Situation der Lebensversicherungen Wie stabil sind deutsche Lebensversicherer?

München · Experten kommen zu unterschiedlichen Urteilen. Die einen sehen ein Viertel der Branche angezählt. Andere sagen, sie sei recht gut durch die Pandemie gekommen.

 Experten kommen bei Lebensversicherungen zu unterschiedlichen Urteilen.

Experten kommen bei Lebensversicherungen zu unterschiedlichen Urteilen.

Foto: dpa-tmn/Andrea Warnecke

Wer eine Lebenspolice hat, sollte sich nicht nur mit dem Produkt befassen sondern auch ein Auge auf den Zustand seines Versicherungskonzerns haben. Denn solche Policen laufen oft über Jahrzehnte. Und bedrohlich ist die Lage wegen dauerhaft niedriger Zinsen und zunehmend strengerer Kapitalanforderungen für die Branche schon länger. Dazu kommt, dass der gesetzliche Garantiezins ab 2022 auf 0,25 Prozent sinkt, was zumindest klassische Policen zum Auslaufmodell macht. Aber durch die Pandemie ist die Branche erstaunlich gut gekommen, findet die auf die Assekuranz spezialisierte Ratingagentur Assekurata. „Neugeschäft und Stornoquoten haben sich 2020 besser entwickelt als erwartet“, sagt Assekurata-Chef Reiner Will.

Eine Kündigungswelle hat es bei Lebenspolicen nicht gegeben und wird von Assekurata auch nicht erwartet, heißt das. Zudem sind die Beitragseinnahmen der Branche voriges Jahr bei gut 99 Milliarden Euro konstant geblieben. Für 2021 erwartet Assekurata einen leichten Anstieg um eine halbe auf dann knapp 100 Milliarden Euro.

Bafin sieht keinen Lebensversicherer akut gefährdet

Niedrigzinsen nahe null und Überlegungen der europäischen Versicherungsaufsicht Eiopa, die Solvenzanforderungen demnächst zu verschärfen, blieben aber herausfordernd für die in ihrer Robustheit zudem sehr stark gespreizte Branche, räumt Assekurata-Analyst Lars Heermann ein. Es gebe Unternehmen, die deutlich schlechter als der Branchendurchschnitt dastehen.

Den Bund der Versicherten (BdV) und Analyst Carsten Zielke veranlasst das zu einer alarmierenden Sichtweise. „Die Situation ist sehr brenzlig, 23 von 80 untersuchten Lebensversicherern sind angezählt“, urteilt BdV-Chef Axel Kleinlein. „Die Solvenz verschlechtert sich zinsbedingt und erreicht bei einigen Gesellschaften eine bedrohliche Lage“, findet Zielke. Er hat die Branche für den BdV unter die Lupe genommen, legt dabei aber eigene und strengere Kriterien an finanzielle Stabilität an als die heimische Finanzaufsicht Bafin.

Die sieht aktuell keinen Lebensversicherer akut gefährdet, hat aber 20 Unternehmen in „Manndeckung“ genommen. Das heißt, sie stehen unter besonderer Beobachtung. Um welche Versicherer es sich handelt, sagt die Bafin nicht. Jörg Asmussen beruhigt. „Kein Kunde muss sich Sorgen um seine Lebensversicherung machen“, betont der Hauptgeschäftsführer des Gesamtverbands der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV). Alle garantierten Leistungen seien gesichert. Die Branche stehe besser da, als BdV und Zielke das glauben machen wollen.

Richtig ist, dass die Maßstäbe, die BdV und Zielke anlegen nicht die offiziellen sind. Man könnte aber auch argumentieren, dass sie einen ehrlicheren Blick auf den Zustand manches Unternehmens geben. Denn derzeit operiert die Branche mit sogenannten Übergangsmaßnahmen, die wie es der Name ausdrückt, zeitlich begrenzt sind und zwar bis 2032. Diese befristeten Sonderregeln machen es einfacher, auf dem Papier ausreichende Solvenz und Stabilität auszuweisen. Spätestens ab 2032 müssen Lebensversicherer aber ihre Anforderungen ohne Übergangsregularien erfüllen, betont auch die Deutsche Aktuarsvereinigung (DAV) als Berufsstand der Versicherungsmathematiker.

Experten nicht einig

Aber auch die DAV warnt vor einer Fehlinterpretation durch die Berechnungen von BdV und Zielke. Die Marktsituation sei aus aktuarieller Sicht weiter sehr stabil. Zudem werde für Extremsituationen mittels Zinszusatzreserve schon Vorsorge betrieben.

Das ist ein verordneter Risikopuffer, der seit 2011 immer höhere Milliardensummen verschlingt und aktuell ein branchenweites Volumen von 87 Milliarden Euro erreicht hat. Assekurata sagt für diese Reserve bis 2027 bei unverändertem Zinsniveau einen Anstieg auf knapp 130 Milliarden Euro voraus. Das Geld dient der Absicherung vor Jahrzehnten abgeschlossener Lebenspolicen mit einer Garantieverzinsung von bis zu vier Prozent. Mit heutigen Neuanlagen ist das nicht mehr finanzierbar, weshalb Versicherer per Zinszusatzreserve Extra-Rücklagen brauchen.

„Einige Versicherer werden die nächsten Jahre nicht überleben“, warnt Kleinlein und verweist auf negative Gewinnerwartungen von 18 der 80 untersuchten Gesellschaften. Im Branchenschnitt rückläufige Überschüsse errechnet auch Assekurata. In manchen Bilanzen schwelt es, findet Kleinlein. „Es ist nicht passend, das Schreckgespenst Insolvenz herauszuholen“, entgegnet Will. In der Frage, ob ein Brand verhindert werden kann, sind sich die Experten offenkundig nicht einig.

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