Energiewende Beim Windkraft-Ausbau herrscht Flaute

Berlin · Obwohl der Klimaschutz politisches Topthema ist, kommt die Energiewende nicht schnell genug voran. Eine Schlüsselrolle fällt dabei der Windkraft zu. Eine Analyse.

Es ist ein seltsamer Widerspruch. Einerseits werden die Forderungen lauter, mit dem Klimaschutz schneller voranzukommen. Parallel dazu verlangsamt sich jedoch der Ausbau der erneuerbaren Energien. Tausende Windräder werden versprochen, aber nur wenige gebaut. Auf welchem Stand ist die Ökoenergie augenblicklich, welcher Ausbau müsste stattfinden, um die Ziele zu erreichen?

Seit einem Dreivierteljahr haben die Friday for Future-Demonstrationen die öffentliche Debatte so verschoben, dass Klimaschutz den neuen Konsens bildet – von der AfD und ihren Unterstützern abgesehen. Selbst bei der Wahl zur Präsidentin der EU-Kommission warb Ursula von der Leyen dafür, den Ausstoß von Kohlendioxid (CO2) stark zu verringern. Im Klima-Kabinett verhandelte die Bundesregierung am Donnerstag über einen höheren Preis für CO2. Zur gleichen Zeit scheint die Energiewende in Deutschland zu erlahmen. Gerade erst hat die CDU-FDP-Mehrheit im NRW-Landtag neue Regeln für den Abstand zwischen Wohnsiedlungen und Windrädern erlassen, die deren Bau erschweren. „Manche Politiker meinen, dadurch verhindern zu können, dass ihnen die Wähler nach rechts davonlaufen“, sagt Rainer Hinrichs-Rahlwes, Vorstandsmitglied im Bundesverband Erneuerbare Energie (BEE).

65 Prozent des Stroms soll 2030 aus Ökokraftwerken kommen

Denn kaum ein Windpark im Bundesgebiet wird einfach so geplant und gebaut. Oft ist mit Klagen von Anwohnern zu rechnen. Außerdem führte die Bundesregierung schon vor Jahren eine Begrenzung ein, als der Bau von Wind- und Solarkraftwerken gerade so richtig in Schwung kam. Ergebnis von beidem: „Der Windenergieausbau stagniert“, schrieb unlängst das Fraunhofer-Institut in Kassel. Das erscheint umso merkwürdiger, als die Windkraft an Land im Vergleich zu Solarkraftwerken und Windrädern auf See den größten Teil der Zukunftsenergie liefern muss. Die Bundesregierung will handeln. Unter anderem weil das nationale Ziel zur Reduktion von Treibhausgasen für 2020 wohl verfehlt wird, will man das Tempo bis 2030 erhöhen. 65 Prozent des bundesdeutschen Stroms (heute knapp 40) sollen dann aus Ökokraftwerken fließen, haben Union und SPD in ihren Koalitionsvertrag geschrieben. Aber: „Für die Erreichung fehlen bisher sowohl ein realistisches Mengengerüst als auch der rechtliche Rahmen“, so Hinrichs-Rahlwes.

Oft reicht der politische Horizont in den aktuellen Debatten nur bis 2030. Was aber bedeutet es, die bundesdeutschen Firmen und Wohnungen bis 2050 wie geplant fast komplett mit Ökostrom zu versorgen, plus die elektrische Energie für Millionen E-Fahrzeuge zu produzieren? Die nackten Zahlen können zunächst einen irritierenden Eindruck hinterlassen. Denn die Leistung der installierten Windkraftwerke an Land – Onshore-Anlagen – müsste nach heutigen Prognosen dann auf mehr als das Dreifache steigen, von etwa derzeit 50 Gigawatt (GW) auf vielleicht 170 GW. Über diese Größenordnungen sind sich, bei Unterschieden in Details, viele Wissenschaftler einig. Wie soll das zu schaffen sein, wenn es schon jetzt wegen massiver Akzeptanz-Probleme zu langsam vorangeht? Bei Windanlagen auf Nord- und Ostsee wäre die Sache dagegen einfacher: Sie stehen meist hinter dem Horizont. Und Solarpanele verschandeln die Landschaft nicht, weil sie überwiegend auf Gebäudedächer geschraubt werden.

30 000 Onshore-Windräder in Deutschland

Heute stehen in Deutschland rund 30 000 Onshore-Windräder. 2050 müsste es eine Größenordnung von 100 000 sein. Dafür bräuchte man etwa zwei Prozent der Landesfläche. Zum Vergleich: Derzeit beanspruchen Siedlungen etwa 14 Prozent. Ein Siebtel genutzter Fläche käme also hinzu. Damit wären die hohen Rotoren in den meisten Gegenden Deutschlands ein alltäglicher Anblick, auch in den Mittelgebirgen, auch in Baden-Württemberg und Bayern, wo es heute noch wenige gibt. Die Kulturlandschaft würde sich deutlich ändern. Selbst Ökologen haben damit aber ihren Frieden gemacht.

Das Umweltbundesamt schreibt in einer Studie: „Die Windenergie an Land kann ihrer Schlüsselrolle im Portfolio der erneuerbaren Energien gerecht werden.“ Und Thorben Becker, Energie-Experte des Umweltverbandes BUND, sagt: „100 Prozent erneuerbare Energien sind möglich – unter bestimmten Voraussetzungen.“ Dazu gehöre, die „Energiewende in die Städte zu holen“. Das bedeutet, die Dächer der Gebäude konsequent mit Sonnenkollektoren und Photovoltaik-Modulen auszustatten. Außerdem geht es darum, den Energieverbrauch zu reduzieren. „Je sparsamer und energieeffizienter wir mit Strom umgehen, desto besser können wir unseren Bedarf zur Mitte des Jahrhunderts aus Erneuerbaren-Energien-Anlagen in Deutschland decken“, sagt Matthias Deutsch von der Organisation Agora Energiewende. Bedeutend in diesem Zusammenhang: Gebäudedämmung und die Umstellung des individuellen Autoverkehrs auf neue Arten privat-öffentlichen Transports.

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