Genie oder Zufall: Was macht Forscher zu Nobelpreisträgern?

Stockholm · Der schottische Nobelpreisträger Alexander Fleming war angeblich ein fauler Kerl, der sein Labor nur selten aufräumte. Während seine Kollegen ihre Schreibtische blitzblank putzten, bevor sie in den Urlaub fuhren, ließ er den Tisch unordentlich, die Petrischalen stehen, das Fenster auf.

 Der schottische Nobelpreisträger Alexander Fleming galt nicht als besonders ordentlich. Foto: Archiv

Der schottische Nobelpreisträger Alexander Fleming galt nicht als besonders ordentlich. Foto: Archiv

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Diese Schludrigkeit hat die Welt verändert. Denn dadurch entdeckte Fleming zufällig die antibiotische Wirkung von Penizillin. Dies zeigt: Um einen der Wissenschafts-Nobelpreise zu bekommen, die in der kommenden Woche (6. bis 8. Oktober) wieder in Stockholm bekanntgegeben werden, muss ein Wissenschaftler nicht nur hartnäckig forschen. Oft gehört auch eine große Portion Glück dazu.

"Fleming war nicht der Typ, der die meisten Stunden im Labor verbracht hat", sagt der Direktor des Stockholmer Nobel-Museums, Olov Amelin, der Nachrichtenagentur dpa in Kopenhagen. "Aber er war ein sehr cleverer Kerl, der die richtigen Schlüsse ziehen konnte."

Als er aus den Ferien zurückkam, fand der Schotte demnach in einem seiner Petrischalen nicht die angesetzten Bakterien, sondern etwas, das er später Penizillin nannte. "So hat er herausgefunden, dass es Bakterien töten kann", sagt Amelin. Die Entdeckung hat seitdem Millionen Menschen das Leben gerettet. Ein Glücksfall!

Natürlich ist das nicht die ganze Geschichte. "Das Glück kommt selten zu den Unvorbereiteten", sagt Amelin. "Ein Nobelpreisträger hat in der Regel mindestens zehn Jahre seines wissenschaftlichen Lebens damit verbracht, sehr hart an etwas zu arbeiten", sagt Astrid Gräslund, Ständige Sekretärin des Nobelkomitees für Chemie, der dpa. Kein Wunder, dass wenige Forscher den Nobelpreis gleich am Anfang ihrer Karriere bekommen. "Es ist kein Jugendpreis", sagt Gräslund.

Auch Fleming war schließlich gezielt auf der Suche nach einem Weg, Bakterien zu töten. Trotzdem hatte er das Quäntchen Glück, auf das andere erfolgreiche Wissenschaftler ihr Leben lang hoffen.

"Wir vergeben keine Preise für das Lebenswerk", sagt Gräslund. "Viele Wissenschaftler haben große Beiträge zur Forschung geleistet - aber sie sind an nichts festzumachen, das wirklich die Welt verändert hat. Dann bekommen sie den Preis nicht." Wenn die Nobelkomitees für Physik, Chemie und Medizin wissenschaftliche Veröffentlichungen auf der Suche nach den nächsten Nobelpreisträgern durchackern, stöbern sie nach einem "Türöffner" - einer wegweisenden Entdeckung.

Den ersten Physik-Nobelpreis für einen solchen "Türöffner" bekam Wilhelm Conrad Röntgen 1901. Beim Experimentieren entdeckte er mehr oder weniger durch Zufall Strahlen, die den Körper durchdringen konnten - die Röntgen-Strahlen. Doch ganz zufällig kam auch diese Entdeckung nicht. Vor allem war Röntgen ein hartnäckiger Forscher, der "wochenlang in seinem Labor sowohl schlief als auch aß", wie der Autor Lars-Åke Skagegård in einem Buch über den Nobelpreis schreibt.

"Es gibt verschiedene Arten von Nobelpreisen", erzählt Gräslund. "Aber in der Regel steckt eine Menge harter Arbeit der Preisträger dahinter, etwas Glück - und ein bisschen Genialität." Dieses Attribut ist nicht nur dem großen Physiker Albert Einstein zuzuschreiben.

Manche Forscher waren laut Amelin "soziale Genies" wie der Däne Niels Bohr, der gut darin war, Wissenschaftler zusammenzubringen und zum Dranbleiben und Diskutieren anzustiften. "Er hat eine fantastische Atmosphäre kreiert", sagt Amelin. Dass Forscher Rudeltiere und große Entdeckungen Gemeinschaftsarbeit sind, ist heute oft der Fall.

"Es gibt aber auch einsame Genies - die sind nur seltener geworden", sagt Amelin. Früher waren sie etwa in den Reihen der theoretischen Physiker anzutreffen - wie Erwin Schrödinger, der durch seine Affären bekannt wurde, oder der stille Zeitgenosse Paul Dirac. Die beiden Forscher teilten sich den Physik-Nobelpreis 1933 für die "Entdeckung neuer produktiver Formen der Atomtheorie".

Manchmal gilt es für Wissenschaftler aber auch, zur rechten Zeit am rechten Ort zu sein - so wie der Japaner Koichi Tanaka, der 2002 den Chemie-Nobelpreis von Schwedens König Carl XVI. Gustaf entgegennahm. Er sei weder ein brillanter Student gewesen noch habe er ein komplett einzigartiges Talent gehabt, sagt Museumsdirektor Amelin. "Dann aber landete er bei einer Firma, die ein Mittel entwickelte, das sich als extrem wichtig herausgestellt hat, wenn es darum geht, neue Methoden anzuwenden, um chemische Verbindungen zu analysieren."

Um den Nobelpreis an Tanaka entbrannte in der wissenschaftlichen Welt ein heftiger Streit. Viele meinten, der Preis hätte deutschen Forschern gebürt, die eine bessere Methode entwickelt hätten. "Der Preis soll an denjenigen gehen, der zuerst mit einer Idee gekommen ist, die das Denken der Menschen verändert", hatte der Chef des Komitees die Wahl verteidigt. "Das hat Koichi Tanaka eindeutig getan." Er hatte seine Ergebnisse ganz einfach früher veröffentlicht.

Wer einen Nobelpreis bekommen will, muss also noch etwas beachten: Er sollte seine Errungenschaft schleunigst zu Papier bringen. Denn ohne Veröffentlichung zählt in der (Nobel-)Wissenschaft auch die großartigste Entdeckung nichts.

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