Pleite eines Dax-Konzerns Wirecard muss bei Amtsgericht München Insolvenz anmelden

München · Es war nichts mehr zu retten. Der Zahlungsdienstleister Wirecard muss beim Amtsgericht München Insolvenz anmelden. 5800 Beschäftigte bangen um ihre Arbeitsplätze und Anleger um viel Geld.

 Der Verlauf der Wirecard-Aktie.

Der Verlauf der Wirecard-Aktie.

Foto: grafik

Der Wirtschaftskrimi um den Skandalkonzern Wirecard mündet in sein schlimmstmögliches Ende. Der Vorstand habe entschieden, für die Wirecard AG beim Amtsgericht München wegen drohender Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung einen Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens zu stellen, teilte der Dax-Konzern aus Aschheim bei München in einer Pflichtmitteilung an die Börse mit.

Es ist die erste Pleite eines Dax-Konzerns überhaupt. Insolvenzanträge für Tochterfirmen sind in Prüfung. Die Aktie des erst 2002 gegründeten Konzerns wurde nach dieser neuerlichen Hiobsbotschaft zeitweise vom Handel ausgesetzt. Danach notierte sie in einer ersten Reaktion auf die Pleite bei noch 2,50 Euro je Anteilsschein rund 80 Prozent im Minus. Vorige Woche waren es noch rund 100 Euro.

 Nun wird ein vorläufiger Insolvenzverwalter bestellt, der die Sanierungschancen ausloten muss. Groß werden die wohl nicht sein. Der Wirecard-Vorstand um den jüngst bestellten Interimschef James Freis hat den Insolvenzbeschluss gefasst, weil in den nächsten Tagen Bankkrediten im Umfang von insgesamt 1,3 Milliarden Euro eine Kündigung gedroht hätte. „Damit ist die Fortführbarkeit des Unternehmens nicht sichergestellt“, ließ Freis erklären.

 An den Banken habe es aber nicht gelegen, verrät ein Insider. Vielmehr hätte Wirecard verlängerte Kredite gar nicht in Anspruch nehmen dürfen, weil absehbar war, dass man sie mangels Geschäftsperspektiven nie hätte zurückzahlen können. Das lässt tief blicken.

Bank hat Einlagen in Milliardenhöhe

Nicht Teil des Insolvenzverfahrens ist allerdings die Wirecard Bank mit Kundeneinlagen in Milliardenhöhe. Sollte auch sie pleite gehen, springt hierzulande der Einlagensicherungsfonds für Banken ein. Bei der Wirecard Bank führen sowohl Privat- als auch Firmenkunden Konten. Die deutsche Finanzaufsicht Bafin hat für die Bank bereits einen Sonderbeauftragten eingesetzt.

 Die Pleite des Dax-Konzerns zeichnete sich seit voriger Woche ab, als bekannt wurde, dass in der Jahresbilanz 2019 von Wirecard 1,9 Milliarden Euro fehlen. Das entspricht einem Viertel der Bilanzsumme. Treuhandkonten auf den Philippinen, die als Sicherheit für Zahlungsdienstleistungen von Wirecard hätten dienen sollen, erwiesen sich als nicht existent. Ex-Chef Markus Braun ist schon Ende voriger Woche zurückgetreten und kam Anfang dieser Woche dann kurzfristig in Untersuchungshaft. Nach Zahlung einer Kaution in Höhe von fünf Millionen Euro ist er nun wieder auf freiem Fuß. Staatsanwälte ermitteln, weil größere Teile der jahrelang bilanzierten Umsätze frei erfunden sein könnten.

 „Das ist der größte Bilanzskandal Deutschlands“, beschrieb Oliver Roth in einem TV-Interview mit ntv das nun komplette Debakel. Der Kapitalmarktexperte der Oddo Seydler Bank hält es für „extremst unwahrscheinlich“, dass Wirecard-Anleger nennenswerte Anteile ihres Investments wiedersehen. Aktionäre seien grundsätzlich nicht Gläubiger von Insolvenzverfahren, klärt Insolvenzrechtler Peter Mattil auf. Anders sei das, wenn aus Pflichtverletzungen von Managern Schadenersatzansprüche hergeleitet werden können. Derartige Klagen sind auf dem Weg, allen voran durch die Anlegerkanzlei Tilp in Baden-Württemberg. Vorrangig bedient werden Regressansprüche bei Firmenpleiten allerdings nicht. Kredite von Banken, die Wirecard in Milliardenhöhe in Anspruch genommen hat, werden meist bevorzugt bedient.

Aktionärsschützer spricht von Katastrophe

 Der Anlegerschaden kann im Einzelfall immens sein. Ende 2018, kurz nach Aufnahme in den Dax, war eine Wirecard-Aktie knapp 200 Euro wert. Zu Geschädigten zählen nicht zuletzt auch die 5800 Beschäftigten des Zahlungsdienstleisters. Deren berufliche Existenz steht nun zur Disposition.

 Hauptverantwortlich für das Debakel sind für Experten wie Roth an erster Stelle Wirecard-Manager. Gegen den kompletten früheren Vorstand wird staatsanwaltschaftlich ermittelt. Brauns inzwischen von Wirecard fristlos gefeuerter Ex-Vorstandskollege Jan Marsalek wird mutmaßlich per Haftbefehl gesucht und soll auf den Philippinen untergetaucht sein. Er war für das Asien-Geschäft zuständig und damit das Epizentrum aller mutmaßlichen Luftbuchungen.

 „Das ist eine Katastrophe“, wertet Aktionärsschützer Marc Tüngler den Fall. Bei Wirecard habe das System versagt, kritisiert der Chef der Aktionärsvereinigung DSW mit Blick auf Vorstand und Aufsichtsrat aber auch Wirtschaftsprüfer und Bafin. Die Wirecard-Pleite wirft ein schlechtes Licht auf den gesamten Standort Deutschland, fürchtet der für die Grünen im Finanzausschuss sitzende Bundestagsabgeordnete Danayl Bayaz. Angesprochen fühlen darf sich auch die Wirtschaftprüfungsgesellschaft EY. Sie hatte Wirecard jahrelang unbedenkliche Bilanzen bescheinigt. Verweigert wurde erst ein Testat des jüngsten Geschäftsjahrs 2019.

 Die Bafin wiederum hatte lange die Sichtweise des Wirecard-Managements gestützt, wonach die Bilanzen in Ordnung seien und das Unternehmen ein Opfer böswilliger Spekulanten. „Die Bafin ist nicht mehr auf Augenhöhe mit den neuen Entwicklungen am Kapitalmarkt“, kritisiert auch FDP-Chef Christian Lindner. Die britische Wirtschaftszeitung „Financial Times“ hat dagegen seit Anfang 2019 immer wieder über faule Wirecard-Bilanzen berichtet. Ernst genommen wurde das lange nicht.

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