Große Abhängigkeit von China Spielwarenbranche rechnet mit Verlusten

Nürnberg · Spielzeug war ein Pandemiegewinner. Jetzt würgen Inflation und Kaufkraftverluste die Sonderkonjunktur rüde ab. Hersteller wollen sich vom Hauptlieferanten China abnabeln.

Weil Spielzeug dieses Jahr zugleich um gut fünf Prozent teuerer wurde, wird auf Basis von Stückzahlen gut ein Zehntel weniger verkauft.

Weil Spielzeug dieses Jahr zugleich um gut fünf Prozent teuerer wurde, wird auf Basis von Stückzahlen gut ein Zehntel weniger verkauft.

Foto: dpa/Daniel Löb

Rückblickend waren es Luxusprobleme. Voriges Jahr um diese Zeit galt die Hauptsorge der Spielwarenbranche noch Lieferketten und Warenverfügbarkeit. Auch im Kinderzimmer wird nun aber der Wind rau. „Wir rechnen mit etwa fünf Prozent Umsatzrückgang auf 4,7 Milliarden Euro“, schätzt Steffen Kahnt für seine Branche 2022. Zusammen mit anderen Branchenvertretern blickt der Geschäftsführer des Handelsverbands Spielwaren in Nürnberg besorgt auf das Weihnachtsgeschäft. Weil Spielzeug dieses Jahr zugleich um gut fünf Prozent teuerer wurde, wird auf Basis von Stückzahlen gut ein Zehntel weniger verkauft. An einen Rückgang solcher Dimension kann sich vom Handel über die Industrie bis zu Marktforschern hierzulande niemand in der Branche erinnern. Er ist historisch.

Es komme aber auch Einmaliges zusammen, erklärt Joachim Stempfle. Die letzten beiden Jahre sei die Spielzeugbranche auf einer Sonderkonjunktur geschwommen, sagt der Experte der auf die Branche spezialisierten Marktforschungsgruppe npdgroup. Jetzt raube die Inflation viel Kaufkraft. Nach den für Spielwarenverkäufer ausgezeichneten Pandemie-Jahren lägen die Branchenumsätze in Deutschland aktuell aber immer noch zwölf Prozent über denen zum gleichen Zeitpunkt des Jahres 2019, relativiert Stempfle die aktuellen Verluste.

„Am Kind wird zuletzt gespart“

Ob es dabei bleibt, entscheidet das Weihnachtsgeschäft, das in der Branche traditionell 40 Prozent eines Jahresumsatzes ausmacht. Bislang besser als im Vorjahr würden sich aktuell noch Bausets, Plüschtiere und Actionfiguren verkaufen, sagt der Marktforscher. Bei wichtigen Segmenten wie Puzzles und Gesellschaftsspielen oder Outdoorspielzeug bröckelt es dagegen stark. „Es geht derzeit fast in der ganzen Breite des Sortiments nach unten“, bedauert auch Ulrich Brobeil als Geschäftsführer des Verbands der Spielwarenhersteller. Er hofft noch auf das anlaufende Weihnachtsgeschäft.

„Am Kind wird zuletzt gespart“, weiß er von früheren Wirtschaftseinbrüchen. Auch Kollege Kahnt macht sich Mut für die nächsten Wochen. „Eltern und Großeltern geben ihren letzten Euro für die Kleinsten aus“, sei eine bisher noch immer verlässliche Erfahrung. Beide Verbandschefs wären aber zufrieden, wenn es jetzt bei einer Rückkehr zur Normalität und zu den Zeiten vor der Pandemie bleibt.

Was Käufertrends angeht, stellen die Branchenvertreter gerade eine Rückbesinnung auf den Spielspaß fest. In der Pandemie habe noch der Lernfaktor von Spielzeug im Fokus gestanden. Jetzt dominiere wieder die Freude am Spiel vor pädagogischen Erwägungen. Entspannt habe sich mittlerweile auch die Liefersituation, sagt Kahnt.

Aus China stammen acht von zehn Spielwaren

Für Spielzeughersteller kommt das dicke Ende wohl erst noch. Sie klagen über hohe Energiepreise, knappe Vorprodukte und Engpässe bei Rohstoffen. Die bisherigen Preiserhöhungen bei Spielzeug würden die Kostensteigerungen bei Weitem nicht ausgleichen, stellt Brobeil klar. Die Lage zwingt, bislang in Stein gemeißelte Strategien grundsätzlich zu überdenken.

„China ist nicht mehr das Klondike der vergangenen Jahrzehnte“, sagt Brobeil in Anspielung auf das Hauptlieferland für Spielzeug und den historischen Goldrausch in Alaska. Aus China stammen im globalen Maßstab acht von zehn Spielwaren. In Deutschland sind es „nur“ sechs von zehn, weil große Hersteller wie Ravensburger oder Playmobil noch hierzulande oder anderswo in Europa fertigen.

Es gebe unter Herstellern Überlegungen, Produktionskapazität aus China abzuziehen und in andere Länder Asiens oder nach Osteuropa zu verlagern, verrät Brobeil. Sein Verband werde dazu einen Leitfaden veröffentlichen. Derzeit wolle mehr als jeder zweite Hersteller die Abhängigkeit von China bei bestimmtem Spielzeug reduzieren. Drei bis fünf Jahre könne das dauern.

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