Interview mit Karl Broich, Präsident des Bfarm „Die Datenhoheit liegt beim Patienten“

Bonn · In der Medizin sind Apps auf dem Vormarsch. Mit dem Digitale-Versorgung-Gesetz sollen die Kosten dafür künftig von den Krankenkassen übernommen werden. Aber es gibt auch Risiken.

Ein Gespräch über die Digitalisierung in der Medizin: Karl Broich, Präsident des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte, im GA-Interview.

Ein Gespräch über die Digitalisierung in der Medizin: Karl Broich, Präsident des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte, im GA-Interview.

Foto: Benjamin Westhoff

Der Bundestag soll noch in diesem Jahr das Digitale-Versorgung-Gesetz verabschieden, das den Krankenkassen erlaubt, medizinische Apps zu erstatten. Der Präsident des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (Bfarm), Karl Broich, sieht in ihnen große Chancen. Seine Behörde hat am Donnerstag 25-jähriges Bestehen gefeiert, seit 20 Jahren ist sie in Bonn ansässig. Mit Broich sprach Ulla Thiede.

Wie viele Medical Apps gibt es inzwischen auf dem deutschen Markt?

Karl Broich: Wenn man auch Lifestyle-Apps mit einbezieht, also Apps ohne konkrete medizinische Intention, dann sind es mehrere Hunderttausend. Wenn man als erstes Qualitätsmerkmal das europäische CE-Kennzeichen nimmt, dann sind es deutlich weniger. Die Zertifizierung erfolgt durch sogenannte „Benannte Stellen“ wie die Dekra oder den TÜV. Im Bereich Medizinprodukte kommt das Bfarm bei der Risikobewertung ins Spiel: Wir prüfen bei Vorkommnissen, um welche Art von Fehler es sich handelt und wie dieses Risiko beseitigt, verringert oder verhindert werden kann.

Können Sie die Apps kategorisieren?

Broich: Nach dem Digitale-Versorgung-Gesetz sollen wir für die Risikoklassen I bis IIa zuständig sein, also solchen, die ein relativ niedriges Risiko haben. Die höchste Klasse ist die Stufe III, wo auch tödliche Risiken mit einer Fehlfunktion der App oder einer Falschaussage einer App verbunden sein können. Dazu gehören geschlossene, komplexe Therapiesysteme bei zuckerkranken Patienten, die beispielsweise Insulindosen berechnen. Wenn diese nicht stimmen, wäre der Patient ja konkret gefährdet. Wir werden erst einmal Apps wie zum Beispiel Tagebücher für zuckerkranke Patienten prüfen, in die Ernährungsgewohnheiten und täglichen Insulindosen eingetragen werden, sodass der Arzt darüber dann auch die Therapie für den Patienten individueller zuschneiden kann.

Wer ist für die höchste Risikoklasse zuständig?

Broich: Darüber entscheidet der Gemeinsame Bundesausschuss. Das wird im Rahmen der etablierten Methodenbewertung stattfinden. Um dem dynamischen Charakter dieser Medical Apps gerecht zu werden, ist ein schlankeres Verfahren geplant. Klar ist: Der Bundesgesundheitsminister wünscht hier eine Beschleunigung. Es ist wichtig, dass wir jetzt bei Klasse I und IIa die Erfahrungen sammeln und das System etablieren.

Die Krankenkassen sollen künftig medizinische Apps erstatten. Wie funktioniert das?

Broich: Apps der niedrigen Risikoklasse mit CE-Kennzeichen müssen dazu voraussichtlich ab Frühjahr 2020 beim Bfarm das sogenannte Fast-Track-Verfahren durchlaufen, um in das Verzeichnis der Digitalen Gesundheitsanwendungen aufgenommen zu werden. Das Bfarm prüft dazu auf Antrag eines Herstellers, ob die App die notwendigen Anforderungen an Sicherheit, Funktionstauglichkeit, Qualität, Datenschutz und Datensicherheit erfüllt und ob sich positive Versorgungseffekte nachweisen lassen. Das wäre zum Beispiel der Fall, wenn der zuckerkranke Patient durch die Nutzung der App ein ausgeglicheneres Profil seines Blutzuckers hat, sodass er mittelfristig vielleicht auch weniger Insulin braucht.

Wo findet der Patient dann die App? Im App Store?

Broich: Auf welchen Wegen Patienten die Apps erhalten, wird noch festgelegt.

Können Medical Apps den Arzt ersetzen?

Broich: Nein, sie sind nie ein Ersatz, sondern immer nur eine Ergänzung. Dem Verhältnis zwischen Arzt und Patient kommt natürlich weiterhin größte Bedeutung zu. Die neuen Möglichkeiten, die wir im Rahmen der digitalen Medizin bekommen werden, werden die Therapieentscheidungen des Arztes und die Arzt-Patienten-Interaktion jedoch entscheidend unterstützen. Das sieht man etwa bei den bildgebenden Verfahren, dass diese Systeme mit Maschinenlerntechniken zum Beispiel bei der Diagnostik von Gehirnerkrankungen deutlich bessere Werte aufweisen können als die erfahrensten Ärzte.

Wie viel kostet eine medizinische App?

Broich: Die Spanne wird hier sicherlich von wenigen Euro bis zu einigen hundert Euro reichen, je nach Komplexität und Leistungsfähigkeit der App.

Vor welchen Apps ist zu warnen?

Broich: Ich bleibe beim Beispiel Zuckerkrankheit. Wir hatten festgestellt, dass viele Apps, die nach Ernährungstabellen Insulineinheiten berechnen, falsche Ergebnisse geliefert haben. Hier setzen die neuen Aufgaben des BfArM an – wir werden sehr genau schauen, dass alle gesetzlichen Anforderungen erfüllt sind und die Apps von den Patienten sicher genutzt werden können.

Alte Menschen, die kein Smartphone nutzen, sind aber von den Apps ausgeschlossen?

Broich: Wir sind uns bewusst, dass nicht alle Patienten ein Smartphone haben. Trotzdem ist es der richtige Weg, jetzt grundsätzlich einen Leistungsanspruch der Versicherten zu schaffen. Die Entwicklung der digitalen Gesundheitsanwendungen bleibt ja im Rest der Welt nicht stehen. Es ist wichtig, dass wir diese Entwicklung aktiv mitgestalten und die enormen Chancen der Digitalisierung für die Patienten nutzbar machen.

Bei der elektronischen Gesundheitskarte sind die Einführungsschwierigkeiten größer! Warum?

Broich: In dieser Hinsicht werden die Entwicklungen deutlich an Fahrt aufnehmen. Der Hauptgrund, dass man sich nicht einigen konnte, war, dass man unterschiedliche Anforderungen an die Standards gestellt hat, die eingehalten werden sollten. Da standen zu viele nicht vereinbare Interessen nebeneinander. Da hat man einen Schnitt gemacht und gesagt, das kommt jetzt, wer nicht mitmacht, der wird in Zukunft Geld verlieren.

Sie wollen mit den Apps aber auch Daten von Patienten sammeln und auswerten. Und wenn ich da nicht mitmachen will?

Broich: Ganz klar ist hier, dass die Datenhoheit, also die Entscheidung darüber, wer Zugang zu den Daten bekommen soll, bei den Patienten liegen muss. Mit den von Ihnen angesprochenen Überlegungen wie der sogenannten Datenspende will die Bundesregierung die Möglichkeit schaffen, dass Patienten Daten freiwillig und anonymisiert der Forschung zur Verfügung stellen können – unter anderem über App-Anwendungen. Die Nutzung solcher Daten ist ein wichtiges Thema. Sie lassen unter anderem Rückschlüsse auf potentielle Risiken eines Arzneimittels zu, werden aber künftig auch bei der Entwicklung und Zulassung von Arzneimitteln eine entscheidende Rolle spielen. Nehmen Sie zum Beispiel die Behandlung seltener Erkrankungen, zu denen es naturgemäß wenige Daten aus klinischen Studien gibt, weil nur wenige Patienten betroffen sind. Natürlich muss sichergestellt sein, dass bei einer solchen freiwilligen Datenspende die Datenschutzbestimmungen lückenlos beachtet werden.

Wer prüft die Datensicherheit der Apps?

Broich: Dass die Anforderungen an den Datenschutz und die Datensicherheit eingehalten werden, muss uns der Hersteller schon bei der Einreichung der Antragsunterlagen seiner App nachweisen. Diese Angaben werden dann von uns überprüft. Wie diese Überprüfung im Detail aussehen muss, dazu stehen wir auch mit dem Bundesdatenschutzbeauftragten in engem Austausch. Jüngst hat die Diskussion über die Gesundheits-App Ada ja gezeigt, dass sichergestellt werden muss, dass die bereitgestellten Daten nicht weiterverkauft und für Marketingzwecke genutzt werden können.

Was ist mit dem Bundesamt für die Sicherheit für die Informationstechnik (BSI)?

Broich: Auch mit dem BSI arbeiten wir eng in diesen Fragen zusammen. Sogar mit breiterem Fokus: Es geht auch um die Verhinderung der Hackbarkeit von Medizinprodukten in Krankenhäusern, das Röntgengerät, die Beatmungsgeräte, Infusionspumpen, das sind ja alles Medizinprodukte. Ungenügend abgesicherte Wlan- und Netzwerkschnittstellen sind ein Risiko. Die Erfahrungen, die einige Krankenhäuser mit Hackerangriffen auf ihre Datenbanken gemacht haben, waren dramatisch genug.

Wie weit sind Sie mit der Zusammenlegung Ihres Instituts mit dem Deutschen Institut für medizinische Dokumentation und Information, dem Dimdi, in Köln?

Broich: Wir planen für das erste Quartal 2020 die formelle Eingliederung, und es gibt Fachaufgaben des Dimdi im Bereich Arzneimittel und Medizinprodukte, wo die Synergieeffekte sehr schnell zu heben sind und wir die entsprechenden Einheiten schnell zusammenführen können. Es gibt aber auch wichtige Aufgaben im Dimdi wie medizinische Klassifikationssysteme, die gelten für alle Krankheitsbilder für die Patienten und dienen den Krankenkassen, Ärzten und Krankenhäusern als Basis für die Abrechnungssysteme. Es ist extrem wichtig, dass da eine Standardisierung und eine Interoperabilität entsteht. Heute haben wir von Krankenkasse zu Krankenkasse unterschiedliche Standards. Wir wollen diese Aufgabe des Dimdi zu einem Leuchtturmprojekt machen. Das ist eine Grundvoraussetzung, um etwa die elektronische Patientenakte weiter entwickeln zu können. Hier sehen wir als gemeinsame Institution mehr Gestaltungskraft und auch insgesamt eine größere Außenwahrnehmung.

Wird es mehr Mittel geben?

Broich: Es haben mit Blick auf die Eingliederung bereits entsprechende Organisationsuntersuchungen stattgefunden. Wir führen auch mit dem BMG und den Haushältern des Bundestages Gespräche über notwendigen Personalzuwachs zum Beispiel im Bereich der Datenanalysten.

Werden die Dimdi-Mitarbeiter ihre Büros in Bonn haben oder können sie in Köln bleiben?

Broich: Wir stehen auch mit Blick auf die Standortfrage in engem Austausch mit den Dimdi-Kollegen. Vereinbart wurde, dass diese zunächst weiter von Köln aus arbeiten. Wir wollen für die Beschäftigten des Dimdi eine Art Bestandsgarantie gewähren mit dem Ziel, dass diese nicht von jetzt auf gleich an einen neuen Arbeitsort müssen und wir auch die technischen Voraussetzungen der vielen Datenbanken und Register weiter ohne Reibungsverlust nutzen können.

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