Veränderte Rahmenbedingungen Viele Schweinebauern denken ans Aufgeben

Osnabrück · Die Schweinelobby schlägt Alarm: Jeder zweite Sauenhalter wolle in den nächsten Jahren das Handtuch werfen. Noch mehr Ferkel als bisher könnten dann aus dem Ausland kommen. Kritiker sagen, die Branche habe ihre Probleme mitverschuldet.

 Es werden mehr Schweine in Deutschland erzeugt, als verzehrt werden.

Es werden mehr Schweine in Deutschland erzeugt, als verzehrt werden.

Foto: Friso Gentsch

Jeder zweite Sauenhalter will einer aktuellen Erhebung der Lobby-Organisation zufolge in den kommenden zehn Jahren aufgeben. Gründe sind laut der Interessengemeinschaft der Schweinehalter Deutschlands (ISN) hohe gesetzliche Auflagen und mangelnde Planungssicherheit.

Nach einer am Dienstag in Osnabrück vorgestellten ISN-Mitgliederumfrage wollen 52,1 Prozent der 645 befragten Sauenhalter in den nächsten Jahren die Ferkelerzeugung aufgeben. In den südlichen Bundesländern will jeder dritte Sauenhalter sogar schon in den kommenden zwei Jahren das Handtuch werfen; in den nächsten zehn Jahren 60 Prozent.

Grundsätzlich habe die Umfrage ergeben: Je kleiner der Betrieb, desto eher wolle er aufgeben. Der am häufigsten genannte Grund sind demnach die vielen Auflagen (73,5 Prozent). Auch "fehlende Perspektive" (50,3 Prozent) und "gesellschaftliche Stimmung" (47,9 Prozent) sind Hauptgründe. Nur 22,3 Prozent nannten wirtschaftliche Gründe.

Als Folge werde der Import von Ferkeln aus Dänemark, den Niederlanden und Spanien weiter zunehmen, sagte ISN-Geschäftsführer Torsten Staack. Die Menge an komplett regional erzeugtem Fleisch vom Ferkel bis zur Schlachtung werde somit deutlich abnehmen. Die Anzahl der Zuchtsauen ist laut Statistischem Bundesamt deutschlandweit seit 1999 von 2,7 Millionen auf knapp 1,9 Millionen im Jahr 2018 gesunken. Die Zahl der sauenhaltenden Betriebe sank demnach von 15 400 Betrieben im Jahr 2010 auf 8200 Betriebe im Jahr 2018.

Die Landwirte verschlössen sich nicht der gesellschaftlichen Debatte um mehr Tierwohl, sagte Staack. Bei der Diskussion werde oft vergessen, dass es für die Betriebe um die Existenzgrundlage gehe, kritisierte er. "Viele Landwirte haben Angst." Oft gebe es Zielkonflikte, wenn Umbauten im Sinne des Tierwohls - etwa Außenstallanlagen - aus Immissionsschutzgründen nicht genehmigt werden. "Viele Schweinehalter, die etwa an den höheren Stufen des geplanten staatlichen Tierwohllabels teilnehmen wollen, können das faktisch nicht, weil sie die Genehmigungen für die Umbauten nicht bekommen", sagte Staack.

Die Ferkelerzeuger sind von einigen Problemen betroffen, bei denen die Politik sich noch nicht auf Lösungen geeinigt hat, obwohl die Zeit drängt. So ist zum Beispiel das betäubungslose Kastrieren von Ferkeln ab dem 1. Januar 2019 verboten, aber eine Entscheidung seitens der Länder, welche Methoden es künftig geben soll, gibt es immer noch nicht.

Kritisch sieht der Deutsche Tierschutzbund die ISN-Stellungnahme. Seit Jahren sei klar, dass die betäubungslose Kastration zum Jahresende verboten sei, sagte Vizepräsidentin Brigitte Rusche: "Es ist unredlich, jetzt mit dem Totschlagargument der Betriebsaufgabe zu drohen, weil man an der für die Bauern kostengünstigen aber aus Tierschutzgründen schon lange abzulehnenden Methode der betäubungslosen Kastration festhalten will."

Die Umweltorganisation Greenpeace teile die Einschätzung der ISN, dass die Politik dringend handeln müsse, sagte deren Vertreterin Stephanie Töwe. Ein Umbau der Tierhaltung im Sinne des Tier-, Umwelt- und Verbraucherschutzes sei dringend nötig. "Da ist der Staat gefragt, mit klaren Gesetzen, zukunftsfähigen Strategien und finanziellen Mitteln zu unterstützen." Der Handel müsse faire Preise für eine bessere Tierhaltung zahlen, ein paar Cent reichten nicht aus.

Kritik kommt von der Organisation Foodwatch. "Die ISN und die Nutztierhalter haben sich mit ihrer Strategie, das billigste Schweinefleisch in der EU zu produzieren, selbst in eine Sackgasse hineinmanövriert", sagte Foodwatch-Experte Matthias Wolfschmidt. Kernproblem sei, dass die Landwirte wegen der Überproduktion in Deutschland kein Geld verdienten.

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