Straudamm Brasilien Strafanzeige gegen Münchner TÜV-Manager

München · Der Überwachungsdienst soll einen Staudamm in Brasilien trotz bekannter Sicherheitsmängel zertifiziert haben. Kurz darauf brach er ein.

 Aktivisten von Misereor und Bund Naturschutz liegen mit Erde bedeckt vor der Zentrale des TÜV Süd.

Aktivisten von Misereor und Bund Naturschutz liegen mit Erde bedeckt vor der Zentrale des TÜV Süd.

Foto: dpa/-

Sieben Menschen liegen von Sand und Schlamm bedeckt vor der Firmenzentrale des TÜV Süd in München. „Mörder, ihr habt 272 Unschuldige getötet und unsere Gemeinde zerstört“, ruft Amanda Andrade wütend ins Megaphon. Sie blickt dabei an der Backsteinfassade hinauf in Richtung Chefetage. An den Fenstern drängen sich Mitarbeiter des Prüfkonzerns, der vor einem Jahr einem Damm in Brasilien die Sicherheit bescheinigt hat. Die TÜV-Angestellten blicken hinab auf das Pflaster, wo Bilder von 272 Frauen, Männern und Kindern ausliegen. Denn vier Monate nach TÜV-Zertifizierung ist der Damm diesen Januar gebrochen, 272 Menschen wurden getötet.

Vor den Toren der Münchner TÜV-Zentrale protestiert ein Bündnis aus Angehörigen von Opfern, der Menschenrechtsorganisation ECCHR und Misereor, dem Hilfswerk der katholischen Kirche. Deren Anschuldigungen haben es in sich. Der TÜV Süd habe den Damm zertifiziert, obwohl eigene Mitarbeiter Sicherheitsmängel festgestellt hätten. Er trage deshalb eine unmittelbare Mitschuld an der Tragödie. Belegt wird das mit Zitaten aus TÜV-internen Emails, die brasilianische Untersuchungsbehörden veröffentlicht haben. Man könne „die Stabilitätserklärung streng genommen nicht unterzeichnen“, heißt es darin. Getan hat es der TÜV dann doch, weil Vale damit gedroht habe, den Prüfauftrag sonst an einen Konkurrenten zu vergeben, kritisiert die Misereor-Experting für Bergbau, Susanne Friess.

Für das Bündnis arbeitet auch ECCHR-Rechtsanwältin Claudia Müller-Hoff. Sie glaubt den TÜV-Manager in München identifiziert zu haben, der mit den warnenden Kollegen in Brasilien in Email-Kontakt gestanden ist. Den Namen des aus ihrer Sicht Hauptverantwortlichen beim TÜV nennt sie nicht öffentlich. Aber sie hat gegen ihn bei der Staatsanwaltschaft München im Namen mehrerer Hinterbliebener von Opfern des Unglücks soeben Strafanzeige wegen Betrug, fahrlässiger Tötung und fahrlässiger Herbeiführung einer Überschwemmung gestellt. Staatsanwaltschaft und TÜV bestätigen den Eingang der Klagen. Der Sachverhalt sei kompliziert, eine Prüfung der Anzeige werde geraume Zeit in Anspruch nehmen, sagt eine Behördensprecherin. Der TÜV äußert sich wortkarg. Man habe großes Interesse an der Aufklärung der Unglücksursache, wird beteuert. Eigene Erkenntnisse dazu werden jedoch nicht öffentlich gemacht. Risikoabschätzungen für den Fall, dass der TÜV in Brasilien erfolgreich für die Todesfälle und Schäden an der Umwelt in Regress genommen wird, existieren laut aktuellem Geschäftsbericht TÜV-intern. Details dazu nennt man aber nicht.

Das hat Gründe. Zertifiziert hat der TÜV den Damm für den brasilianischen Minenkonzern Vale, der mit einem Dammbruch 2015 ebenfalls in Brasilien schon einmal eine Umweltkatastrophe und menschliche Tragödien zu verantworten hatte. Finanziell war damals ein Milliardenschaden entstanden. Um den gehe es jetzt auch, schätzt Müller-Hoff. Vale habe sich gegenüber Behörden in Brasilien im aktuellen Fall bereits zu Schadenersatz verpflichtet. Die Summe sei allerdings noch nicht fixiert. Dem TÜV gehe es jetzt darum, jede Mithaftung zu vermeiden, meint die Juristin. Er mauere und halte eigene Erkenntnisse zur Katastrophe zurück.

„Es ist eine sehr komplexe Untersuchung“, entgegnet ein TÜV-Sprecher. Finale Ergebnisse stünden noch nicht fest. Zum entscheidenden Vorwurf, den Damm trotz bekannter Sicherheitsmängel zertifiziert zu haben will die Prüforganisation mit Verweis auf laufende Verfahren nichts sagen. Zumindest die Angehörigen der Opfer und Vertreter des Protestbündnisses lädt man zum Gespräch in die Konzernzentrale. Für die Initiative Lieferkettengesetz ist der Fall des TÜV in Brasilien typisch dafür, dass deutsche Konzerne im Ausland nicht freiwillig für von ihnen mitzuverantwortende Katastrophen haften wollen. „Immer wieder tragen deutsche Unternehmen weltweit zu Menschenrechtsverletzungen und Umweltzerstörung bei“, sagt deren Sprecher Johannes Heeg. Von der Bundesregierung fordert die Initiative deshalb ein Lieferkettengesetz, das eine solche Haftung regelt.

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