Sozialwahl in Deutschland Millionen Versicherte haben die Wahl

BERLIN · In diesen Tagen gibt es Post von der Deutschen Rentenversicherung: Bürger können in diesem Jahr nämlich die Versichertenparlamente wählen.

 Werben für die Teilnahme an der Sozialwahl: Ein Plakat aus dem Jahr 2011.

Werben für die Teilnahme an der Sozialwahl: Ein Plakat aus dem Jahr 2011.

Foto: picture alliance / ZB

Millionen Bürger bekommen in diesen Tagen Post von der Deutschen Rentenversicherung. Darin geht es um Informationen über einen Klassiker, den es seit vielen Jahrzehnten gibt, sprich: um Informationen zur Sozialwahl. Sie findet alle sechs Jahre statt. Und immer, wenn die Abstimmung ansteht, kommt eine Diskussion auf, wie sinnvoll die Sozialwahl ist. Leider läuft die Diskussion bisher immer ins Leere, was auch heißt, dass die vielen Ungereimtheiten der Sozialwahl alle sechs Jahre aufs Neue zu Tage treten.

Dabei ist ihr Kern zweifellos gelungen: Die Mitglieder der Renten- und Krankenversicherung wählen die Vertreterversammlungen oder Verwaltungsräte, die quasi die Versichertenparlamente sind. Die haben durchaus Bedeutung. Sie bilden beispielsweise in der Regel die Widerspruchsausschüsse, an die jeder sich wenden kann, wenn er mit einer Entscheidung seiner Krankenkasse oder der Rentenversicherung nicht einverstanden ist. Der Grundgedanke der Sozialwahl ist also ur-demokratisch und bürgernah. Deshalb ist es gut, dass die Rentenversicherung Bund nun das Schreiben verschickt und die Empfänger einlädt, sich über die Kandidaten zu informieren, die zur Vertreterversammlung antreten (die Stimmzettel zur Sozialwahl, die eine reine Briefwahl ist, werden dann später verschickt).

Just dieses Prozedere ist aber eine Ausnahme: Die allermeisten der mehr als 100 verschiedenen Kranken- und Unfallkassen, Berufsgenossenschaften oder Rentenversicherer kennen die so genannte „Friedenswahl“ oder „Wahl ohne Wahlhandlung“. Das heißt: Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften legen die Mitglieder der Selbstverwaltung selbst fest, die Versicherten bleiben außen vor. Das Kuriosum einer wahllosen Wahl gilt nicht nur bei „Kleinkrautern“ mit wenigen tausend Mitgliedern. Auch die Allgemeinen Ortskrankenkassen (AOK) kennen die „Friedenswahl“. Dabei haben sie zusammen knapp 24,5 Millionen Versicherte. Und selbst die kleinste von ihnen, die AOK Bremen, zählt immerhin gut 160.000 Mitglieder. Die Sozialwahl ist somit ein Scheinriese. Die Zahl der Wahlberechtigten ist mit etwa 51 Millionen beeindruckend groß. Allerdings sorgen gerade einmal acht Akteure für die große Zahl. Denn eine Urwahl, bei der die Versicherten die ein oder andere Bewerberliste ankreuzen können, gibt es 2017 nur bei acht Akteuren, zu denen die Deutsche Rentenversicherung Bund, die Techniker Krankenkasse, der Barmer und die DAK gehören.

Weil fast alle der „Urwahl“-Akteure sehr viele Menschen versichern, kommt die große Zahl der Wahlberechtigten zustande. Dies war ganz ähnlich auch bei der Sozialwahl 2011 der Fall. Auch damals gab es auf Seiten der Versicherten nur ganz wenige „Urwahlen“. Insgesamt wurden 2011 bei der Sozialwahl 4215 Sitze in Verwaltungsräten und Vertreterversammlungen neu bestimmt. Doch nur 168 von ihnen wurden über eine Urwahl besetzt: Eine riesige Zahl Wahlberechtigter entscheidet also über eine winzige Zahl an Sitzen in den Versichertenparlamenten. Das war 2011 so. Und das wird 2017 wieder so sein.

Dass diese Form der teuren Sozialwahl keine Zukunft hat (2011 kostete sie 46,3 Millionen Euro), betont jemand, der ihr verbunden ist. Vor sechs Jahren war der frühere Rottweiler SPD-Bundestagsabgeordnete Klaus Kirschner Bundeswahlbeauftragter für die Sozialwahl. In seinem Abschlussbericht heißt es: „Der ‚Wahl ohne Wahlhandlung‘ fehlt eine übergeordnete Legitimationsstufe. Es ist schlecht begründbar, dass Organisationen lediglich aus sich selbst heraus die Entscheidungsträger in den Selbstverwaltungsorganen bestimmen. Schließlich sind die gesetzlichen Sozialversicherungsträger Angelegenheit der gesamten Gesellschaft“. Kirschner hat Vorschläge gemacht, wie die gesamte Gesellschaft beteiligt werden kann. Nur legte die Große Koalition das Reformkonzept in die Schublade, weshalb die Sozialwahl 2017 wieder keine „Angelegenheit der gesamten Gesellschaft“ wird.

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