Energiewende in Gefahr Bundeswirtschaftsminister stellt Pläne für Netzausbau in Bonn vor
Bonn · Deutschland fehlen Stromautobahnen, die den Ökostrom von Nord nach Süd transportieren. In Bonn stellt der Bundeswirtschaftsminister seine Pläne vor.
Die neue Bundesregierung hat sich den beschleunigten Ausbau der erneuerbaren Energien zum Ziel gesetzt: Bis zum Jahr 2030 sollen schon 65 Prozent des Stroms vornehmlich durch Windkraft und Photovoltaik produziert werden, das wäre mehr als eine Verdoppelung gegenüber heute. Ehrgeizig ist dieser Plan, weil es Verzögerungen beim Ausbau der Übertragungsnetze gibt: Da die Leitungskapazitäten nicht ausreichen, kann etwa der überschüssige Windstrom im Norden nicht jederzeit zu den Verbrauchern im Süden transportiert werden.
„Die Stunde der Wahrheit ist gekommen“, sagte Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) am Dienstag bei seinem Antrittsbesuch in der Bundesnetzagentur in Bonn. Die „Schlüsselherausforderung“ der kommenden Jahre für eine erfolgreiche Energiewende sei „der Ausbau der Stromnetze“. Eine Herausforderung ist es deshalb, weil Deutschland weit hinter den Planungen früherer Bundesregierungen hinterherhinkt: Von den 7700 Kilometern Höchstspannungsleitungen, die im Rahmen der Energiewende gebaut beziehungsweise verstärkt werden sollen, sind nur 1750 Kilometer genehmigt und 950 realisiert.
Vielfältige Gründe für mangelnden Stromnetzausbau
Die Gründe für die Verzögerung sind vielfältig. Altmaier sagte: „Ich verzichte auf Schuldzuweisungen.“ So könnte er mit dem Finger auf Bürgerinitiativen zeigen, die sich gegen den Bau neuer Strommasten wenden, weil sie die Landschaft verschandeln, Waldgebiete ihnen weichen müssen und Anwohner Furcht vor elektromagnetischen Strahlungen haben. Auch Bundesländer können sich oftmals über den Verlauf einer neuen Leitung nicht einigen. Altmaier kündigte am Dienstag an, dass er seine Länderkollegen und Bürgerinitiativen für den 20. September nach Berlin eingeladen habe, um den Ausbaustau aufzulösen. „Für jedes Projekt werden wir prüfen, welche Gründe es für Verzögerungen gibt.“
Altmaier sagte, er stehe voll und ganz hinter den Zielvereinbarungen im Koalitionsvertrag. Eigentlich sollte die 65-Prozent-Marke erst 2040 erreicht werden, also zehn Jahre später. Der Minister weiß, dass einige Kritiker des Netzausbaus ihn gänzlich in Frage stellen. Für sie erklärte er in Bonn, dass Windräder und Photovoltaikanlagen nicht überall errichtet werden könnten, weil die Flächen fehlten und die klimatischen Bedingungen nicht günstig seien. Deshalb sei der Stromtransport über weite Strecken notwendig.
Die Engpässe im Stromnetz kosten jährlich 1,4 Milliarden Euro
Wenn das Netz zusammenzubrechen droht, weil bei kräftigem Wind zu viel Ökostrom eingespeist wird, müssen derzeit im Norden Windkraftanlagen abgestellt und Kohlekraftwerke im Süden hochgefahren werden. Solche Vorkehrungen für eine stabile Stromversorgung sind teuer: 2014 wurden 436 Millionen Euro auf die Verbraucher umgewälzt, 2017 waren es bereits 1,4 Milliarden Euro. Laut Netzagentur könnten sie sich bald auf vier Milliarden Euro jährlich summieren, wenn nichts passiert.
Im Herbst will Altmaier eine Gesetzesnovelle vorlegen. Darin will er neue Verfahren festschreiben wie das Treffen „konkreter Zielvereinbarungen“ zum Netzausbau, die alle sechs Monate überprüft werden. Er nennt das „„vorausschauendes Controlling“.
„Die großen Stromautobahnen müssen schnell fertiggestellt werden“, sagte der Minister. So sollen die Leitungen Südlink und Südostlink bis 2025 in Betrieb gehen. Planungsverfahren sollen kürzer und das Vorschlagsrecht der Länder für Alternativplanungen beschränkt werden. Dass die Bürgerbeteiligung abgewürgt werden könnte, bestritt Altmaier. Er unterstrich, dass Erdverkabelung die Akzeptanz bei Bürgern für neue Leitungen erhöht habe.