Prozess in München Die zwei Wahrheiten des Wirecard-Skandals

München · Die Verteidigung von Markus Braun schlägt zurück. Kronzeuge Oliver Bellenhaus ist demnach ein Lügenbaron und der eigentliche Haupttäter. Dessen Anwälte kontern.

 Der frühere Wirecard-Vorstandschef Markus Braun (M.) steht zum Prozessauftakt an der Anklagebank zwischen seinen Anwälten Alfred Dierlamm (l.) und Nico Werning (r.) im Gerichtssaal.

Der frühere Wirecard-Vorstandschef Markus Braun (M.) steht zum Prozessauftakt an der Anklagebank zwischen seinen Anwälten Alfred Dierlamm (l.) und Nico Werning (r.) im Gerichtssaal.

Foto: dpa/Peter Kneffel

Zweieinhalb Stunden spricht der Verteidiger des im Münchner Wirecard-Prozess Hauptangeklagten Markus Braun. Danach weiß man nicht mehr, wer Opfer und wer Täter ist oder ob der Prozess überhaupt eine Chance hat, fortgesetzt zu werden. Schonungslos vorverurteilt worden sei sein Mandant, wahlweise als größter Wirtschaftskrimineller oder dümmster Vorstandschef aller Zeiten, beginnt Strafverteidiger Alfred Dierlamm sein Eröffnungsplädoyer am Landgericht München, wo die Pleite des ehemaligen Dax-Konzerns Wirecard juristisch aufgearbeitet wird. Dann kommt er auf Oliver Bellenhaus, Angeklagter und Kronzeuge in Personalunion, zu sprechen. „Er war zu keiner Zeit Kronzeuge, sondern Haupttäter“, sagt Dierlamm und legt nach.

Die 1,9 Milliarden Euro Treuhandvermögen, die bei der Pleite von Wirecard im Juni 2020 nicht aufzufinden waren, hätten im Gegensatz zur Darstellung der Staatsanwaltschaft wirklich einmal existiert. Praktisch die gesamte Summe sieht Dierlamm auf Konten dokumentiert. „Die Zahlungen sind aber nicht auf Treuhandkonten weitergeleitet, sondern auf Schattengesellschaften verschoben worden“, erklärt der Strafverteidiger. Vier dazu dienende Veruntreuungsgesellschaften, die von Bellenhaus kontrolliert wurden, habe er identifizieren können. Der flüchtige und frühere Wirecard-Topmanager Jan Marsalek sei Teil der Bande um Bellenhaus gewesen.

„Herr Braun war nicht involviert und hat von den Schattenstrukturen erst aus den Ermittlungsakten erfahren“, stellt der Starverteidiger noch klar. Dann folgt der völlige Rundumschlag. Die Staatsanwälte hätten sich nicht nur von Bellenhaus etwas vorlügen lassen.

Beim bösen Spiel hätten auch der Wirecard-Insolvenzverwalter, der Bundestag mit einem Untersuchungsausschuss und das Oberlandesgericht München mitgespielt. Letzteres habe seinen Mandanten zweieinhalb Jahre in Untersuchungshaft gehalten, obwohl er sich freiwillig gestellt, dazu aus dem österreichischen Ausland angereist sei und Zweifel an seiner Schuld bestünden.

Das Verfahren müsse ausgesetzt werden

Dann versucht Dierlamm den ganzen Prozess zu Fall bringen. Er stellt einen Antrag auf Aussetzung des Verfahrens. Denn in den Wochen vor Beginn der Verhandlung habe die Staatsanwaltschaft dann doch begonnen, die von Dierlamm als wichtig eingestuften Konten genauer unter die Lupe zu nehmen und die Verteidigung „mit mehr als zehntausend Blatt Akten überflutet“, wie der Strafverteidiger sich ausdrückt. Für weitere Konten laufe eine Ausforschung noch. Neue Datenberge seien während des Prozesses zu erwarten. Das alles sei in einem laufenden Verfahren, das ohnehin unter einem schweren Geburtsfehler leide, nicht zu verarbeiten. Es müsse deshalb auf Monate ausgesetzt werden.

Das ist starker Tobak, mit dem sich zuerst Florian Eder als Verteidiger des angefeindeten Kronzeugen auseinandersetzt. Er beginnt mit den Treuhand-Milliarden und streitet deren Existenz ab. Sein Mandant habe Mitschuld früh eingestanden und werde das vor Gericht wiederholen. Sein Mandant sei glaubwürdig. „Seine Geschichte stimmt mit den Beweismitteln überein“, betont Eder. Vielmehr sei Brauns Verteidigungsstrategie antrainierter Teil des Systems Wirecard. Braun stelle sich als Opfer eines internen Bankraubs dar, so wie sich Wirecard jahrelang als Opfer übler Nachrede inszeniert habe. „Aber Herr Braun ist kein Opfer“, schließt Eder. Kommenden Mittwoch will sein Mandant aussagen.

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