Schweizer stimmen über Grundeinkommen ab Gehalt ohne Gegenleistung

Genf · Die Schweizer entscheiden am 5. Juni über ein Grundeinkommen für alle Bewohner: Die Befürworter wollen mit der Zahlung von monatlich knapp 2300 Euro die Existenzangst aus der Gesellschaft verbannen, Gegner warnen vor einer nicht finanzierbaren Mogelpackung.

 Mehrere Bürgerinitiativen demonstrieren vor dem Brandenburger Tor für ein bedingungsloses Grundeinkommen und rollen dafür ein Plakat mit 450 Meter Gesamtlänge aus.

Mehrere Bürgerinitiativen demonstrieren vor dem Brandenburger Tor für ein bedingungsloses Grundeinkommen und rollen dafür ein Plakat mit 450 Meter Gesamtlänge aus.

Foto: dpa

Zwei junge Männer sitzen in einer Bar direkt am Genfer See, sie genehmigen sich einen Cocktail und blinzeln in die Sonne. Einen festen Job haben die beiden Genfer Männer nicht. „Vielleicht können wir ja bald das Grundeinkommen beziehen“, sagt einer von ihnen grinsend. „Dann könnten wir es wirklich ruhig angehen lassen“, meint er, steht auf, und bestellt noch ein Getränk. Tatsächlich: Die Schweizer entscheiden am 5. Juni über die Einführung des „bedingungslosen Grundeinkommens“ – mit einiger Sicherheit werden die beiden jungen Männer aus der Bar am Genfer See mit Ja stimmen. In Helvetiens Verfassung soll es nach einem landesweiten Ja dann heißen: „Der Bund sorgt für die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens.“ Die Schweiz votiert damit als erstes Land über ein utopisch anmutendes Konzept, das die marktwirtschaftliche Ordnung durcheinanderwirbeln könnte.

Die Regierung, das Parlament, die Wirtschaftsverbände und sogar der Gewerkschaftsbund lehnen das Grundeinkommen ab: Für viele ist es ein gefährlicher Schwindel. Die Befürworter jedoch streiten seit Jahren unbeirrt für die Idee. Allen voran der Basler Unternehmer und Bistrobesitzer Daniel Häni, geistiger Vater der Volksinitiative für ein “bedingungsloses Grundeinkommen”. Hänis Hauptargument: „Das Grundeinkommen ist sozial, es sichert jeden Menschen gegen Existenzangst ab.“

Gemäß dem Konzept zahlt der Staat jedem Erwachsenen rund 2500 Schweizer Franken (knapp 2260 Euro) pro Monat steuerfrei – egal ob er die Schweizer Nationalität hat oder eine andere. Einwanderer kämen also auch in den Genuss des Geldsegens. Pro Kind soll der Staat rund 625 Franken (565 Euro) auf das Konto der Eltern überweisen. Verdient ein Angestellter bisher 6000 Franken im Monat, springt zukünftig der Staat ein und zahlt die ersten 2500 Euro als „Grundeinkommen“. Die restlichen 3500 Euro kommen weiter vom Arbeitgeber.

Das Grundeinkommen soll andere öffentliche Zahlungen wie Rente, Arbeitslosengeld oder Kindergeld ersetzen, nur individuell höhere Ansprüche als das Grundeinkommen bleiben bestehen. Initiant Häni erläutert: Das Grundeinkommen sei keine Bezahlung und an keine Gegenleistung geknüpft. Vielmehr handele es sich um ein “wirtschaftliches Bürgerrecht”. In den Broschüren der Initiative heißt es zudem über das Grundeinkommen: „Es ermöglicht mehr Innovation und Unternehmertum und bildet die Basis für mehr Chancengleichheit und Eigenverantwortung.“ Andererseits würde es den unbarmherzigen Leistungsdruck des globalen Digitalkapitalismus mildern. Die Zürcher Autorin Ruth Schweikert hofft: „Ein Grundeinkommen würde uns auch erlauben, dass wir uns zwischendurch aus dem Wirtschaftskreislauf herausnehmen können. Nicht jeder muss diesen Irrsinn dann ständig mitmachen.“Die Initianten versprechen auch: Die Finanzierung des riesigen Experiments steht, da in der reichen Schweiz genügend Geld vorhanden sei. Der Staat müsse die Finanzen nur anders verteilen.

Ist die Finanzierung tatsächlich gesichert? Der größte Schweizer Wirtschaftsverband Economiesuisse sieht das völlig anders. „Für die Finanzierung eines derart umfassenden neuen Sozialwerks müsste die Schweiz jährlich einen dreistelligen Milliardenbetrag aufbringen“, warnt Rudolf Minsch, Chefökonom von Economiesuisse vor den Folgen des „illusionären Grundeinkommens“.

Die „dafür nötigen Steuererhöhungen würden die Konkurrenzfähigkeit des Wirtschaftsstandorts Schweiz schwer beschädigen.“ In der Folge drohten etlichen Schweizern der Jobverlust: Massenarbeitslosigkeit anstatt Geld für alle.

Die Lobbygruppe der Wirtschaft befürchtet zudem, dass die Bereitschaft zu Arbeiten erlahmen könnte. Ein garantiertes Mindesteinkommen von 2500 Franken setzt nach Ansicht von Chefökonom Minsch „falsche Anreize“, gerade bei unteren Lohngruppen: „Es gibt nicht viele Gründe, weshalb jemand künftig noch einen Teilzeitjob für 2000 Franken im Monat ausüben soll, wenn er dadurch gar keinen oder nur einen minimalen Zusatzverdienst erzielt.“

Könnte also aus den emsigen Schweizern ein Volk der Faulenzer zu werden? Eine Umfrage, die das Boulevardblatt Blick zitiert, gibt Entwarnung: Danach würde nur „jeder Fünfzigste bei Einführung des Grundeinkommens „bestimmt“ aufhören zu arbeiten. Weitere acht Prozent würden „eher“ ihre Stelle kündigen“.

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