Interview mit IG-Metall-Chef Jörg Hofmann „Die CO2-Steuer ist ein rosa Elefant"

Frankfurt · IG-Metall-Chef Jörg Hofmann kritisiert, dass jeder in der Kohlendioxidsteuer sehen könne, was er wolle. Auch sonst fordert er mehr Handeln in Sachen Klimaschutz.

 Jörg Hofmann, Erster Vorsitzender der IG Metall.

Jörg Hofmann, Erster Vorsitzender der IG Metall.

Foto: picture alliance / Sebastian Gol

Die IG Metall, Deutschlands größte Gewerkschaft, stellt am Mittwoch einen Transformationsatlas vor. Eine Art Vermessung der sich wandelnden Arbeitswelt in der Metall- und Elektroindustrie. Gewerkschaftschef Jörg Hofmann verlangt im Interview radikale Schritte, um die Herausforderungen in den Griff zu bekommen. Die Fragen stellte .

Herr Hofmann, Youtuber und jugendliche Klimaaktivisten haben die etablierten Volksparteien in die Krise gestürzt. Wie beurteilen Sie die Ergebnisse der Europa-Wahl?

Jörg Hofmann: In den Prioritäten der Bürger ist offenbar der Klimaschutz ganz nach oben gerückt. Das ist erstmal gut so. Dass der Wähler sich dann für das Original entscheidet und sein Kreuz bei den Grünen macht, ist nicht überraschend. Dass das Thema Klimaschutz an Bedeutung gewinnt, begrüße ich sehr. Auf diesem Themenfeld muss weniger versprochen und mehr gehandelt werden.

Rente mit 63, Mütterrente, zuletzt Grundrente – haben die Volksparteien sich zu stark auf die Belange der Alten konzentriert?

Hofmann: Die Grundrente ist ein überfälliges Projekt. Aber Union und Sozialdemokraten haben vergessen, gleichzeitig Zukunftsthemen in den Blick zu nehmen – also Investitionen in die Bildung oder das Klima. Das rächt sich nun. Da ist zu wenig passiert. Es ist doch unerträglich, dass die Kompetenz des Klima-Kabinetts darin liegt, sich zu vertagen, anstatt die Probleme anzugehen. Deshalb werden wir als IG Metall unsere Mitglieder für den 29. Juni in Berlin zu einer Großkundgebung aufrufen, um Druck zu machen, damit die Politik endlich in die Gänge kommt.

Wie groß ist Ihre Sorge, dass die abgestraften Volksparteien die Grünen nun beispielsweise in Sachen Ausstieg aus den Verbrennungsmotoren oder bei Fahrverboten noch überholen?

Hofmann: Ein weiterer Überbietungswettstreit bei Ausstiegsszenarien wäre dem Klimaschutz nicht dienlich. Die Menschen wollen keine neuen Zielgrößen sehen, sondern entschlossenes Handeln, das zu spürbaren Verbesserungen führt. Bei einem „Weiterso“ erreichen wir doch nicht einmal die aktuellen Klimaziele. Es braucht konkrete Maßnahmen. Das betrifft die schlecht gemanagte Energiewende, aber auch den faktisch unterlassenen Ausbau in die Lade-Infrastruktur für Elektrofahrzeuge.

Deren Aufbau ist aber doch Aufgabe der Wirtschaft.

Hofmann: Ja, aber die Politik muss die entsprechenden Vorgaben machen. In den Anfängen der Bundesrepublik wurde gesetzlich festgelegt, dass es alle 100 Kilometer auf den Autobahnen eine Tankstelle geben muss. Entsprechende Regulierungen benötigen wir auch für die flächendeckende Einrichtung von Ladestationen. Ohne Infrastruktur wird kein Kunde auf ein Elektroauto umsteigen.

Was halten Sie von den Plänen von Verkehrsminister Scheuer, die Elektro-Autoprämie zu verdoppeln?

Hofmann: Die Preise für Elektroautos sind wegen der Kosten für die Batterien so hoch, dass viele Käufer noch abwarten. Eine Erhöhung der Prämie kann als Anschub sinnvoll sein. Aber wie gesagt: Ohne Lade-Infrastruktur geht nichts.

Herr Laschet liebäugelt bereits öffentlich mit der CO2-Steuer. Sie haben gewarnt, wenn sich das Autofahren verteuere, hätten wir bald Gelbwesten-Proteste wie in Frankreich. Birgt eine CO2-Steuer nicht genau die Gefahr, dass sich das Autofahren verteuert?

Hofmann: Bislang ist die CO2-Steuer ja ein rosa Elefant. Jeder kann da reininterpretieren, was er will. Es kommt also auf die Umsetzung an. Natürlich denkt jeder Bürger beim Thema Steuer erst einmal, dass es zu Mehrbelastungen kommt. Muss es aber nicht zwangsläufig. Eine klug ausgestaltete CO2-Steuer könnte die heutige, für den Verbraucher völlig undurchsichtige Besteuerung der Energie ersetzen, und die Belastung sogar reduzieren.

Neben den Veränderungen, die Ihren Branchen durch eine schärfere Klimapolitik drohen, stehen Sie mit der Digitalisierung vor einer zweiten Herausforderung. Wird die Metall- und Elektro-Industrie gerade überlastet?

Hofmann: Wir haben den Stand der Transformation in unseren Betrieben gerade untersucht und in einem Transformationsatlas dokumentiert. Danach hat die Hälfte der Betriebe keine Strategie, wie sie mit der Digitalisierung und den sich wandelnden Geschäftsmodellen umgehen soll. Die fahren mit einem Planungshorizont von zwei Jahren im Nebel. Wer das bei solchen radikalen Veränderungen tut, der droht, aus dem Nebel heraus direkt vor die Wand zu fahren.

Was also tun?

Hofmann: Wir benötigen Hilfe, damit die Transformation gelingt. Es kann keinem daran gelegen sein, dass durch sich wandelnde Geschäftsmodelle in der Automobilbranche und die voranschreitende Digitalisierung Hunderttausende Menschen ihren Job verlieren. Natürlich sind in erster Linie die Arbeitgeber gefordert, aber gerade die kleineren und mittleren Unternehmen schaffen das nicht allein. Da benötigen wir jetzt die Unterstützung der Politik.

Was genau schwebt Ihnen vor?

Hofmann: Wir schlagen ein Transformations-Kurzarbeitergeld vor. Um die schwierigen Umbrüche in den Betrieben meistern zu können, benötigen wir neue Qualifizierungen und Zeit dafür.

Wie soll das konkret aussehen?

Hofmann: Einerseits handelt es sich um eine Lohnersatzleistung, damit die Beschäftigten bei wegbrechenden Aufgaben weiter ihren Lebensunterhalt bestreiten können. Darüber hinaus sollen die Kosten für Weiterbildungsmaßnahmen komplett übernommen werden. Die berufliche Qualifizierung muss für 24 Monate gefördert werden. Bei berufsbegleitender Qualifizierung mit teilzeitiger Tätigkeit im Betrieb kann sich der Zeitraum auf 36 Monate verlängern.

Das sind aber auch erhebliche Kosten, die da auf den Staat zurollen.

Hofmann: Kommt drauf an, wie man es betrachtet. Wenn die Alternative Arbeitslosigkeit ist, ist der Staat gut beraten, schon früher anzusetzen. Das Kurzarbeitergeld sollte aus Beitragsmitteln der Bundesagentur für Arbeit finanziert werden.

Wie hoch werden die Kosten schätzungsweise ausfallen?

Hofmann: Die Kosten sind heute noch schwer kalkulierbar, da die Zahl der potenziellen Empfänger noch unklar ist. Aber derzeit befindet sich die Bundesagentur in einer guten finanziellen Situation und verfügt über Rücklagen von etwa 20 Milliarden Euro. Ein solches Projekt wäre also machbar.

Der EuGH hat entschieden, dass es eine detaillierte Arbeitszeiterfassung geben muss. Rückschritt oder überfälliger Schritt?

Hofmann: Die Dokumentation von Arbeitszeit ist schon heute Rechtslage. Ich bin über die Aufgeregtheit im Arbeitgeberlager verwundert. Da herrscht offenbar nur die Sorge, dass die grassierende Aushöhlung von Ruhezeiten und Höchstarbeitszeiten offenbart wird. Ich halte das Urteil für richtig.

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