Pro und Contra zum Grundeinkommen Grundeinkommen für Deutschland?

Meinung | Bonn · Soll Deutschland ein bedingungsloses Grundeinkommen für seine Bürger einführen? Zwei GA-Mitarbeiter beziehen Stellung.

 Mehrere Bürgerinitiativen demonstrieren vor dem Brandenburger Tor für ein bedingungsloses Grundeinkommen und rollen dafür ein Plakat mit 450 Meter Gesamtlänge aus.

Mehrere Bürgerinitiativen demonstrieren vor dem Brandenburger Tor für ein bedingungsloses Grundeinkommen und rollen dafür ein Plakat mit 450 Meter Gesamtlänge aus.

Foto: dpa

PRO von Marcel Dörsing

Schon in der Bibel steht: „Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen.“ Der Satz stammt aus einer Zeit, in der Menschen zu wenig Güter und gleichzeitig sehr viel Arbeit hatten. Längst hat sich das Verhältnis umgekehrt. Wir erleben heute eine Überflutung mit Gütern, doch die dafür nötige Arbeit wird immer weniger – ein himmlischer Zustand, der Robotisierung und Digitalisierung sei Dank. Um diese Entwicklung allerdings als Chance, geschweige denn als Errungenschaft – die sie zweifellos ist – zu begreifen, muss die soziale Sicherung neu gedacht werden.

Befürworter des Grundeinkommens fordern daher nicht ohne Grund einen „Systemwechsel im Kopf“. Verfangen im System der „Leistungsgerechtigkeit“ werden die vorhandenen Güter für eine wachsende Masse ohne Erwerbsarbeit unerreichbar. Andere arbeiten mehr, als es gesund ist. Das bedingungslose Grundeinkommen (BGE) ist eine Lösung, denn es sichert, losgelöst von Erwerbsarbeit, ein menschenwürdiges Dasein. Gegner der Idee haben in der Diskussion einen Vorteil, denn die Gegenargumente klingen intuitiv logisch: 1. Niemand würde mehr arbeiten gehen. 2. Ein BGE für alle ist nicht zu bezahlen. Die Widerlegung ist komplizierter, sie verlangt einen „Systemwechsel im Kopf“. Experten haben nachgerechnet und kommen zu unterschiedlichen Ergebnissen. Die BGE-Initiative in der Schweiz spricht von einem Nullsummenspiel. Der Schweizer Bundesrat errechnete eine Finanzierungslücke von 25 Milliarden Franken pro Jahr, die über Steuern gefüllt werden müsste. Verschiedene Modelle (einkommens- oder mehrwertsteuerbasiert)zeigen: Das BGE ist bezahlbar, wenn es uns das wert ist.

Die wichtigere Frage lautet: Was passiert danach? Macht Geld faul oder produktiv? Eine Umfrage des Forschungsinstituts Demoscope, zeigt: Nur zehn Prozent sagen, dass sie mit einem BGE die Arbeit niederlegen würden. Interessant: Mehr als ein Drittel aller Befragten ist sich sicher, dass andere aufhören würden. Hinter dem Vorwurf der mangelnden Umsetzbarkeit steht tatsächlich ein verzerrtes Menschenbild: „Ich bin fleißig, alle anderen sind faul.“

Bereits jetzt liegt der Verdienst der meisten höher als der Grundeinkommensbetrag. Auch sie hören nicht auf, mehr erreichen zu wollen. Nein, Geld macht nicht faul. Leistungsanreize bleiben auch beim BGE erhalten. Gleichzeitig öffnet es neue Möglichkeiten, sich in die Gesellschaft einzubringen.

CONTRA von Kai Pfundt

Wer eine Idee veredeln will, definiert sie zur Vision um. Um solch eine Vision handelt es sich beim Bedingungslosen Grundeinkommen. Die Diskussion um das BGE zeigt, dass es nicht nur Rechts- und Links-, sondern auch Wirtschaftspopulismus gibt. Ein staatliches Grundeinkommen, das den Menschen ein von den Zumutungen der Erwerbsarbeit unabhängiges Leben ermöglicht? Na klar, am liebsten schon gestern.

Tatsächlich handelt es sich um ein wirtschaftlich-gesellschaftliches Denkmodell, das in der Realität scheitern muss. Der Zusammenhang zwischen Einkommen und Arbeit ist elementar. Nicht jeder Job ist ein Instrument zur Selbstverwirklichung. Für viele Menschen ist die Notwendigkeit, ein Einkommen zu erwirtschaften, ein wesentlicher Grund, sich den Strapazen des Berufslebens auszusetzen. Fällt dieser Anreiz weg, bleiben die Klos ungeputzt, die Pflegebedürftigen ungewaschen, bleibt das Brot ungebacken. Theoretisch ist es denkbar, die Einkommen für Schichtarbeiter, Altenpfleger, Metzger so anzuheben, dass sich trotzdem ausreichend Personal findet. Die Lohn-Preis-Spirale, die dadurch in Gang käme, wäre nicht zu bremsen.

Völlig widersinnig ist das Argument von der durch die Digitalisierung ausgehenden Arbeit. Schon bei Einführung der Dampfmaschine gab es Bedenken dieser Art, später bei der Mechanisierung der Betriebe und der Verbreitung der Computer. Die Arbeit änderte sich, weniger wurde sie nicht. Das BGE würde zu einer Verknappung der Arbeitskräfte führen – in einer alternden Gesellschaft, der es an qualifizierten Beschäftigten ohnehin mangeln wird. Deutschland ist im Übrigen keine Insel. Ein wie auch immer gestaltetes BGE würde zwangsläufig einen nie gekannten Zuwanderungsdruck erzeugen. Zumindest Einwanderern aus der EU würde man die Leistungen kaum vorenthalten können. Wollen die BGE-Visionäre die EU verlassen und die Grenzen wieder hochziehen? Zuletzt muss das Grundeinkommen scheitern, weil völlig unklar ist, ob es zu finanzieren sein wird. Es gibt eine Vielzahl von Rechnungen, die dies be- oder widerlegen. Ohne eindeutiges Ergebnis kann ein Experiment mit diesen Ausmaßen und Konsequenzen nicht gestartet werden.

Sollten sich die Schweizer für das BGE entscheiden – umso besser. Nach einer ausführlichen Testphase im Nachbarland könnten belastbare Schlussfolgerungen für Deutschland gezogen werden.

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