Der Neurologe Volker Busch über Entscheidungen „Wir sind immer verführbar“

Bonn · In Wirtschaftsfragen kommt es auf gute Entscheidungen an. Volker Busch, Facharzt für Neurologie sowie Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, erklärt, wann es klug ist, auf den Bauch zu hören.

 Volker Busch, Facharzt für Neurologie sowie Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie.

Volker Busch, Facharzt für Neurologie sowie Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie.

Foto: Volker Busch

Ob als Manager oder als Kunde beim Einkauf, im Wirtschaftsleben dreht sich alles um vernünftige Entscheidungen. Handeln wir so rational, wie wir glauben?

Volker Busch: Nein, das tun wir nicht. Der einzige, der rein ökonomisch denkt, ist Dagobert Duck. Der Mensch ist in Wahrheit sehr emotional, impulsiv und lustbetont, er ist aber auch sehr ängstlich und moralisch. Bis zu 80 Prozent unserer Entscheidungen treffen wir rein emotional. Das hat damit zu tun, dass dies die mächtigeren und deutlich älteren Strukturen in unserem Gehirn sind. Der Mensch hat sich evolutionsbiologisch weiterentwickelt und unsere neueste Errungenschaft ist unser Verstand. Unsere Emotionen, wie etwa Lust oder Angst, waren aber schon vorher da.

Was geht da in uns vor?

Busch: Nehmen wir an, Sie wollen ein Auto kaufen. Wenn Sie die einzelnen Vor- und Nachteile abwägen, bilanzieren Sie zunächst mit Ihren Kopf. Gleichzeitig ist aber auch Ihr Lustzentrum angesprochen, was solche Bilanzen in der Regel nicht kennt, sondern ganz allein auf der Basis persönlicher Neigungen, Vorlieben und Interessen agiert. Ohne dass Sie es merken, beteiligen sich Kopf und Bauch also beide bereits an Ihrem Entscheidungsprozess. Dieses alte Erbe tragen wir auch heute noch in uns. Das macht sich unter anderem die Werbeindustrie zunutze.

Indem Sie uns verführt?

Busch: Die Werbung versucht, das ganz geschickt auszunutzen. Sie gibt uns zwar Argumente, die für ein Produkt sprechen, versucht uns aber eigentlich über das Lustprinzip zu ködern. Warum gibt sie uns trotzdem Argumente? Weil wir Menschen eine Entscheidung gerne im Nachhinein rational begründen. Ein Schuhkauf aus Lust wird dann zum Beispiel damit gerechtfertigt, dass wir noch dringend etwas Passendes für unser Outfit brauchen. Geschickte Werbung versucht also, beides zu vereinen: Sexy zu sein und uns mit dem guten Gefühl zu entlassen, rational und sinnvoll gehandelt zu haben. Ihr Gehirn muss sich danach nicht den Vorwurf machen lassen, dass es nicht vernünftig agiert hätte. Es gibt eben nichts Schöneres, als sich im Nachhinein rechtfertigen zu können.

Wie können wir uns gegen solche Werbeeinflüsse wehren?

Busch: Ich glaube, dass wir immer verführbar sind und dass wir uns dessen gar nicht erwehren können. Vielleicht geht das im Einzelfall, wenn uns Dinge bewusst werden, wenn wir Zeit haben, darüber nachzudenken. Es gibt in der Wirtschaftspsychologie den Begriff des „Tipping Point“, der besagt, dass ab einem bestimmten Punkt ein Produkt so beliebt wird, dass es sich viral verbreitet, wie eine Virusepidemie und es jeder haben will. Smartphones sind ein Beispiel für gutes Marketing. Die Notwendigkeit, eines zu haben, gab es vor 20 Jahren noch gar nicht, keiner hat es vermisst. Heute kann kaum jemand ohne leben.

Wie lassen sich denn gute Entscheidungen treffen?

Busch: Die Wissenschaft zeigt, dass die Anzahl der Argumente bei einer Entscheidung eine Rolle spielt. Das fängt beim Auto bei der Farbe an, geht über die Felgen, den Motor und die Ledersitze bis hin zu den elektrischen Fensterhebern. Je mehr Kaufargumente Sie beachten müssen, desto unsicherer treffen Sie die Entscheidung und desto unzufriedener werden Sie sein, wenn Sie auf Ihren Kopf hören. Man spricht dann von einer sogenannten Entscheidungsmelancholie. Dann ist es besser, intuitiv nach dem Bauchgefühl zu entscheiden, weil wir sonst überfordert sind. Wenn aber nur zwei oder drei Argumente beim Kauf eine Rolle spielen, lohnt es sich, den Kopf mitsprechen zu lassen. Das gilt selbst für die Börse. Die Vorhersage von Aktienkursen gelingt Menschen, die intuitiv entscheiden, mindestens genauso gut wie denen, die versuchen, Hunderte Informationen verstandesmäßig zu berücksichtigen.

Wie zuverlässig ist unser Bauchgefühl?

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