VW-Affäre: 540 000 Diesel brauchen mehr als nur neue Software

Wolfsburg/Berlin · Volkswagen wird bei über einer halben Million Diesel-Fahrzeugen die Abgas-Manipulationen nicht allein mit einem einfachen Software-Update abstellen können.

 Greenpeace-Aktivisten stehen mit einem CO2 Banner über dem Werkstor von Volkswagen in Wolfsburg . Foto: Peter Steffen

Greenpeace-Aktivisten stehen mit einem CO2 Banner über dem Werkstor von Volkswagen in Wolfsburg . Foto: Peter Steffen

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Das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) gehe davon aus, dass bei rund 540 000 Autos größere technische Änderungen durchgeführt werden müssten. Dies teilte am Montag das Bundesverkehrsministerium in Berlin mit.

Details wurden zunächst nicht bekannt. Die Bedingungen für Änderungen an der Hardware - dazu könnten etwa Eingriffe am Motor und am Katalysator zählen - sollen die betroffenen Kunden von VW erfahren.

Hintergrund ist der vom KBA angeordnete verbindliche Rückruf für insgesamt 2,4 Millionen Wagen, der Anfang 2016 beginnen soll. Dabei geht es um verschiedene Motoren- und Fahrzeugmodelle. Um welche es sich bei den rund 540 000 Autos mit größerem Nachrüstbedarf genau handelt, war zunächst nicht bekannt. VW hatte schon mitgeteilt, dass für Wagen mit 2,0 Litern Hubraum reine Software-Lösungen ausreichen sollen. Bei anderen Modellen seien darüber hinaus Anpassungen in der Motortechnik nötig - also Änderungen nicht nur an der Programmierung.

Nach dpa-Informationen sind europaweit rund drei Millionen Fahrzeuge mit dem betroffenen 1,6-Liter-Diesel unterwegs. Die größere Variante mit 2,0 Litern Hubraum kommt auf etwa 4,6 Millionen Fahrzeuge, 340 000 haben den kleinen Motor mit 1,2 Litern. Zusätzlich zu diesen insgesamt rund acht Millionen Wagen mit Euro-5-Norm ruft VW freiwillig 500 000 Diesel zurück, die nur Euro 3 und Euro 4 erfüllen.

Mitte Oktober hatte das KBA Volkswagen zu der zunächst als freiwillig geplanten Rückrufaktion verpflichtet. Laut Verkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) dürfte sie sich bis zum Jahresende 2016 hinziehen.

Schlechte Nachrichten ereilten VW auch aus New York. Als letzte große Ratingagentur hat nun auch Fitch die Kreditwürdigkeit des Konzerns herabgesetzt. Die Experten senkten die Bewertung gleich um zwei Stufen von "A" auf "BBB+" mit negativem Ausblick. Volkswagen könnte deshalb künftig mehr Zinsen für geliehenes Geld bezahlen müssen.

Der Aufsichtsrat traf sich auf dem Werksgelände in Wolfsburg zur weiteren Aufarbeitung der Abgas-Krise. Dabei verabredeten Konzernchef Matthias Müller und Betriebsratschef Bernd Osterloh, bei der Lösung enger zusammenarbeiten zu wollen. "In der jetzigen, schwierigen Situation müssen wir gemeinsame Entscheidungen treffen, welche die Wirtschaftlichkeit genauso berücksichtigen wie die Beschäftigung", betonte Müller. Bis zur nächsten Sitzung des Aufsichtsrates am 20. November soll es daher eine Reihe von Gesprächen geben, "um einen gemeinsamen Weg für die Zukunft des Unternehmens zu bestimmen".

Ende vergangener Woche hatte Osterloh öffentlich massive Kritik an Müller geäußert: "Der Betriebsrat wird bewusst außen vor gelassen. Der Vorstand verkündet Sparmaßnahmen einseitig und ohne Grundlage."

Nun zeigte sich der Betriebsratschef versöhnlicher: "Matthias Müller wird sich persönlich um die Zusammenarbeit zwischen Vorstand und Betriebsrat kümmern. Dies ist ein starkes Signal für die Belegschaft." Die Herausforderungen der Abgas-Affäre seien "enorm, aber die Belegschaft steht hinter dem Unternehmen, sofern es uns gelingt, eine ausgewogene Planung zwischen Investitionen, Sparmaßnahmen und Zukunftsprojekten zu verabreden".

Begleitet wurden die erneuten Krisensitzungen von massiven Protesten der Umweltschutzorganisation Greenpeace. Auf dem Dach des Haupteingangs protestierten mehrere Aktivisten mit Plakaten gegen die millionenfachen Diesel-Manipulationen sowie falsche CO2- und Verbrauchswerte bei Diesel- und Benzinfahrzeugen. Sie forderten nach eigenen Angaben mehr Transparenz und ungeschönte Abgasdaten.

Um das Vertrauen bei Kunden in den USA zurück zu gewinnen, will VW den dortigen Ärger mit Gutscheinen lindern. Besitzer von Dieselautos der Kernmarke sollten als Wiedergutmachung Prepaid-Karten im Wert von 1000 Dollar (930 Euro) bekommen sowie einen kostenlosen Pannenservice für drei Jahre, heißt es in einem Schreiben, welches dpa vorlag.

Demnach müssen die Kunden im Gegenzug für die Geldzahlung auch nicht auf ihr Klagerecht verzichten. Für die ebenfalls betroffenen Wagen der Tochter Audi soll am 13. November ein ähnliches Programm kommen. Als Reaktion auf die Gutschein-Aktion in den USA forderten Verbraucherschützer eine ähnliche Regelung für deutsche Kunden.

Im Gegensatz zu VW selbst hat der Skandal bei den Autozulieferern bislang keine negativen Konsequenzen. "Wir sehen da keine Veränderung in den letzten acht Wochen", sagte Continental-Finanzchef Wolfgang Schäfer der dpa. Er gab aber gleichzeitig zu bedenken, dass es derzeit noch zu früh sei für Aussagen zu mittelfristigen Folgen.

Seit Mitte September ist Europas größter Autobauer in der schwersten Krise der Unternehmensgeschichte. Den Wolfsburgern drohen wegen der Manipulationen Milliardenkosten und strafrechtliche Ermittlungen.

Der Skandal hatte sich in der vorigen Woche noch ausgeweitet: VW teilte mit, dass es auch beim Ausstoß des Klimagases Kohlendioxid (CO2) "Unregelmäßigkeiten" gab. Bisher legte Europas größter Autokonzern 6,7 Milliarden Euro für das Stickoxid-Problem zurück. Die "wirtschaftlichen Risiken" des hinzugekommenen CO2-Problems wurden zunächst auf weitere 2 Milliarden Euro geschätzt.

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