Verdi fordert mehr Kontrollen Kritik an Ausbeutungs-Missständen in der Paketbranche

Bonn · Verdi und Gesamtbetriebsräte von großen Paketdienstleistern fordern für die Branche verstärkte Kontrollen und schärfere gesetzliche Regelungen. Besonders im Fokus stehen ausbeuterische Arbeitsbedingungen bei Subunternehmern von Amazon.

 Der Internet-Versandhändler Amazon baut in Deutschland mehr und mehr ein eigenes Zustellsystem auf.

Der Internet-Versandhändler Amazon baut in Deutschland mehr und mehr ein eigenes Zustellsystem auf.

Foto: dpa/Oliver Berg

Vor der Verdi-Bundeszentrale in Berlin übernachtet regelmäßig des Fahrer eines in Polen zugelassenen Lkw. Wenn die ersten Verdi-Beschäftigten zur Arbeit kommen, putzt er sich gerade die Zähne. Die stellvertretende Verdi-Vorsitzende Andreas Kocsis erzählte am Freitag von diesem Fahrer, um zu illustrieren, welch prekäre Beschäftigungsverhältnisse es in der Logistikbranche gibt.

In Deutschland sei der Markt für Zusteller leergefegt, deshalb würden viele Beschäftigte aus Osteuropa geholt, teils unter Vorspiegelung falscher Arbeitsbedingungen. Sie würden von Subunternehmern oder als Scheinselbstständige eingesetzt. Für eine Arbeitszeit von 8.30 bis 18.30 Uhr gebe es auch schon mal nur 75 Euro als Tagespauschale. „Davon kann sich niemand eine Wohnung leisten“, so Kocsis. Oft würden die osteuropäischen Zusteller unter erbärmlichen Bedingungen hausen, teils in Wohncontainern.

Verdi fordert gemeinsam mit den Gesamtbetriebsratsvorsitzenden von Deutscher Post, Hermes, DPD, Fedex und UPS von der neuen Bundesregierung ein entschlossenes Vorgehen gegen Ausbeutung und prekäre Arbeitsbedingungen in der KEP-Branche (Kurier-, Express- und Paketdienste).

„In der KEP-Branche hat die prekäre Beschäftigung inzwischen ein unerträgliches Maß angenommen“, kritisierte Kocsis. Kontrollen des Zolls belegten Sozialversicherungsbetrug, Unterschreiten des Mindestlohns, Schwarzarbeit und illegale Beschäftigung sowie systematischen Betrug an Arbeitnehmern, die bei Subunternehmen beschäftigt sind. Solchen „Formen der organisierten Kriminalität“ sei nur mit verstärkten Kontrollen und schärferen gesetzlichen Regelungen beizukommen. 

Weniger festangestellte Paketboten

Es gibt drei Formen von Beschäftigungsverhältnissen bei Paketdienstleistern: Festangestellte, bei Subunternehmern beschäftigte Zusteller und Solo- oder Scheinselbstständige. Die großen Paketdienstleister arbeiten in unterschiedlichem Ausmaß mit fest angestellten Beschäftigten, die in der Regel sozial am besten abgesichert sind. Während bei der Deutschen Post der weitaus größte Teil festangestellt arbeite, sind es nach Angaben der Gesamtbetriebsräte bei DPD und Hermes nur einige. UPS und Fedex hätten dagegen etwas mehr angestellte Zusteller. Die Anzahl der tariflich abgesicherten und beim Paketdienstleister eigenbeschäftigten Zustellern ist laut Verdi insgesamt rückläufig.

Besondere Kritik galt in der Runde dem Vorgehen von Amazon. Fast alle Zusteller seien nicht angestellt, sondern bei Subunternehmen tätig. Die Beschäftigten müssen oft mehr als die täglich maximal erlaubten zehn Stunden arbeiten und erhielten nicht den gesetzlich vorgeschriebenen Mindestlohn. Der Onlinehändler lässt seine Sendungen bisher von verschiedenen Paketdiensten ausliefern, baut aber in Deutschland ein eigenes Zustellgeschäft auf.

Amazon weist die Vorwürfe zurück

Beim Vorgehen von Amazon drängt sich laut Verdi der Eindruck auf, dass das Unternehmen mit dem Einsatz von scheinselbstständigen Zustellern Rechtsbruch begehen könnte, denn diese seien sowohl in die Arbeitsabläufe eingeplant als auch nicht frei von Weisungen. Beides könne maßgeblich für die Frage sein, ob Menschen sozialversicherungspflichtig beschäftigt sind, so Verdi. Amazon weist die Vorwürfe zurück. Die Lieferpartner würden entsprechend gut vergütet, damit sie ihre Mitarbeiter auch gut bezahlen könnten.

Thomas Held, Gesamtbetriebsratsvorsitzender der Deutschen Post, wies noch auf einen anderen Punkt hin: „Im Gegensatz zu anderen Logistikfirmen zahlt Amazon in Deutschland keine Steuern.“ Das US-Unternehmen nutze Modelle, um Gewinne in die Ländergesellschaften zu schieben, wo am wenigsten Steuern gezahlt werden müssten.

Kocsis fordert, dass die Nachunternehmerhaftung (siehe Kasten) für die Sozialversicherungsbeiträge auf die gesamte Logistikbranche ausgeweitet werden. Amazon falle derzeit nicht unter diese Regeln. Die Finanzkontrolle Schwarzarbeit beim Zoll müsse weiter gestärkt werden, und die Sozialversicherungsträger seien aufgefordert, mehr Betriebsprüfungen im KEP-Bereich vorzunehmen, um scheinselbstständige Beschäftigungsverhältnisse zu beenden.

Schwere Pakete sollen gekennzeichnet werden

Die Gesamtbetriebsräte und Verdi fordern außerdem eine Kennzeichnung schwerer Pakete, um Zusteller vor zunehmender physischer Belastung zu schützen. Bislang ist es nur bei einigen Firmen üblich, zumindest auf dem Versandetikett relativ klein das Gewicht anzugeben. Zudem müsse das zulässige Gewicht eines Pakets auf 20 Kilogramm begrenzt werden. „Das Gewicht der Pakete ist eine enorme Belastung“, sagte Gabriel Javsan, der Vorsitzende des Gesamtbetriebsrate von DPD.

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