Probleme auf dem Arbeitsmarkt Diese Berufe in Deutschland sind gefährdet
BONN · Der Fachkräftemangel in Deutschland hat Auswirkungen auf Wirtschaft und Gesellschaft. Um den Bedarf an Arbeitskräften zu decken, müssten jährlich mehr als 200.000 ausländische Fachkräfte zuwandern. Ein Überblick.
Fachkräftemangel ist ein wirtschaftliches Risiko. In manchen Branchen gefährdet dieser Mangel bereits den Betrieb und die Gesellschaft. Die Liste der betroffenen Berufe wird immer länger. Nicht nur in der Pflege wird händeringend gutes Personal gesucht, auch Lkw-Fahrer, Handwerker, Bäcker und viele mehr haben Nachwuchsprobleme. Die Gründe dafür sind vielfältig. „Wir müssen gemeinsam für Lösungen sorgen“, so Stefan Krause, Vorsitzender der Geschäftsführung der Agentur für Arbeit Bonn. Derzeit sind in Bonn 7900 Stellen unbesetzt. Um den Bedarf an Arbeitskräften deutschlandweit zu decken, müssten laut einer Bertelsmannstudie bis 2060 jährlich rund 260 000 Fachkräfte aus dem Ausland zuwandern.
Pflege:Nach Angaben des Ministeriums für Arbeit, Gesundheit und Soziales sind derzeit in NRW rund 10.000 Vollzeitstellen unbesetzt. Dabei wird der Bedarf an Pflegefachpersonen in den kommenden Jahren tendenziell steigen. Ein Grund für den Nachwuchsmangel sei das schwierige Image der Pflegeberufe, vermutet Burkhardt Zieger, Geschäftsführer des Deutschen Berufsverband für Pflegeberufe (DBfK). „Die Pflegeberufe gelten als anstrengend, wenig anerkannt und schlecht bezahlt“, so Zieger.
Obwohl die Zahlen der Auszubildenden in Pflegeberufen langsam wieder ansteigen, ist die in den vergangenen Jahren entstandene Lücke schwer zu schließen. Der Bedarf in der Langzeitpflege steigt am stärksten an. In der Krankenhauspflege ist durch einen über lange Zeit vollzogenen Abbau von Pflegestellen zudem eine Mangelsituation entstanden.
„Die Attraktivität der Pflegearbeit muss ernsthaft in den Blick genommen werden“, sagt Zieger. Konkret bedeute das ein gutes Einkommen und die Verlässlichkeit von Dienstplänen. „Schließlich hat das Pflegefachpersonal auch ein Anrecht auf ihre Freizeit.“ Wichtig sei auch, ihre Arbeit ernst zu nehmen und anzuerkennen, welcher Anteil der Pflege in der Versorgung von Menschen zukommt. Menschen in Deutschland, die Pflege bekommen, würden in sehr vielen Fällen nicht mehr die bestmögliche Versorgung erhalten.
Bäcker und Fleischer: Nach Daten des Bundesinstituts für Berufsbildung in Bonn blieben im vergangenen Jahr 894 Lehrstellen in Fleischerbetrieben unbesetzt. Den Bäckereien fehlten 906 Azubis. „Den elterlichen Betrieb übernimmt nur noch, wer dies wirklich will“, so Herbert Dohrmann, Sprecher der Arbeitsgemeinschaft der Fachverbände des Lebensmittelhandwerks. Das liege auch an dem schlechten Image des Fleischers, meint Adalbert Wolf, Obermeister der Fleischerinnung Bonn/Rhein-Sieg. Das Handwerk verlange zudem Engagement rund um die Uhr. Viele junge Menschen seien der Ansicht, ihr Geld einfacher verdienen zu können. Die Innung kam vor 25 Jahren auf 480 Betriebe, jetzt sind es noch 69. Ein weiterer Grund für den Rückgang der handwerklichen Metzgereien und Bäckereien ist übermäßige Bürokratie. Die vielen Prüfungen, denen sich die Betriebe unterziehen müssten, und das Ausfüllen amtlicher Formulare nähmen zu viel Zeit in Anspruch.
Lkw-Fahrer: Mit dem Laster durch die Republik fahren, das ist für viele junge Menschen nicht mehr attraktiv. Mittlerweile fehlen Zehntausende Lkw-Fahrer. Die Konsequenzen könnten bald für alle spürbar sein, denn die Branche fürchtet Lieferengpässe. Geringer Lohn, lange Tage und schlechte Arbeitsbedingungen haben die Tätigkeit in den vergangenen Jahren zunehmend unbeliebt gemacht. Das Ende der Wehrpflicht 2011 hat den Mangel zudem verschärft. Tausende junge Männer weniger absolvieren seitdem ihren Lkw-Führerschein bei der Bundeswehr, die einer der größten Ausbilder für die Kraftfahrbranche ist. Mittlerweile fehlen zwischen 45.000 und 60.000 Fahrer, wie der Bundesverband Spedition und Logistik (DSLV) und der Bundesverband Güterverkehr Logistik und Entsorgung (BGL) schätzen – Tendenz steigend. Die Konsequenzen des Fahrermangels sind gravierend: „Wir sind kurz vor dem Versorgungskollaps“, fasst BGL-Vorstandssprecher Dirk Engelhardt die Situation zusammen.
Jedes Jahr gehen fast 30.000 Fahrer in den Ruhestand, während nur etwa halb so viele Berufsanfänger nachfolgen. Gleichzeitig nimmt die Zahl der Transporte zu. Unter anderem wegen des Booms im Onlinehandel ist das Gütervolumen deutlich gestiegen. Um langfristig mehr Fahrer zu gewinnen, müsse sich aber auch die Arbeitsqualität deutlich verbessern, sagt Engelhardt. Die Fahrerhäuser sollen größer und komfortabler werden, es solle eine Toilette an Bord geben. An der Rampe müssten Fahrer außerdem Essen und Trinken bekommen und Sanitäreinrichtungen benutzen können. Von der EU fordert Engelhardt zudem flexiblere Lenk- und Ruhezeiten. Ein wichtiger Teil der Ausbildung sei es auch, den Fahrberuf aufzuwerten.
Friseur: Die gut 80.000 Friseursalons hierzulande haben große Probleme, Nachwuchs zu finden. Binnen zehn Jahren hat sich die Zahl der Auszubildenden fast halbiert: 2008 waren es noch mehr als 40.000 Lehrlinge, 2018 nur noch knapp 21.000. 2018 sei die Zahl der Auszubildenden kräftig um 4,7 Prozent gefallen. „Nachwuchsgewinnung ist die drängendste Aufgabe unserer Branche“, betont Harald Esser, Präsident des Zentralverbands des Deutschen Friseurhandwerks.
Seit Jahren wollten immer weniger junge Leute Friseur oder Friseuse werden. Das liege zum einen daran, dass es immer populärer sei, länger in die Schule zu gehen und anschließend zu studieren, zum anderen aber auch an der Bezahlung. „Das muss man attraktiver machen. Das Problem ist, dass Friseure nach der Ausbildung zunächst nur 900 bis 950 Euro netto verdienen“, so Fabio Vanore-Landsberg, Friseurmeister aus Bonn. Das fehlende Personal dürften auch die Kunden an der Kasse merken. Betriebe müssten höhere Lohnkosten weiterreichen und mehr für Haarschnitte, Rasuren oder Färbungen verlangen. „Die Preise für Friseurdienstleistungen werden voraussichtlich weiter steigen“, so Esser.
Lokführer: Bei der Deutschen Bahn (DB) sind laut Angaben von Claus Weselsky, Bundesvorsitzender der Gewerkschaft deutscher Lokomotivführer (GDL), 1200 Stellen unbesetzt. Mehr als 50 Prozent der noch arbeitenden Lokführer der DB gehen in den nächsten zehn Jahren in Rente. „Wir müssen Ersatz liefern und ausbilden“, so Weselsky.
Der Gewerkschafter macht ein Zitat von Rüdiger Grube, ehemaliger Bahnchef, mitverantwortlich für den Personalmangel. Dieser sprach davon, dass bis 2023 manche Bahnen in Deutschland schon vollautomatisch fahren würden. Weselsky: „Wer will schon in einen Beruf einsteigen, der schon als ausgestorben gilt?“
Wichtig sei es jetzt, deutlich zu machen, dass die Arbeit eine Zukunftsperspektive hat. „Den Beruf wird es weiterhin geben. Aber Interessierte müssen lernfähig bleiben, da sich die Schwerpunkte vielleicht ändern werden“, so der Gewerkschaftschef. Der Beruf müsse neu definiert werden. Die Ausbildung sei schon Jahrzehnte alt. „Die Auszubildenden sollten in allen Bereichen unterrichtet werden und dann erst nach einigen Jahren ihren Schwerpunkt wählen dürfen.“
Handwerker: Durch den Fachkräftemangel sind viele Handwerksbetriebe vollständig ausgelastet und können zum Teil keine Aufträge mehr annehmen. Das hat unter anderem zur Folge, dass die Unternehmen Umsatzeinbußen erleiden und die Mitarbeiter Mehrarbeit leisten müssen.
Dass nicht ausreichend Nachwuchs gefunden wird, sei ein gesellschaftliches Problem, das schon in den Familien beginne, meint Oliver Krämer, Hauptgeschäftsführer der Kreishandwerkerschaft Bonn/Rhein Sieg. „Viele Eltern raten ihren Kindern heute zu einem Studium. Dabei ist ein erfolgreicher Handwerker meist glücklicher als ein arbeitsloser Akademiker.“
Krämer ist überzeugt, dass das Handwerk aufzeigen müsse, wie attraktiv der Beruf sei, und dass ein Handwerker sowohl als Angestellter als auch in der Selbstständigkeit viel erreichen könne. (mit Material von dpa)