Umstrittener Unkrautvernichter Warum Bayer gegen das Glyphosat-Urteil in Berufung geht

Washington/San Francisco · Zwar hat das Gericht im Prozess um den Unkrautvernichter die Höhe des Schadensersatzes auf 78 Millionen Dollar reduziert. Doch der Chemiekonzern Bayer gibt sich nicht zufrieden. Denn im Kern hat das Urteil weiter Bestand.

Als Berufungsrichterin Suzanne Bolanos vor zwei Wochen andeutet, das 289 Millionen-Dollar-Schadenserzatz-Urteil im Prozess um den Unkrautvernichter Glyphosat ganz oder teilweise in den Boden zu stampfen, machte sich beim deutschen Chemie-Konzern Bayer und seiner neuen US-Tochter Monsanto große Erleichterung breit. Nachvollziehbar. In Amerika sind rund 8700 Klagen wegen behaupteter Krebsgefahren von Glyphosat bei verschiedenen Gerichten anhängig.

Kippt aber der Präzedenzfall um den 46-jährigen Hausmeister Dwayne "Lee" Johnson, der jahrelang Monsanto-Produkte wie „Roundup“ und "Ranger Pro" in seinem Schulbezirk nahe San Francisco benutzt hatte und seine im Endstadium stehende Lymphdrüsenkrebs-Erkrankung darauf zurückführt, „könnte dies auch für andere Klagen eine positive Signalwirkung für Bayer haben“, sagten US-Rechtsexperten dieser Zeitung.

Die Hoffnung auf Strafverschonung bei Bayer hat sich als trügerisch erwiesen. In einer überraschenden Kehrtwende hat Suzanne Bolsanos das Urteil der Jury, die Johnson im August die Rekordsumme zusprach, in San Francisco im Kern bestätigt und Bayer die Forderung nach einem neuen Verfahren verwehrt.

Statt 289 Millionen Dollar, so Bolanos, soll Bayer dem todkranken Hausmeister 78 Millionen Dollar (knapp 68 Millionen Euro) Schadensersatz zahlen, heißt es in einem Gerichtsdokument. Ist Johnson damit bis zum 7. Dezember einverstanden, ist das Urteil damit in dieser Instanz komplett. Andernfalls werde der Prozess neu aufgerollt. Ersten Äußerungen von Johnsons Anwalt Brent Wisner ist zu entnehmen, dass sein Mandant, dem Ärzte maximal zwei Jahre Lebenszeit vorhersagen, einwilligen könnte. „Auch wenn wir glauben, dass eine Reduzierung der punitive damages (Strafzahlungen bei betrügerischem Verhalten, Anm.d.Red.) nicht angezeigt war und wir unsere Optionen wägen“, erklärte Wisner, „freuen wir uns, dass das Gericht das Urteil nicht durcheinandergebracht hat.“

Bayer mit deutlich niedriger Strafzahlung nicht einverstanden

Ein Bayer-Sprecher in Leverkusen erklärte dagegen: „Die Entscheidung des Gerichts, den Strafschadenersatz um mehr als 200 Millionen US-Dollar zu reduzieren, ist ein Schritt in die richtige Richtung. Bayer ist allerdings nach wie vor davon überzeugt, dass das Urteil im Widerspruch zu den im Prozess vorgelegten Beweisen steht. Bayer beabsichtigt daher, gegen das Urteil Berufung beim California Court of Appeal einzulegen.“ Im Klartext: Bayer ist auch mit der deutlichen niedrigeren Strafzahlung nicht einverstanden. Dahinter steht laut US-Rechtsexperten die Sorge, dass sich andernfalls bei rund 8700 weiteren Verfahren „ein milliardenschweres Prozess-Risiko für den Konzern ergeben könnte, der an der Börse bereits stark Federn lassen musste“.

Prozessbeobachter in Kalifornien zeigten sich erstaunt über die Kurskorrektur Bolanos, die bei einer Anhörung kürzlich nicht nur massive Zweifel an der Verhältnismäßigkeit des ursprünglich festgelegten Schadenersatzes erkennen ließ. Die Juristin stellte sich auch gegen einen zentralen Aspekt der Anwälte Johnsons. Sie hatten der Jury anhand von internen Monsanto-Gesprächsprotokollen darzulegen versucht, dass der in St. Louis/Misssouri ansässige Saatgut-Riese von den Krebs-Risiken bei Glyphosat seit Jahren gewusst, dieses Wissen aber (wie weiland die US-Zigarettenindustrie bei den Gefahren des Rauchens) in böswilliger Absicht verschwiegen habe. Dafür, stellte Bolanos fest, gebe es keine Beweise.

Intervention von mehreren Geschworenen

Auch Bayer bestreitet das vehement. Das Unternehmen, das Monsanto in diesem Jahr für 54 Milliarden Euro gekauft hat, pocht darauf, dass Glyphosat laut 800 wissenschaftlichen Studien keinen Krebs verursache und von Aufsichtsorganen weltweit (etwa der US-Umweltbehörde EPA) regelmäßig zertifiziert worden ist. Dagegen hatte die Internationale Krebsforschungsagentur der Weltgesundheitsorganisation (WHO) Glyphosat 2015 als für Menschen „wahrscheinlich krebserregend“ eingestuft.

In US-Medien wird darüber spekuliert, dass die Kehrtwende von Suzanne Bolanos auf eine sehr ungewöhnliche Intervention von mehreren Geschworenen zurückgehen könnte. Sie hatten die Richterin angeschrieben und dringend aufgefordert, das ursprüngliche Urteil zu bestätigen. Gary Kitahata, Robert Howard und Charlie Kaupp, drei der Geschworenen, zu denen auch eine Molekular-Biologin gehörte, erklärten in Interviews, dass sie während des Prozesses tief in die Materie eingestiegen seien und die von der Kläger-Seite vorgelegten Indizien unverändert für schlüssig halten.

Dass Richterin Bolanos vor zwei Wochen Anstalten machte, sich über die kollektive Arbeit der Jury hinweg zu setzen, hat sie verärgert. „Wir fühlen beinahe eine fortgesetzte Staatsbürgerpflicht, unser Urteil zu schützen, auf das wir stolz sind“, sagte Charlie Kaupp, „wir haben uns viel Mühe gegeben. Wir glauben, richtig entschieden zu haben.“ Monsanto-Anwälte hatten im August erklärt, dass die Geschworenen emotional manipuliert worden seien. Bayer-Chef Werner Baumann erklärte: „Wir sind davon überzeugt, dass das Urteil der Jury falsch ist.“

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