind wiederho lt zu dem Schluss gekommen, dass die glyphosatbasierten Herbizide von Bayer bei sachgemäßer Verwendung sicher sind und dass Glyphosat nicht krebserregend ist.

Kritik an der Übernahme von Monsanto gab es von allen Seiten: Aktionären, Umweltschützern, Kirchen. Die Aktie hat zeitweise 40 Prozent ihres Wertes verloren. Hatten Sie das erwartet?

Wenning: Der Markt hatte damals erwartet, dass wir uns im Pharma-Bereich durch eine größere Übernahme verstärken würden. Dass wir dann den Bereich Crop Science ausgebaut haben, auch weil die Branche sich global konsolidierte, musste im Kapitalmarkt erst gründlich erklärt werden. Das gelang dem Vorstand auch zunehmend. Doch dann ging der erste Prozess verloren, als wir noch gar kein grünes Licht der Wettbewerbsbehörden hatten, die Übernahme abzuschließen und mit der Integration zu beginnen.

Was kann Bayer zur Bewältigung der Corona-Krise beitragen?

Wenning: Wir tun, was wir können, mit Geld- und Sachspenden, mit dem Einsatz von unseren Mitarbeitern im Gesundheitswesen, mit Testgeräten und vielen weiteren Maßnahmen. Wir stellen auch das Malariamittel Chloroquin Regierungen ebenfalls als Spende zur Verfügung. Allerdings liegen bislang keine belastbaren Ergebnisse aus klinischen Studien zum Nutzen-Risiko-Profil bei der Behandlung von Covid-19 vor, und bei verschreibungspflichtigen Arzneimitteln muss letztlich immer ein Arzt über dessen Anwendung entscheiden.

Und was machen Sie nach Dienstag? Man kann sich schwer vorstellen, dass Sie nur im Garten sitzen.

Wenning: Das werde ich auch nicht tun. Ich bin noch bis Anfang 2021 im Aufsichtsrat von Siemens. Und daneben habe ich ja noch ein großes Hobby und werde weiter Vorsitzender des Gesellschafterausschusses von Bayer 04 bleiben.

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