Bad Honnefer Unternehmensberater warnt „Der Aufbau von Schieneninfrastruktur erzeugt hohe CO2-Emissionen“

Bonn · Der Schienenverkehr gilt als umweltfreundlich, solange der Strom für den Antrieb aus erneuerbaren Energiequellen stammt. Doch auch die Infrastruktur – Gleise, Bahnhöfe, Stellwerke, Tunnel – schädigt das Klima, warnt der Unternehmensberater Klaus Radermacher aus Bad Honnef.

 Diese Kohlendioxidemissionen sind schätzungsweise beim Bau der Hochgeschwindigkeitsstrecke der Bahn zwischen Köln und Frankfurt/Main entstanden.

Diese Kohlendioxidemissionen sind schätzungsweise beim Bau der Hochgeschwindigkeitsstrecke der Bahn zwischen Köln und Frankfurt/Main entstanden.

Foto: Grafik

Kein Verkehrsmittel hat derzeit ein so gutes Image wie die Bahn. Nicht wegen verbesserter Pünktlichkeit, sondern weil die Fortbewegung auf der Schiene als umweltfreundlich gilt. Im Fernverkehr nutzt die Deutsche Bahn bereits grünen Strom, in nicht einmal 20 Jahren soll der elektrische Antrieb ganz aus erneuerbaren Energien gespeist werden.

Für Klaus Radermacher, Unternehmensberater aus Bad Honnef, kommt eine solche Betrachtung einem Blick durch die rosa Brille gleich. Von Hause aus Informatiker, hat er berechnet, wie sehr der Bau der Infrastruktur und die Produktion der Fahrzeuge Umwelt und Klima belasten. „Beton ist extrem schadstoff­intensiv“, erklärt Radermacher, zumal der notwendige Zement dafür auf Schiffen aus fernen Ländern herantransportiert werden muss. Beim Stahl sei es nicht anders: „Der kommt zum Teil aus Indien“, erklärt Radermacher.

Methodisch unsauber, nur die Abgase zu betrachten

Daher fordert er, den gesamten ökologischen Fußabdruck der Verkehrsmittel in den Blick zu nehmen: „Durch die eingeschränkte Betrachtung ausschließlich der Abgase, die der Antrieb verursacht, entsteht letztendlich ein methodisch unzulässiger und im Ergebnis stark verzerrter Vergleich der verschiedenen Verkehrssysteme“, erklärt Radermacher.

Als Beispiel hat er sich die Hochgeschwindigkeitsstrecke zwischen Köln und Frankfurt herausgesucht, die zwischen 1995 und 2002 gebaut wurde (siehe Grafik). Für die 170 Kilometer lange Trasse hat der Ingenieur überschlägig berechnet, dass rund 700 Kilometer Schienen verbaut wurden, deren Herstellung allein 84.000 Tonnen Kohlendioxid verursacht haben dürften. Die mehr als eine halbe Million Kubikmeter Beton, die für die Fahrbahn unter den Schienen benötigt wurden, hätten 137.500 Tonnen frei gesetzt. Hinzu kämen 30 Tunnel, Oberleitungsmasten, 1600 Hängesäulen für die Oberleitung, Drähte, Seile und Kabel für die Elektrifizierung. „Summa summarum sind für diese Strecke mehrere Millionen Tonnen CO2 angefallen, noch bevor überhaupt der erste Zug gefahren ist“, schätzt Radermacher, der sich der Einfachheit halber auf CO2 beschränkt und das Anfallen sonstiger klimaschädigenden Gase, die sonst in CO2-Äquivalente umgerechnet werden, außer Betracht gelassen hat.

Radermacher will wachrütteln

Radermacher will wachrütteln, weil in Umweltbilanzen Verkehrs-, Bau- und Industriesektor traditionell getrennt betrachtet werden: Dem Verkehr werden nur die Klimabelastungen angerechnet, die durch den Antrieb entstehen, die Fahrzeugproduktion der Industrie und der Streckenbau dem Bausektor. Radermacher ist überzeugt: Bei einer Gesamtschau aller Umweltbelastungen eines Verkehrsmittels würde das Flugzeug besser als heute wegkommen, weil es zwar Flughäfen, aber keine Wegeinfrastruktur wie die Bahn benötigt. „Flugscham ist reiner Aktionismus“, sagt Radermacher, der für seine Aufklärungskampagne den Ökonomieprofessor Andreas Herrmann gewinnen konnte, der an der Universität Sankt Gallen in der Schweiz lehrt.

Intermodal denken

„Wir müssen intermodal denken. Es gibt Situationen, wo man sagt: Das Auto ist viel sinnvoller“, sagt Herrmann. Bei der S-Bahn zum Beispiel würden unglaubliche Mengen an Energie bewegt, so dass es völlig ineffizient wäre, einen fast leeren Zug hin- und her zu bewegen, wie es zu Nachtstunden in einer Großstadt der Fall sein kann. Die zu bewegende Masse eines Verkehrsmittels im Verhältnis zur Nutzlast ist daher bei der Wahl des Transportmittels eine weitere entscheidende Kenngröße.

Radermacher hat berechnet, dass bei der Standardauslastung eines Pkw mit 1,5 Personen im Schnitt eine Tonne Fahrzeuggewicht auf einen Insassen kommt, in einem Flugzeug entfallen auf einen Passagier nur rund 500 Kilo – wenn etwa ein Airbus 350 zu 80 Prozent ausgelastet ist. Herrmann und Radermacher wollen nicht dem Fliegen das Wort reden – es bleibe auch in ihrer Betrachtung die klimaschädlichste Fortbewegungsart. „Aber die Abstände zwischen den Verkehrsmitteln, wenn es um die Umweltbelastung geht, sind nicht so groß, wie allgemein dargestellt“, sagt Herrmann.

Die Lösung für unsere Verkehrsprobleme liegt nach ihrer Ansicht nicht in einem unüberlegten Ausbau der Schieneninfrastruktur, die zig Milliarden Euro verschlinge und nach 30 Jahren, wie jetzt bei den ersten ICE-Strecken, schon wieder saniert werden müsse: „Konkret bedeutet Sanieren neue Gleise, neues Gleisbett inklusive neuer fester Fahrbahn, neue Elektrifizierung“, so Radermacher.

Autonom fahrende Fahrzeuge

Seine Vision ist, den Individualverkehr durch autonom fahrende Fahrzeuge zu ersetzen, wie sie derzeit in vielen Ländern entwickelt und getestet werden. Überhaupt könnte der gesamte motorisierte Fahrverkehr – in Deutschland sind etwa 47 Millionen Pkw unterwegs – mit signifikant weniger Fahrzeugen bewältigt werden. Es reiche die Hälfte der Pkw definitiv aus, um den Individualverkehr zu bewältigen, meint Radermacher.

Auf Anfrage bei der Deutschen Bahn, wie sie es mit Bauen und Klimaschutz hält, teilt der Konzern mit: Wo immer möglich setze man auch recycelte Materialien und energieeffiziente Baustoffe ein. So seien allein im vergangenen Jahr mehr als eine viertel Million aufbereitete Schwellen eingesetzt worden: „Dadurch wurden circa 77.000 Tonnen Rohstoffe und mehr als 13.000 Tonnen Kohlendioxid eingespart.“ Die 2050 angepeilte Klimaneutralität wird damit aber noch nicht erreicht.

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