Chef der Bundeswasserstraßen im Interview Wasserstraßen sollen deutsche Infrastruktur entlasten

Bonn · Hans-Heinrich Witte ist Chef der Bundeswasserstraßen. Die Generaldirektion Wasserstraßen und Schifffahrt (GDWS) sitzt in Bonn. Ein Gespräch über Sanierungsstau, Widerstände gegen Bauprojekte und Geldbedarf.

 Der Wesel-Datteln-Kanal gehört zu den wichtigsten Wasserstraßen in Deutschland.

Der Wesel-Datteln-Kanal gehört zu den wichtigsten Wasserstraßen in Deutschland.

Foto: picture alliance / Arnulf Stoffe

Der Güterverkehr soll noch weiter zunehmen, Prognosen gehen von einem Anstieg von 38 Prozent bis 2030 im Vergleich zu 2010 aus. Wie viel kann davon auf das Schiff verlegt werden?

Hans-Heinrich Witte: Der Rhein hat aus infrastruktureller Sicht ein sehr hohes Potenzial, weitere Gütermengen aufzunehmen. Selbst eine Verdoppelung der Gütermengen würde bei Weitem noch nicht das Erreichen von Kapazitätsgrenzen bedeuten. Wesentliche Herausforderungen liegen im Bereich der Logistik, dieses Potenzial zu nutzen und einzusetzen, zum Beispiel bei den Häfen.

Was können Sie von der Generaldirektion dazu leisten?

Witte: Die Wasserstraße als der umweltfreundlichste Verkehrsträger, den wir haben, muss so attraktiv werden, dass auch die Industrie den Mehrwert erkennt und sie nutzt. Deshalb sollen die Wasserstraßen so ertüchtigt werden, dass sie mindestens vom Zuwachs des Güterverkehrs große Teile aufnehmen können. Es ist eine Illusion zu glauben, dass der Lkw-Verkehr nachhaltig zurückgedrängt werden kann.

Warum wurden die Befahrensabgaben für die Binnenschifffahrt abgeschafft?

Witte: Das ist eine Antwort auf die deutlich gesenkten Trassenpreise bei der Bahn, was formal ein Nachteil für die Schiffer war, die diese Befahrensabgaben weiter hatten. Für die Binnenschifffahrt sind sie in diesem Jahr an allen Wasserstraßen abgeschafft worden, mit Ausnahme des Nord-Ostsee-Kanals und im Mosel-Saar-Revier, die über Staatsverträge mit Frankreich und Luxemburg gebunden sind. Dies war eine in die richtige Richtung weisende Entscheidung des Bundestages im vergangenen Jahr. Damit wurde die Wirtschaftlichkeit von Schifffahrt und Bahn gegenüber dem LKW verbessert.

Wie groß ist diese Entlastung in absoluten Zahlen?

Witte: Es geht um jährliche Ersparungen von etwa 45 Millionen Euro für die Schifffahrtstreibenden.

Welche Bedeutung hat die Binnenschifffahrt für den Güterverkehr?

Witte: Im Jahr 2017 entfielen 70,7 Prozent des Güterverkehrs auf die Straße, 18,7 Prozent auf die Schiene und circa acht Prozent auf die Wasserstraßen. Wir haben in Deutschland rund 7300 Kilometer Wasserstraßen, davon circa 4800 Kilometer für den Güterverkehr. Hier in Nordrhein-Westfalen, am Niederrhein und im Ruhrgebiet werden aber bis zu 70 Prozent der Güter per Schiff transportiert.

Im Bundesverkehrswegeplan 2030 ist für die Binnen- und Seeschifffahrt ein Investitionsbedarf von 16 Milliarden Euro genannt. Ist diese Zahl noch aktuell?

Witte: Diese Zahl wurde zu einem bestimmten Zeitpunkt erhoben. Wenn wir tatsächlich in die Umsetzung, also ins Bauen kommen, dann werden die Summen deutlich höher sein. Da spielen die Preisentwicklungen in der Bauindustrie mit hinein. Je länger die Planungen dauern – und diese Planungszeiten sind ja in Deutschland ein Trauerspiel an sich – desto teurer wird es. Dann kommt hinzu: Unsere Schleusen sind 80, 100 Jahre alt. Wenn Sie im Bestand sanieren, haben Sie zwei Möglichkeiten: Entweder mit einer relativ fundierten, aber immer noch groben Abschätzung das, was erreichbar ist, zu planen. Oder wir schließen das Bauwerk und machen erst einmal eine ganz tiefgehende Untersuchung, nur dann kann keine Schifffahrt mehr stattfinden.

Haben Sie ein Beispiel?

Witte: Ja, der Straßentunnel in Rendsburg unter dem Nord-Ostsee-Kanal: ein Projekt, das unwahrscheinlich auf Unruhe stößt. Da konnten wir nicht vorher das Bauwerk aufmachen, in die Tiefe der Bausubstanz schauen. Aber während der Sanierung haben wir gesehen, was da los ist. In Folge verlängert sich die Bauzeit und die Preise gehen hoch.

Welche großen Projekte stehen an?

Witte: Wenn wir den Ausbau von Wasserstraßen angucken, also die Infrastruktur verbessern, um mehr Leistungsfähigkeit zu schaffen, dann ist das Projekt mit der höchsten Wirtschaftlichkeit, dem höchsten Kosten-Nutzen-Verhältnis, die Abladeoptimierung Mittelrhein. Dort hat das Nutzen-Kosten-Verhältnis eine Größenordnung von 30, das heißt ein vom Staat investierter Euro bringt volkswirtschaftlich einen Nutzen von 30 Euro. Hier gibt es jedoch hohe Anforderungen. Wir bauen zum Beispiel im Weltkulturerbe, das Landschaftsbild darf nicht verändert werden. Auch ökologische Aspekte sind zu berücksichtigen. Aber um das Projekt überhaupt über die Bühne zu bringen, sind wir schon seit zwei Jahren daran, ganz intensiv die Öffentlichkeit zu beteiligen und einzubinden.

Wann wird das Projekt fertig?

Witte: Die Verkehrsfreigabe wird 2030 sein. Der Grund ist: Die meiste Zeit brauchen wir für das Planfeststellungsverfahren. Wir wollen in diesem Jahr die vertieften Voruntersuchungen fertigstellen. Am Ende werden wir einen Abladetiefengewinn von zwei Dezimeter haben, das bedeutet pro Schiff 200 bis 250 Tonnen mehr Ladung. Ein Projekt im vordringlichen Bedarf ist der Ersatzneubau der Schleusen des Wesel-Datteln-Kanals, an denen der Chemiepark Marl liegt. Das dritte vordringliche Projekt im westdeutschen Kanalnetz ist ein Brückenhebungsprogramm, dort wird die künftige Durchfahrtshöhe mit 5,25 Meter auch den zweilagigen Containertransport erlauben, also zwei Container können übereinander gestellt werden. Auf dem Rhein wird dreilagig und sogar bis zu fünflagig transportiert, weil wir dort bereits durch unsere Vorfahren international geltende, wegweisende Brückendurchfahrtshöhen sichergestellt wurden.

Welche Projekte sind bereits im Bau?

Witte: Neben den dringend erforderlichen Erhaltungsmaßnahmen sind die zweiten Schleusenkammern in der Mosel gesetzt, zum Jahresende wird die dritte von zehn Schleusen eine zweite Kammer haben. Ebenso gesetzt ist die Schleusenverlängerung am Neckar. An der Küste haben wir gerade mit der Fahrrinnenanpassung der Unter- und Außenelbe begonnen. In den Neu- und Ausbauprojekten sind alle Zufahrten zu den deutschen Seehäfen enthalten – Außenems, Weser, Elbe. Dann an der Ostsee – Warnemünde, Rostock und Wismar. Im Binnenland ist es nachhaltig der Rhein, der im Fokus steht, dann auch der Ausbau des Rhein-Herne-Kanals, des Dortmund-Ems-Kanals und die Ausbaumaßnahmen an Main und Donau, um die Verbindung zum Schwarzen Meer fertigstellen zu können.

Welche Rolle spielt das Prinzip Erhalt vor Neubau?

Witte: Man muss ehrlich sagen: Wir haben in Deutschland immer sehr gern neu gebaut, aber als Industrie- und Transportnation übersehen, dass die gebaute Infrastruktur unterhalten und ersatzinvestiert werden muss. Daher auch die erschreckenden Zahlen zum Alter unserer Infrastruktur. Ich nenne immer gern das Beispiel große Schleuse am Nord-Ostsee-Kanal, da ist noch Gleichstromtechnik drin. Das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen. Heute noch Gleichstromtechnik, die am Leben erhalten wird! Und die wir jetzt bei der Modernisierung austauschen.

Wie haben Sie denn priorisiert?

Witte: Wir haben ein Anlagevermögen an den Wasserstraßen von circa 50 Milliarden Euro. Diese Bauwerke haben wir genau angeguckt und bewertet: Von eins – sehr guter Zustand, bis vier – hier muss dringend gehandelt werden. Alle diese Bauwerke haben wir sortiert und festgestellt, dass wir den Ersatzbedarf mit den bestehenden Ressourcen einfach nicht decken können. Priorisiert haben wir daher nach der Gefahrenlage: Wenn mir zum Beispiel ein Wehr zusammenbricht, dann sind die Wasserstände betroffen, da geht es um Hab und Gut, Leib und Leben, das ist systemkritisch und sicherlich von höherer Bedeutung als ein Schleusenbauwerk, welches ich gegebenenfalls sperren könnte. Darüber hinaus wird regional nach verkehrlichen Aspekten priorisiert. Dabei haben wir das gesamte Netz im Blick.

Die Politik hat die kritische Lage verstanden?

Witte: Glücklicherweise hat das der Bundestag in dieser und der vorherigen Legislaturperiode erkannt, so dass das, was wir als Personaleinsparung im öffentlichen Dienst erlebt haben, beendet wurde, und wir tatsächlich neues Personal für die Wahrnehmung unserer Aufgaben einstellen können. Der Staat muss in die Lage versetzt werden, die Infrastruktur tatsächlich am Leben zu erhalten, wo nötig, Ersatzinvestitionen vorzunehmen, und wo erforderlich, kleine Reparaturen zu tätigen.

Ist das alles zu schaffen?

Witte: Es ist zu schaffen, obwohl ich nicht garantieren kann, dass uns ein Bauwerk irgendwann nicht außerplanmäßig ausfällt. Anders wäre es fachlich nicht mehr seriös. Aber ja, wir sind inzwischen so aufgestellt, dass wir das, was wir unabdinglich machen müssen, anfassen können und die größeren Ausbauvorhaben begonnen haben. Jetzt müssen wir eben hoffen, dass dieser gesellschaftliche Trend auch so bleibt, dass die Bedeutung der Infrastruktur in der Gesellschaft wirklich ankommt.

Welche Bauwerke sind denn problematisch?

Witte: Gehen wir mal an die Donau: Das Wehr und die Schleuse Kachlet bei Passau sind in einem Zustand, in dem dringend etwas gemacht werden muss; da sind wir auch dran. Oder nehmen wir das Ruhrwerk in Duisburg. Gleiche Thematik – es muss dringendst saniert und instand gehalten werden, unter Betrieb. Da sind wir auch dran. Deutlich zu spät sind wir dabei, in Brunsbüttel am Nord-Ostsee-Kanal eine dritte große Schleusenkammer zu bauen. Wir garantieren, dass während der Bauphase für diese bedeutendste Binnenwasserstraße für Seeschiffe in Deutschland permanent eine große Kammer am Laufen gehalten wird. Das ist eine unwahrscheinliche Ingenieurleistung.

Witte: Wir betrachten immer drei Bereiche: Die Ingenieurbüros, die Bauindustrie, die das umsetzen muss, und wir gucken auch uns selber an. In der Regel können wir die von uns ausgeschriebenen Stellen besetzen. Grundsätzlich können wir unseren Nachwuchs noch rekrutieren. Wir haben an drei Hochschulen eigene Studiengänge, z.B. an der Helmut-Schmidt-Universität in Hamburg. Wir wollen junge Leute schon heute an uns binden, sie dort studieren lassen und ihnen eine Perspektive bieten. Wir bilden zudem nachhaltig aus, wenn es in den handwerklichen Bereich geht. Und wir geben unseren Ausgebildeten eine Arbeitsplatzgarantie.

Was ist mit den Baufirmen?

Witte: Die Baufirmen und Ingenieurbüros haben einen größeren Spielraum bei den Gehältern, um Ingenieure zu suchen. Auf den großen Baustellen spüren wir aber auch Fachkräftemangel. Arbeit im Drei-Schicht-Betrieb ist teilweise nicht zu realisieren, wenn Spezialkräfte gefordert werden.

Wie sieht es mit dem Nachwuchs aus?

Witte: Ich bin ja auch noch Honorarprofessor an der RWTH in Aachen – die Studierendenzahlen nehmen zu. Ich habe inzwischen deutlich mehr Studenten in den Seminaren und Vorlesungen. Von den Studenten kurz vor dem Master versuche ich, so viele wie möglich an unsere Generaldirektion zu binden. Insgesamt ist die Situation nicht einfach. Wenn ich sehe, wie viele Ingenieure und Juristen beschäftigt werden müssen , um zum Baurecht zu kommen, also Klagen von Umweltverbänden, von Bürgern und so weiter, dann macht das schon etwas nachdenklich, wie wir in der Republik mit Ressourcen umgehen. Zwei Jahrzehnte Planung für 21 Monate Bauzeit, so sieht es z.B. an der Elbe aus. Außerdem entsteht ein immenser volkswirtschaftlichen Schaden, wenn eine Baumaßnahme nicht vier, sondern zehn Jahre dauert.

Wie schaffen Sie Abhilfe?

Witte: Wir sind intensiv dran zu prüfen, wie wir Planen und Bauen auf der Grundlage des geltenden Rechts optimieren. Es gibt den schönen Begriff von werthaltigen Nachträgen. In der Vergangenheit haben Baufirmen sehr preiswert angeboten, um den Auftrag zu kriegen, und den eigentlichen Gewinn haben sie durch Nachträge generiert. Damit sind Streitigkeiten auf der Baustelle programmiert. Hier sind modernere Vergabemodelle mit besseren Dialogprozessen gefragt. Bei großen Bauprojekten machen wir es inzwischen so, dass wir den Anbieter darauf hinweisen, dass, wenn es zum Streit kommen sollte, wir ein Streitschlichtungsverfahren verabreden. Die gemeinsame Verpflichtung bei Streitigkeiten ist dann, dass wir weiter bauen und den Streit parallel dazu klären.

Die GDWS holt sich auch Expertise aus den Niederlanden?

Witte: Wir haben gerade mit unserem niederländischen Pendant, der Rijkswaterstaat, eine Vereinbarung geschlossen. Die Niederländer werden uns beim Planen und Bauen beraten, während wir uns beim Thema Standardbauweisen einbringen. Rijkswaterstaat stand vor einem ähnlichen Problem, zahlreiche Stellen wurden abgebaut, Ingenieurkompetenz ging verloren. Die Niederländer haben jedoch gute Erfahrungen mit Planen und Bauen aus einer Hand gemacht. Dabei wird die Planungsverantwortung so weit wie möglich in die Hände desjenigen gelegt, der hinterher auch baut. Davon wollen wir lernen.

2020 will Ihnen der Finanzminister 1,1 Milliarden Euro zur Verfügung stellen, ein bisschen mehr als 2019. Ausreichend?

Witte: Wir hoffen, dass die verfügbaren finanziellen Mittel auch in Zukunft auf diesem Niveau bleiben und dem Bedarf entsprechend zur Verfügung gestellt werden.

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