Weckruf für Großbanken Dax-Dino Commerzbank vor Abstieg

Frankfurt/Main · Fintechs mischen die Finanzbranche auf. Nun verliert die Commerzbank ihren Platz im Dax aller Voraussicht nach an ein junges Unternehmen. Ein Weckruf für die etablierten Banken.

 Der Abstieg des Dax-Gründungsmitglieds Commerzbank scheint kaum noch abwendbar.

Der Abstieg des Dax-Gründungsmitglieds Commerzbank scheint kaum noch abwendbar.

Foto: Frank Rumpenhorst

Was ist nur los mit Deutschlands Großbanken? Magere Ergebnisse, vor sich hin dümpelnde Aktienkurse und jetzt womöglich noch der Abstieg der Commerzbank aus der ersten deutschen Börsenliga.

Wenn nicht noch ein Wunder passiert, wird der Dax-Dino bei der nächsten regulären Überprüfung des Deutschen Aktienindex an diesem Mittwoch (5.9.) durch den aufstrebenden Zahlungsabwickler Wirecard ersetzt. Zugleich zählt die Deutsche Bank bald nicht mehr zu den 50 wertvollsten Börsenkonzernen der Eurozone. Sie steigt zum 24. September aus dem Leitindex EuroStoxx 50 ab, wie eine am Dienstag veröffentlichte Rangliste der Deutschen Börse zeigt.

Deutschlands führende Banken seien nach der jüngsten Finanzkrise zu lange mit sich selbst beschäftigt gewesen, meint Klaus Nieding, Vizepräsident der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW), der die Branche seit Jahren im Blick hat. "Die Aufarbeitung der Krise hat viel Zeit, Kraft und Geld gekostet. Beim Thema Digitalisierung haben die Banken zehn Jahre verschlafen."

Junge Finanzfirmen stießen in die Lücke. Die 1999 gegründete Wirecard AG versteht sich heute als "eines der weltweit führenden Unternehmen für elektronische Zahlungstransaktionen". Nach einem starken zweiten Quartal 2018 schraubte das Unternehmen aus dem Münchner Vorort Aschheim Mitte August erneut seine Ziele nach oben. Nach jüngsten Zahlen bringt es Wirecard auf einen Börsenwert von 24 Milliarden Euro - und ist damit an der Börse nicht nur mehr wert als die Commerzbank, sondern überflügelt auch die Deutsche Bank.

Agiler Nischenanbieter statt schwerfälliger Tanker mit Komplettangebot - Zeit für den Abgesang auf das klassische Bankgeschäft? Nein, sagt Holger Sachse, Bankenexperte bei der Boston Consulting Group (BCG): "Das ist nicht das Ende von Großbanken. In Europa gibt es sehr viele erfolgreiche Großbanken - übrigens auch im deutschen Markt." Zudem müsse sich noch zeigen, ob Fintechs die hohen Wachstumserwartungen auch erfüllen könnten. "Der Beweis, dass sich Kundenbeziehungen tatsächlich profitabilisieren lassen, der steht bei ganz vielen Fintechs noch aus", konstatiert Sachse.

"Ein Imageschaden wäre ein Abstieg der Commerzbank aus dem Dax durchaus", sagt der Kölner Bankenprofessor Thomas Hartmann-Wendels. Allerdings habe sich seit Jahren abgezeichnet, dass schlank aufgestellte neue Anbieter den Banken beim Zahlungsverkehr den Rang ablaufen. "Banken hätten längst gewarnt sein müssen, dass ihre Bedeutung schwindet. Das ist nun ein deutliches Signal, wie gravierend das Problem ist", sagt Hartmann-Wendels.

Der erste Abstieg des Dax-Gründungsmitglieds Commerzbank aus dem Kreis der 30 führenden börsennotierten Unternehmen in Deutschland - ausgerechnet im Jahr des 30. Jubiläums des Leitindex - scheint kaum noch abwendbar. Über Auf- oder Abstieg entscheidet die Deutsche Börse alle drei Monate. Kriterien sind Börsenumsatz (Handelsvolumen) und Börsenwert (Marktkapitalisierung) eines Unternehmens.

Gemessen am Börsenwert ist die einst zweitgrößte deutsche Bank schon lange kein Schwergewicht mehr - ebenso wie Deutschlands führendes Geldhaus, die Deutsche Bank: Die Commerzbank ist an der Börse nach jüngsten Zahlen noch etwas mehr als 10 Milliarden Euro wert, die Deutsche Bank kommt auf knapp 21 Milliarden Euro. Sowohl die europäische Konkurrenz - etwa die französische BNP Paribas (gut 65 Mrd Euro) als auch die spanische Santander (rund 71 Mrd Euro) - sind deutlich mehr wert. Meilenweit entfernt sind die großen Wall-Street-Häuser, allen voran die größte US-Bank JPMorgan Chase mit 334 Milliarden Euro Börsenwert.

Der Vorstand der seit der Finanzkrise teilverstaatlichten Commerzbank gab sich angesichts des drohenden Abstiegs in den MDax zuletzt gelassen. Konzernchef Martin Zielke betonte: "Für unsere Kunden, für unser Geschäft ändert sich damit überhaupt nichts. Für die Bedeutung der Bank für die deutsche Volkswirtschaft ändert sich überhaupt nichts." Privatkundenchef Michael Mandel verwies jüngst im "Handelsblatt" darauf, die Bank verfolge seit Herbst 2016 "eine Strategie, die langfristig Wert für die Bank schaffen und den Kurs nach oben bringen soll. Dass das nicht innerhalb von anderthalb Jahren gelingt, war von Anfang an klar." Und die Deutsche Bank erklärte, der Abstieg aus dem EuroStoxx 50 ändere nichts an ihrer Strategie, die auf mehr Profitabilität ziele.

Fakt ist: Die Konkurrenz etwa in den USA und der Schweiz verdient wieder kräftig Geld, während hierzulande zehn Jahre nach der Krise noch umgebaut und aufgeräumt wird. Der seit April amtierende Deutsche-Bank-Chef Christian Sewing bemüht sich zwar um ein höheres Tempo, räumte jüngst aber ein: "Es gibt noch viel zu tun."

Ein Platz im Dax oder im EuroStoxx 50 garantiert Aufmerksamkeit und lockt internationale Investoren wie Versicherungen, Pensions- oder Investmentfonds. "Der Dax ist ein Schaufenster. Wer dort drinsteht, hat es leichter, die Aufmerksamkeit von Investoren zu gewinnen", sagt BCG-Bankenexperte Sachse. Ein Abstieg aus dem Dax hätte ganz konkrete Folgen: Indexfonds, die sich an der Zusammensetzung des Leitindex orientieren, müssten sich von Commerzbank-Aktien trennen. Der Druck auf den seit Jahren gebeutelten Titel würde steigen.

Dass Wirecard beim Thema Zahlungsverkehr groß rauskommt, ist das eine. Die Fintech-Konkurrenz macht sich aber auch im Einlagen- und Kreditgeschäft breit. Trotz aller Initiativen werden Banken nach Einschätzung von Bankenexperte Hartmann-Wendels "den Rückstau bei der Digitalisierung so schnell nicht aufholen können. Im Moment ist auch sonst wenig Licht am Ende des Tunnels für die klassischen Banken."

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