Historie der Uni Bonn Als in Bonn noch Prinzen studierten

BONN · Der Hochschulalltag war zur Gründungszeit der Universität Anfang des 19. Jahrhunderts von Rivalitäten geprägt. Uni-Archivar Dr. Thomas Becker berichtet von „wilden Burschen, die sich ständig duellierten“. Doch es gab auch positive Seiten.

Oft heißt es: „Früher war alles besser!“ Das trifft in knapp 200 Jahre Geschichte der Bonner Universität nicht auf alle Phasen zu. Wie kann man sich die Studenten vorstellen, die zur Gründungszeit dort gelernt und gelebt haben? Nicht nur wissenschaftliche Arbeit, sondern auch reichlich Schabernack wurde getrieben.

Uni-Archivar Dr. Thomas Becker berichtet etwa von „wilden Burschen, die sich ständig duellierten“. Mit etwa 18 oder 19 Jahren kamen diese bereits an die Uni, waren aber erst im Alter von 21 Jahren volljährig. Frauen hatten in dieser Zeit noch nicht das Recht, sich zu immatrikulieren – daher war die Universität seit ihrer Gründung im Jahr 1818 bis Anfang des 20. Jahrhunderts männlich dominiert.

Oft wurde gerne über die Stränge geschlagen und die eigene Ehre kämpferisch verteidigt, denn die war ein sehr zentraler Begriff und besonders für Studenten und Akademiker von enormer Wichtigkeit. Fühlten sie sich in ihr verletzt, fochten sie Kämpfe aus, die nicht selten zu schwerer Verwundung oder bis hin zum Tod führten. Auch die Burschenschaften, die zwar gegen Duelle waren, bemühten sich, ihre Ehre zu erhalten oder wiederherzustellen. Dies taten sie allerdings nicht durch Kämpfe mit Waffen, sondern vor sogenannten Schiedsgerichten.

Studenten trieben „Katz- und Maus-Spiel“

Für die meisten der heutigen Studenten ist das Duellieren völlig fremd, da sich der Ehrbegriff enorm gewandelt hat und kaum noch eine solch essenzielle Bedeutung in der modernen Gesellschaft hat. Allerdings führen einige Studentenverbindungen heutzutage noch Fechtduelle aus. Diese „Mensur-Kämpfe“ zielen aber keinesfalls auf die Ehrverletzung des Gegenübers ab, sondern sollen höchstens eine Verletzung im Gesicht herbeiführen. Diese Wunde und spätere Narbe wird „Schmiss“ genannt und von einigen studierten Herren mit Stolz getragen.

Eigentlich waren Studentenverbindungen bereits seit 1819 polizeilich verboten und jede ihrer Formen wurde von den Behörden verfolgt. Stellvertretend für die Polizei sollte das die universitäre Obrigkeit, also der Uni-Richter, machen. Allerdings war dieser – besonders in Bonn – häufig sehr großzügig. Die Studenten wussten darum und trieben ein „Katz- und Maus-Spiel“, wie es Becker bezeichnet. Beispielsweise durften sie die Mützen und Bänder ihrer Verbindung nicht tragen, wählten aber dafür schlichtweg ihre normale Kleidung in den Verbindungsfarben.

Ein weiterer gravierender Unterschied zur Gegenwart ist auch das elitäre Verständnis der damaligen Studenten. „Man muss wissen, dass nur wenige Prozente eines Jahrgangs studiert haben“, sagt Becker. „Früher kannten sich alle an der Uni. Es war sehr viel familiärer.“ In Zahlen ausgedrückt hatte die Uni Bonn, als eine der großen Universitäten der damaligen Zeit, nicht mehr als 1000 Studierende und etwa 60 Professoren im Lehrkörper. Heute studieren mehr als 35.000 junge Menschen in Bonn und werden von mehr als 550 Professoren unterrichtet.

Vorwiegend stammten die Studenten zu Gründungszeiten aus dem Bildungsbürgertum. Das waren Familien, deren Väter ebenfalls studiert hatten, vornehmlich Apotheker, Ärzte, Rechtsanwälte, Lehrer oder evangelische Pfarrer. Teilweise gehörten die jungen Männer auch dem Besitzbürgertum, meist Kaufmannsfamilien, an. Letztere hatten meist keinen Abschluss nötig und studierten daher oft nur einige Semester, um dann in das väterliche Geschäft einzusteigen.

Ähnlich handhabten die Adeligen das Studium: Sie wollten später keinen Beruf ausüben und studierten deshalb ebenfalls nur auf bestimmte Zeit, ohne einen Abschluss anzustreben. „Zum Beispiel kamen die Prinzen, um sich für vier Semester in Jura einzuschreiben, studierten aber querbeet und ohne Examen, da sich natürlich kein Professor getraut hätte, eine Prüfung bei seinem zukünftigen König abzunehmen“, sagt Thomas Becker. „Heute studiert man natürlich, um einen Abschluss zu machen.“

Zudem kann man heute von einer ganz anderen Herangehensweise der Studierenden sprechen. Vor rund 200 Jahren gab es zwar einige Ablenkung in den Studentenverbindungen – die jungen Männer feierten auch gerne – aber relativ viele unter ihnen studierten sehr ernsthaft und publizierten bereits in sehr jungen Jahren Aufsätze. „Das sind schon Lebensläufe, bei denen man sich wundert, was da jemand mit 23 Jahren schon fabriziert, was heute einer mit 33 noch nicht hinbekommt“, sagt Becker.

Es handelte sich dabei allerdings meist um eine kleine Gruppe, die entweder vom häuslichen Umfeld oder der Privatschule, von der sie unter Umständen kamen, ganz anders auf das Studium vorbereitet wurde. Diese Menschen verstanden sich als Elite und pflegten deshalb auch sehr elitäre Bildungsideale: „Jemand wie Nietzsche, der spätere Philosoph, der mit 18 oder 19 nach Bonn kommt und seine ersten Aufsätze in klassisch lateinischer Philologie veröffentlicht – das kann man heute natürlich niemandem mehr zumuten“, sagt Uni-Archivar Becker.

Veränderung im Verhältnis von Student und Professor

Ein deutlicher Unterschied macht sich im Vergleich von früher und heute auch im Verhältnis von Student zu Professor bemerkbar. Wer sich damals immatrikulierte, stellte sich persönlich beim Rektor vor. „So verband man mit den Namen schon Gesichter“, berichtet Becker. „Heute werden die Namen vom Computer zugeteilt. Dann sind viele häufig nicht da, weil es keine Anwesenheitspflicht mehr gibt. So fällt es viel schwerer, die Studierenden überhaupt kennenzulernen.“ Engeren Kontakt bekommt man als Professor heute nur zu Studierenden, die einen Master anhängen oder eine Promotion anstreben.

Positiv verändert habe die Universität, laut Becker, die Aufnahme von Frauen. In Preußen durften sie 1896 erstmalig als Gasthörerinnen in Vorlesungen dabei sein. Sie konnten dadurch zwar nicht richtig studieren und keine Abschlüsse machen, aber sich immerhin Vorlesungen anhören. „1908 kam endlich das Immatrikulationsrecht für Frauen. Das veränderte die Atmosphäre an der Uni sehr stark“, sagt Becker.

Heute studieren in den Geisteswissenschaften mehr als 50 Prozent Frauen, und immer mehr Mädchen und junge Frauen sollen heutzutage durch diverse Projekte auch für eher männlich dominierte Fächer interessiert werden.

Wer heute an der Uni Bonn noch Duelle, lateinische Publikationen von Jugendlichen oder büffelnde Prinzen erwartet, hätte die Universität im 19. Jahrhundert besuchen müssen. Damals war der Umgang zwar persönlicher, aber ständige Rivalitäten waren der hässliche Begleiter des Alltags.

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