Interview mit Zoologe Wolfgang Wägele "Die Städter sehen nicht, wie sich die Natur verändert"

Bonn · Was ist wichtiger: Ferne Galaxien zu entdecken oder die Lebensgrundlagen des eigenen Planeten zu studieren? Das fragt Professor Wolfgang Wägele, Direktor des Zoologischen Forschungsmuseums Alexander Koenig in Bonn. Mit ihm sprach Steffen Schurr.

 Dem Direktor des Zoologischen Forschungsmuseums Alexander Koenig Leibniz-Institut für Biodiversität der Tiere, Wolfgang Wägele, ist es wichtig, "ein Bewusstsein für die Natur zu schaffen".

Dem Direktor des Zoologischen Forschungsmuseums Alexander Koenig Leibniz-Institut für Biodiversität der Tiere, Wolfgang Wägele, ist es wichtig, "ein Bewusstsein für die Natur zu schaffen".

Foto: Privat

Herr Professsor Wägele, beneiden Sie manchmal die Klimaforschung oder die Astronomie?

Wolfgang Wägele: Ja, da beide Disziplinen weitaus mehr Forschungsgelder haben als wir. Klimaforschung etwa ist uns in mehreren Bereichen überlegen. Wir haben keine großen Rechenzentren, wo wir Auswertungen vornehmen können. Es fehlt uns auch ein Netz von flächendeckenden Messeinrichtungen in Deutschland. Was ist denn wirklich relevant? Wenn wir den Artenschwund nicht erfassen und unsere Kinder in zwei Generationen vor große Probleme stellen, weil wir eine Entwicklung nicht rechtzeitig erkannt haben? Oder wenn wir eine fremde Galaxie erst in 100 Jahren entdecken statt jetzt gleich?

Zum Monitoring. Die Studienergebnisse vom Krefelder Entomologen Verein wurden kritisch gesehen. Teilweise wurden sie als Hobbyforscher bezeichnet. War das gerechtfertigt?

Wägele: Ähnliche Langzeitreihen sucht man in Deutschland vergeblich. Die Forscher aus Krefeld haben standardisierte Fallen benutzt und das über 25 Jahre lang. An keinem Institut oder Forschungszentrum wird das gemacht. Das will sich unsere Wissensgesellschaft finanziell nicht erlauben. Es braucht aber Zeit, um Umweltveränderungen festzustellen. Hier ist die Politik in der Pflicht, Langzeitbeobachtungen bundesweit zu ermöglichen.

Was muss sich ändern, auch bei Ihren forschenden Kollegen?

Wägele: Die wenigen Daten, die es gibt, sollten nicht als Eigentum betrachten werden. Umweltdaten müssen offen einsehbar sein. Ich spreche hier von Ängsten, die manchmal bei einigen Kollegen vorherrschen, Konzerne könnten die Daten nutzen, um Gegenargumente zu finden. Etwa, dass es zu gar keinem Artenschwund in Gebieten kommt, wo Genpflanzenarten wachsen. In Deutschland werden jedoch seit 2013 keine genetisch manipulierten Pflanzen mehr angebaut, auch nicht zu Testzwecken.

Was ist ihre Vision und Mission?

Wägele: Ein Bewusstsein für die Natur zu schaffen. Ich denke da sofort an unser Freizeitverhalten: Mountain-Biking im Siebengebirge, wo Haselmäuse im Dickicht tagsüber schlafen und natürlich gestört werden. Auch müssen wir die Landwirtschaft verändern. Zudem müssen Gesetze erlassen werden, vor allem wo wirtschaftliche Interessen stark sind. Die Städter sehen nicht, wie sich die Natur verändert. Wir müssen daher gute Beispiele finden, um die Zusammenhänge des Ökosystems aufzuzeigen.

Wieso wurden zum Beispiel die Meisenknödel diesen Winter nicht angerührt? Das liegt am fehlenden Nachwuchs. Entweder war der Winter zu hart und die Jungen sind erfroren. Oder aber es lag daran, dass die Eltern keine Insektenraupen oder -larven zur Fütterung ihrer Jungen gefunden haben. Ich vermute, dass es an den fehlenden Raupen lag.

Das Thünen-Institut und Julius Kühn-Institut arbeiten derzeit auch an einem Monitoring-System. Gibt es da eine Zusammenarbeit, was Ihr Projekt Ammod betrifft?

Wägele: Das Vorhaben ist uns bekannt. Das Thünen-Institut kann nicht die Vielfalt der Arten beobachten und Trends für die Biodiversität detailliert erfassen. Dazu benötigt man Ressourcen und Daten, die man nur im Netzwerk der Artenkenner und Technologieentwickler erhalten kann. Es ist aber zu begrüßen, dass diese Einrichtung des Landwirtschaftsministeriums sich der Frage der Biodiversität in der Landwirtschaft widmet.

An was forschen Sie derzeit noch?

Wägele: Wir bereiten gerade ein Projekt über die Insektenfauna in Naturschutzgebieten vor, wo daneben Landwirtschaft, Ökolandwirtschaft oder keine Landwirtschaft betrieben wird. Anhand von Bodenproben lassen wir dann die Böden in den Naturschutzgebieten auf Pestizide untersuchen. Das wurde bisher noch nicht gemacht. Wir gehen davon aus, dass die Landwirtschaft Einfluss auf die Insekten hat, es fehlt aber noch der Beweis.

Wie stehen Sie zu Bürgerwissenschaften, also Citizen Science?

Wägele: Experten unter den Bürgern verfügen über wertvolle Kenntnisse. Bei unserem anderen Projekt, dem German Barcode of Life, fordern wir aktiv auf, uns zu helfen. Hier geht es allerdings um die Bestimmung von DNA-Material. Wir benötigen jetzt Experten beim Zählen und Bestimmen von Insekten, was jedoch für Massenproben nicht funktioniert.

Warum klappt das nicht bei Insekten, bei Vögeln im Rahmen von Natura 2000 geht es doch aus?

Wägele: Bei der Vogelzählung ist das vergleichsweise einfach. In Deutschland gibt es aber mehr als 9000 Mücken- und Fliegenarten. Selbst Experten können nur 1000 und 2000 Arten auseinanderhalten. Wir haben nicht genügend Experten. Und wer hat schon Lust, eimerweise Fliegen und Mücken durchzusehen und zu zählen? Genau das wäre aber notwendig, um einen Überblick zu bekommen. Das wollen wir im Projekt Ammod automatisieren. Trotzdem handelt es sich beim Vogelmonitoring um das größte und bestorganisierte Monitoring-Programm Deutschlands.

Wie machen Sie als Museum das Artensterben sichtbar?

Wägele: Ich bin nicht nur Forscher, sondern in meiner Funktion als Museumsdirektor auch Vermittler von Wissen. Wir bieten öffentliche Vorträge und Diskussionen an und schreiben Fachartikel. Zusätzlich gibt es bei uns im Museum Koenig Forscherclubs, wo Kinder und Jugendliche auf Exkursion gehen können. Durch Spenden ist es möglich, Pädagogen und Naturhistorische Vereine aus der Region dafür zu gewinnen, um zu ergänzen, was Schulen nicht vermitteln können. Die Kurse werden sehr gut angenommen, teilweise ist die Nachfrage höher als das Angebot.

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