Gasbranche setzt auf Wasserstoff Industrie fordert mehr Tempo bei der Energiewende

Berlin · Die Bundesregierung versucht gerade, Deutschland auf den Weg in die Klimaneutralität zu bringen. Die Gasbranche setzt voll auf Wasserstoff und fordert von der Bundesregierung mehr Deutschlandtempo.

Blick auf den Elektrolyseur für die Herstellung von Wasserstoff beim Unternehmen Air Liquide in Oberhausen.

Blick auf den Elektrolyseur für die Herstellung von Wasserstoff beim Unternehmen Air Liquide in Oberhausen.

Foto: dpa/Rolf Vennenbernd

Müssen Deutschlands Haushalte jetzt ihre Heizungen tauschen? Sind Elektro-Autos bald Pflicht? Darf die Waschmaschine künftig nur noch nachts laufen, damit tagsüber genug Strom vorhanden ist? Und hilft das alles, weniger Kohlendioxid (CO2) auszustoßen? Die Bundesregierung versucht gerade, Deutschland auf den Weg in die Klimaneutralität zu bringen. Die Gasbranche will jetzt einen klaren Weg zeigen und fordert deutlich mehr Tempo.

In 22 Jahren will Deutschland klimaneutral sein. Der Ausstoß von Treibhausgasen soll dann möglichst gering sein, was nicht vermieden werden kann, muss gespeichert oder ausgeglichen werden. Rund 90 Prozent dieser Klimagase entfällt auf CO2. In Deutschland wurden im vergangenen Jahr 666,5 Millionen Tonnen in die Luft geblasen, rund 37 Prozent weniger als im Jahr 1990. Das Ziel bis 2030 sind 65 Prozent weniger. Am meisten CO2 stammt aus Kraftwerken und aus der Industrie, wo vor allem Kohle und Gas verfeuert werden. Aus der Kohle will Deutschland aussteigen. Gas soll ersetzt werden, idealerweise durch Wasserstoff. Und für Verkehr und Haushalte setzt die Bundesregierung vor allem auf Strom.

Es werde nicht reichen, Deutschland nur zu elektrifizieren, sagte Kirsten Westphal, Mitglied der Geschäftsführung des Bundesverbandes der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW). Ohne Gas werde es nicht gehen. Vor allem in der Industrie und bei der Stromerzeugung sieht die Branche absehbar keine Alternative. Derzeit wird praktisch ausschließlich fossiles Erdgas genutzt. Die Industrie ist der größte Verbraucher. Auf sie entfielen 35 Prozent der rund 866 Terawattstunden im vergangenen Jahr. Für Strom- und Fernwärme wurden 26 Prozent eingesetzt.

Industrie setzt auf Wasserstoff

Die Industrie verwendet wiederum drei Fünftel des Gases für Prozesswärme. Nur mit Gas sind die hohen Temperaturen möglich, bei denen sich etwa Stahl oder Glas verarbeiten lässt. Als Ersatz setzt die Gasindustrie auf Wasserstoff, erzeugt in Elektrolyseuren mit Solar- und Windstrom, sowie auf Biomethan.

Wasserstoff verbrennt zu Wasser, ist also klimaneutral. Bisher allerdings ist die Menge des Gases, die zur Verfügung steht, verschwindend gering. Richtig losgehen soll es ab 2025. Der nationale Aufbauplan sieht eine Elektrolysekapazität in Deutschland von 30 Gigawatt im Jahr 2030 vor. „Wir sollten diesen Aufbauplan beschleunigen“, sagte Timm Kehler, Geschäftsführer des Verbands Zukunft Gas. „Und wir sollten uns höhere Ziele setzen.“

Aber selbst wenn Deutschland mehr des Gases herstellen könnte, wird das nicht reichen. Erste Pläne, grünen Wasserstoff zum Beispiel aus Australien, Kanada, Namibia und Norwegen zu importieren, gibt es. Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate planen ebenfalls die Produktion mit Wüstenstrom. 2030 und 2045 werde genug Wasserstoff vorhanden und auch bezahlbar sein, sagte Gerald Linke vom Deutschen Verein des Gas- und Wasserfaches (DVGW).

Erdgas-Verteilnetz wird umgebaut

In Deutschland landet das Gas dann zum Beispiel in Wilhelmshaven an und muss dann per Pipeline transportiert werden. Hier will die Branche das bestehende Erdgasnetz nutzen. „Die Leitungen können bereits jetzt Wasserstoff“, sagte Linke. Allerdings müssten einzelne Elemente getauscht werden. Für die rund 550.000 Kilometer Verteilnetz, das das Gas bis in Wohnungen und an Betriebe bringt, rechnet Linke mit Kosten von rund sieben Milliarden Euro. Das sind weniger als die Instandhaltungskosten über drei Jahre. Für die 46.000 Kilometer Hochdruckleitung, durch die das Gas durch die Republik transportiert wird, geht Linke „konservativ gerechnet“ von rund 45 Milliarden Euro für den Umbau aus. Hier sind neue Turbinen und Verdichter nötig. Und auch die Erdspeicher müssen für Wasserstoff oder Biomethan geeignet sein. „Ich gehe aber davon aus, dass die Kosten noch sinken“, sagte Linke. Zusätzlich sollen rund 8000 Kilometer neue Leitungen gebaut werden, um das bestehende Netz zu ergänzen. Kostenpunkt: acht Milliarden Euro.

Die Branche sieht sich gut vorbereitet. Auch die Industrie bereitet sich vor. Thyssenkrupp etwa will das größte Stahlwerk Europas in Duisburg umrüsten. Es gibt zahlreiche weitere Projekte, gestartet ist bis heute kaum etwas. Die Wasserstoffbilanz des Energiewissenschaftlichen Instituts der Universität Köln für den Energiekonzern Eon kommt bisher zu dem Schluss: Deutschland ist nicht bereit für Wasserstoff. Oder wie es Linke vom DVGW sagte: „Die Gaswirtschaft kann und will, aber darf sie auch?“

Keine klaren Leitlinien für Heizungen

Den drei Verbänden fehlen klare politische Leitlinien. Denn solange nicht klar ist, ob sich Investitionen lohnen, bleibt es meist bei Plänen. Die Bundesregierung verzettelt sich nach Ansicht der Verbände. Jetzt gehe es im geplanten Gebäudeenergiegesetz um Heizungen. Das gehe in die richtige Richtung, sei aber handwerklich schlecht gemacht, sagten die drei Verbandsvertreter. So ist Fernwärme in den Städten und Gemeinden nicht berücksichtigt. Von einer Wasserstoffheizung übrigens raten die Experten eher ab. „Die Wärmepumpe ist die effizienteste Lösung, die sich auch durchsetzen wird“, sagte Kehler von Zukunft Gas. Und die wiederum braucht Strom. „Wir müssen Strom, Wärme und Gas zusammenplanen“, sagte er. „Und das muss mit Deutschlandgeschwindigkeit passieren.“

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