Aussage von Bellenhaus Kronzeuge sagt im Wirecard-Prozess aus

München · Das Gericht lässt sich vom Kronzeugen Oliver Bellenhaus erklären, wie mit gefälschten Dokumenten bei Wirecard betrogen wurde. Um das Ziel zu erreichen, habe er nach Quartalsende zum Beispiel Geschäfte frei erfunden.

 Der frühere Wirecard-Manager und Kronzeuge Oliver Bellenhaus (M.) kommt zur Fortsetzung des Prozesses in den Gerichtssaal.

Der frühere Wirecard-Manager und Kronzeuge Oliver Bellenhaus (M.) kommt zur Fortsetzung des Prozesses in den Gerichtssaal.

Foto: dpa/Lukas Barth

Oliver Bellenhaus antwortet schon seit Stunden auf die Fragen von Richter Markus Födisch. Der will es genau wissen. „Auch wenn ich jetzt hartnäckig bin“, beginnt der Jurist, der am Ende ein Urteil fällen soll, mehrfach vor einer seiner Nachfragen. Da macht es der Kronzeuge, der auch einer von drei Angeklagten ist, ausnahmsweise einmal einfach. „Das ist Malen nach Zahlen“, erklärt er das Prinzip des Betrugs bei Wirecard. Bei ihm als „Problemlöser“ mit IT-Expertise bestellt worden seien immer wieder Umsätze und Gewinne. Die habe er dann gebastelt und gefälschte Buchungen für fiktive Geschäfte so lange aneinander gereiht, „bis es gepasst hat“.

Auf diese wundersame wie kriminelle Weise wurden ambitionierte Geschäftsprognosen stets exakt erfüllt, wenn auch nur auf Papier. „Ich hatte eine Bandbreite von ein bis zwei Prozent, innerhalb der ich operieren konnte“, erklärt Bellenhaus. Reverse Engineering habe er betrieben. Das bilanzielle Ergebnis stand von Anfang an fest, soll das heißen. Um es zu erreichen habe er nach Quartalsende dann Geschäfte frei erfunden und per ausgefeilter Fälschungen auch dokumentiert.

Perfektionierte Betrugsmaschinerie

Binnen ein bis drei Tagen habe die von ihm perfektionierte Betrugsmaschinerie regelmäßig Ergebnisse liefern müssen, schildert Bellenhaus den Zeitdruck und redet sich in Rage. Einmal hatte er eine gefälschte Buchhaltung fertig, da kamen aus München neue Anweisungen. „Mach 100 Millionen mehr Umsatz und 50 Millionen mehr Gewinn.“ Da habe er aufbegehrt, sagt der 49-Jährige. Mit schlechtem Gewissen oder Schuldbewusstsein hatte das aber nichts zu tun. „Ich musste wieder komplett von vorne anfangen“, sagt der Ex-Statthalter von Wirecard im arabischen Dubai empört.

Er war eine Schlüsselfigur des Wirecard-Skandals, bei dem am Ende 1,9 Milliarden Euro angebliches Treuhandvermögen unauffindbar blieben. Das Geld hat nie existiert, sagen Bellenhaus und Ermittler. Es sei existent gewesen, aber von Bellenhaus und Konsorten geraubt worden, behauptet dagegen der mitangeklagte Markus Braun, der einmal Wirecard-Chef war. Auch der Ex-Chefbuchhalter Stefan E. als dritter Angeklagter des Mammutprozesses vor dem Landgericht München gibt sich unschuldig.

Eine Hälfte aller Wirecard-Umsätze waren real

Vom Angeklagtentrio redet nur einer – Bellenhaus. Er sagt auch, wer Fake-Umsätze und Scheingewinne bei ihm bestellt hat. Immer wieder fallen dabei die Namen Stefan, Markus und Jan. Die ersten beiden sind seine beiden Mitangeklagten E. und Braun. Jan heißt mit Nachnamen Marsalek und ist der flüchtige Wirecard-Topmanager, den Ermittler in Moskau untergetaucht vermuten.

Wenn Wirtschaftsprüfer eine Dokumentation haben wollten, um einen Jahresabschluss von Wirecard zu bestätigen, habe er Verlangtes passgenau gebastelt von Luftbuchungen über fiktive Händlerlisten bis zu Protokollen über Managementsitzungen, die nie stattfanden. Betrügerstolz blitzt auf. „Wirecard hat 6.000 Leute gebraucht, um einen ähnlichen Umsatz zu machen wie ich“, sagt Bellenhaus. Er meint damit, dass am Ende die eine Hälfte aller Wirecard-Umsätze real waren und von der Belegschaft erwirtschaftet wurden. Die andere Hälfte hat er in Dubai erfunden.

Was die verschiedenen Wahrheiten angeht, die die Angeklagten präsentieren, steht Wort gegen Wort. Bellenhaus hat keine Daten gesichert, die seine Aussagen stützen. Seine Fake-Buchungen hat er auf in der Internet-Cloud gemieteten Hochleistungsrechnern erstellt, zu denen es keinen Zugang mehr gibt. Sein Handy, auf dem er mit Marsalek, Braun und E. konspirativ gechattet haben will, ist spurlos verschwunden. Auf konfrontative Fragen der Anwälte seiner Mitangeklagten will Bellenhaus nicht antworten. Für die sind das Einfallstore, um Zweifel an der Glaubwürdigkeit des Kronzeugen zu säen.

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