Kleine Schritte zurück zur Normalität RWI-Chef Schmidt hält baldige Ladenöffnungen für möglich

Essen · Es sei derzeit schwer einzuschätzen, ob die staatlichen Hilfen für die Unternehmen in der Corona-Pandemie ausreichen werden, sagt der Ökonom Christoph Schmidt. Jetzt berät er NRW-Ministerpräsident Armin Laschet, wie der Lockdown schrittweise aufgehoben werden könnte.

 Ein Wochentag im April in Köln: Wegen des Lockdowns während der Corona-Pandemie sind nur vereinzelt Passanten in der Innenstadt unterwegs.

Ein Wochentag im April in Köln: Wegen des Lockdowns während der Corona-Pandemie sind nur vereinzelt Passanten in der Innenstadt unterwegs.

Foto: imago images/Revierfoto/Revierfoto via www.imago-images.de

Christoph Schmidt ist als Präsident des RWI Leibniz-Institutes für Wirtschaftsforschung in Essen einer der besten Kenner der deutschen Wirtschaft. Er ist Berater im „Expertenrat Corona“ von Ministerpräsident Armin Laschet.

Um die Ausbreitung des Virus zu stoppen, stehen Fabriken still und Läden sind geschlossen. Wie lange kann die deutsche Wirtschaft einen solchen Zustand aushalten?

Christoph Schmidt: Sicher ist, dass eine solche Situation nicht unbegrenzt durchgehalten werden kann, ohne immense wirtschaftliche Schäden zu verursachen, die dann letztlich auch wieder die Menschen treffen. Daher ist es wichtig, dass die Politik umgehend einen vorläufigen Fahrplan für den Ausstieg aus den Einschränkungen vorlegt, der nach den jeweiligen Risiken der Öffnung differenziert, und so den Unternehmen Perspektiven aufzeigt. Gleichzeitig muss aber auch allen klar sein, dass das Fahren auf Sicht noch nicht vorbei sein kann. Die Politik hat auch dann Vertrauen verdient, wenn sie unter dem Eindruck der Entwicklungen die eine oder andere Öffnung wieder zurücknehmen muss.

Der Lockdown kostet Jobs und vernichtet Firmen. Gibt es einen Punkt, an dem man sagen muss: Der volkswirtschaftliche Preis wird zu hoch für die Rettung von Leben?

Schmidt: Es geht nicht darum, Menschenleben gegen wirtschaftliche Interessen aufzurechnen. Wir müssen aber erkennen, dass der Lockdown nicht ohne Folgeschäden für viele Facetten des Lebens bleiben kann, angefangen bei der Gesundheitsversorgung bis hin zum sozialen Zusammenhalt und unserer kulturellen Identität. Daher ist das Aufzeigen einer nach Risiken differenzierten Strategie für die schrittweise Rückkehr in die Normalität so wichtig. Dies wird aber eine neue Normalität sein, in der wir in vielerlei Hinsicht wachsamer sein werden, um als Gesellschaft widerstandsfähig gegen solche Herausforderungen wie Pandemien zu sein. Wir werden dieses Ziel auch nicht von einem Tag auf den anderen in allen Bereichen erreichen können. Ladengeschäfte und Schulen könnten beispielsweise unter Beachtung von Sicherheitsauflagen möglicherweise schon bald öffnen. Massenveranstaltungen werden hingegen wahrscheinlich noch länger verboten bleiben.

Bund und Länder haben diverse Rettungsschirme gespannt, um Firmen zu helfen. Reichen die Maßnahmen nach Art und Umfang aus?

Schmidt: Auch diese Frage kann man ehrlich gesagt noch nicht beantworten, so lange man nicht weiß, in welchen Schritten wir zur Normalität zurückkehren werden. Wichtig ist, dass der Staat schnell reagiert hat, und dass – nach allem was man hört – die Hilfen unbürokratisch ausgezahlt werden. Das macht doch Hoffnung.

Wenn Kredite nicht mehr reichen: Sollte der Staat Unternehmen wie Lufthansa oder TUI notfalls vorübergehend verstaatlichen? So wie er es in der Finanzkrise mit der Commerzbank getan hat.

Schmidt: Das wäre für mich nur als eine absolute Notmaßnahme vorstellbar. Wenn es hart auf hart kommt, kann man einen solchen Schritt möglicherweise nicht vermeiden. Allerdings sollte der Staat sich dann nach der Krise auch so rasch wie möglich wieder von seinen Anteilen trennen.

 Christoph M. Schmidt, Präsident des RWI-Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung, gibt ein Interview.

Christoph M. Schmidt, Präsident des RWI-Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung, gibt ein Interview.

Foto: dpa/Michael Kappeler

Die staatlichen Programme umfassen Hunderte Milliarden. Wer wird das am Ende bezahlen?

Schmidt: In Deutschland kann der Staat zum Glück eine solche Last schultern, weil er in der Vergangenheit solide gewirtschaftet hat. Es besteht daher auch keine Veranlassung, die Schulden beschleunigt zu tilgen. Wir können uns Zeit lassen, nach einem Anspringen der Wirtschaft aus den Schulden herauszuwachsen.

Wie organisiert man eine faire Lastenverteilung? Brauchen wir eine einmalige Vermögensabgabe oder einen Corona-Soli?

Schmidt: Eine Vermögensabgabe halte ich für äußerst problematisch. Denn das Vermögen wartet doch nicht auf Konten darauf, besteuert zu werden. Es steckt beispielsweise in Unternehmen und Immobilien. Bei Einzelkaufleuten kann man zwischen Privat- und Geschäftsvermögen nicht einmal unterscheiden. Wir wollen aber doch, dass die Wirtschaft wieder in Gang kommt, dass sie wieder investiert. Eine Vermögensabgabe wäre da kontraproduktiv.

Italien fordert die gemeinschaftliche Haftung für Schulden. Was halten Sie von solchen Corona-Bonds?

Schmidt: Es herrscht Einigkeit darüber, dass die EU-Länder solidarisch handeln müssen. Streit gibt es über den Weg. Die EZB hat ein Aufkaufprogramm für Anleihen aus dem Euroraum mit einem Volumen von 750 Millarden Euro aufgelegt. Damit hat sie einen starken Anstieg der Risikoprämien auf Staatsanleihen einzelner Euroraum-Länder verhindert. Sie hat aber nur Zeit gekauft, und die Finanzpolitik muss nun handeln, wenn sie die Unabhängigkeit der EZB nicht gefährden will. Dabei ist es wohl besser, sich auf bewährte Mechanismen wie den Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) zu verlassen, dessen Ausgestaltung man an die augenblickliche Situation anpassen kann. Corona-Bonds halte ich aus zwei Gründen für problematisch. Erstens rein praktisch: Man müsste erst eine Rechtsgrundlage dafür schaffen, was Zeit benötigt. Zweitens grundsätzlich: Sie wären ein Einstieg in die gemeinschaftliche Haftung für Schulden einzelner Länder.

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