„Das Internet als Wirtschaftsraum begreifen“

Bonn · In „Smart Camps“ lernen Schüler, sich professionell im Netz zu bewegen. Initiatorin Simone Stein-Lücke hat noch viel vor.

 Schüler machen Selfies bei einem "Instawalk" im Rahmen eines Smart Camps in der Godesberger Innenstadt.

Schüler machen Selfies bei einem "Instawalk" im Rahmen eines Smart Camps in der Godesberger Innenstadt.

Foto: BG3000

Start-up aus Bonn

In diesem Sommer hat Simone Stein-Lücke erstmals gegen Monster gekämpft. „Ich war ein Monsterkiller mit zwei Waffen. Wir bewegten uns in wunderschönen Tempelanlagen, und mein Instructor feuerte mich ständig an: 'Stein, you can do better!' (Stein, Sie können es noch besser machen!)“.

Es war das erste Egoshooterspiel der Godesberger Unternehmerin. Die 48-Jährige war extra nach New York gereist, um an einer Gamingkonferenz teilzunehmen. Nach 20 Minuten Monsterkampf in der virtuellen Welt sei sie fix und fertig gewesen. Aber auch überzeugt, dass Computerspiele („Gaming“) im weitestens Sinne ein wichtiges Lerninstrument sein können.

Noch ist das hierzulande Zukunftsmusik, aber Stein-Lücke, die in der Public-Relations-Branche tätig ist, hat sich bereits in den vergangenen drei Jahren im Bildungswesen ein weiteres berufliches Standbein aufgebaut. BG3000 heißt ihr Start-up, das Schülern ab der Klasse 7 in zwei- bis viertägigen Kursen vermittelt, wie sie sich professionell im Internet bewegen. An den sogenannten Smart Camps haben seit ihrem Start 2014 bundesweit schon rund 7000 Jugendliche teilgenommen.

Eigentlich ein Zufallsprodukt

„Die Idee dazu ist eigentlich auf der linken Pobacke entstanden“, sagt sie salopp. Eher ein Zufallsprodukt. Denn als sie mit ihren drei Neffen im Urlaub war, erlebte Stein-Lücke, wie die Teenager intuitiv jedes digitale Gerät bedienten, ansonsten aber keine Ahnung hatten, nach welchen Regeln die Welt im Netz funktioniert, in der sie sich alltäglich bewegen.

„Gestartet ist es als ganz kleine lokale Initiative“, erzählt Stein-Lücke, die zunächst Geld in der Wirtschaft sammelte und sich Rat bei Experten für digitale Medien und Didaktik holte. Die ersten Kurse fanden als „Ferienbelustigung“ in den Godesberger Kammerspielen und im Kinopolis statt. Der Name des Start-ups setzt sich denn auch zusammen aus der Abkürzung für Bad Godesberg, die Zahl dahinter steht für das begonnene Jahrtausend.

Stein-Lücke ist in kurzer Zeit einen weiten Weg gegangen. Inzwischen hat BG3000 zehn fest angestellte Mitarbeiter in Bonn und drei weitere in Mannheim. 50 Trainer stehen für die Smart Camps unter Vertrag, weitere 120 Interessenten bewerben sich gerade auf neue Trainerstellen.

Was lernen die Schüler? Es geht um die Sicherheit im Internet: Vermittelt werden Techniken, wie sich jeder Nutzer sicher machen kann – vor Datendiebstahl, Falschnachrichten, Verletzung der Intimsphäre und Mobbing. Dass jeder Nutzer hin und wieder offline sein muss, um Ruhe und Entspannung zu finden, steht ebenfalls auf dem Programm.

Techniken, um Follower zu gewinnen

Wohl weil sie selbst Unternehmerin ist, hat Stein-Lücke aber noch ein weiteres Ziel: „Die Jugendlichen sollen das Internet auch als Wirtschaftsraum begreifen.“ Hier sieht sie besonders große Defizite in Deutschland. Die jungen Leute würden Youtube-Stars nacheifern, hätten aber keine Techniken, wie sie selbst Follower gewinnen. „Unsere Trainer sagen ihnen: Lass dich nicht manipulieren. Durchschaue, wer welche Interessen hat.“ Und sie forderten die Kursteilnehmer auf: „Mach' deine Kanäle klar, werde selber aktiv.“

So wetteifern Smart-Camp-Schüler gruppenweise, welches Team die meisten Follower bekommt. Oder machen bei einem „Instawalk“ mit, wo sie per Smartphone Fotos zu einem bestimmten Thema auf einem Spaziergang („Walk“) schießen, die sie später auf Instagram hochladen.

Weil Deutschland laut Stein-Lücke „auf der digitalen Bremse steht“, ist es ihr wichtig, auch die Politik in ihre Initiative einzubinden, was bei einer CDU-Bezirksbürgermeisterin, die sie in Godesberg auch noch ist, wahrscheinlich nicht ganz so überraschend ist. So hat sie die CDU-nahe Konrad-Adenauer-Stiftung und die CSU-nahe Hanns-Seidel-Stiftung für BG3000 gewinnen können. Für die Schirmherrschaft für die Smart Camps stehen Bundes- und Landespolitiker bereit.

Wagniskapital in New York eintreiben

Dank der NRW-Wirtschaftsförderung konnte Stein-Lücke im Juni nach New York fliegen, um für ihr Start-up Kontakte zu knüpfen und Wagniskapital einzutreiben. Inzwischen hat ihr Programm auch vom Bundesfamilienministerium eine Förderung für drei Jahre erhalten. Punktuell treibt sie Sponsorengelder bei Unternehmen ein. Die sähen das Engagement als Teil ihrer gesellschaftlichen Verantwortung. Auch wollten sie dem digitalen Fachkräftemangel vorbeugen. All diese Gelder sorgen dafür, dass die Smart Camps für die Schulen selbst kostenlos sind.

Hohe Wiederbuchungsquote seitens der Schulen

Die Wiederbuchungsquote seitens der Schulen sei hoch, sagt Stein-Lücke, sie liege bei 96 Prozent. In Paderborn wird nun nächste Woche das erste Smart Camp für Lehrer stattfinden. Ihr Zukunftsprojekt sind Videospiele. nachdem sie in den USA gesehen hat, dass „Gaming“ mehr ist als „Egoshooter“, sondern richtig eingesetzt auch soziales Lernen fördern kann. Zurückgekehrt aus Übersee hat sie sich erst einmal eine Playstation zugelegt. Selbsterfahrung ist eben unbezahlbar.